EM

2006 reloaded - Deutschland scheitert an Italien

Von Daniel Reimann / Liane Killmann
Mario Balotelli (r.) hatte Italien mit zwei Treffern in Führung geschossen
© Getty

Für die deutsche Nationalmannschaft war im Halbfinale der Europameisterschaft abermals gegen Italien Endstation. Das Team von Joachim Löw unterlag der Squadra Azzurra mit 1:2 (0:2).

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Im mit 56.070 Zuschauern ausverkauften Nationalstadion von Warschau schoss Mario Balotelli in der ersten Hälfte Italien per Doppelpack (20. und 36.) in Führung. Mesut Özils später Anschlusstreffer in der Nachspielzeit per Strafstoß kam zu spät.

Durch den Sieg trifft Italien im Finale in Kiew am Sonntag auf Spanien, das sich am Samstag im Elfmeterschießen gegen Portugal durchsetzte.

Reaktionen:

Joachim Löw (Trainer Deutschland): "Nach dem 0:1 waren wir fahrig und nicht mehr gut organisiert. Hätten wir das Anschlusstor eher gemacht, wäre noch mehr drin gewesen. Die Enttäuschung ist für alle natürlich groß. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, jetzt alles zu hinterfragen. Ich werde jetzt nicht alles kritisieren. In der Kabine fließen Tränen, die Spieler lassen die Köpfe hängen, keiner spricht ein Wort."

Oliver Bierhoff (Teammanager Deutschland): "In der Kabine ist es nach dem Spiel totenstill gewesen. Wir haben uns viel vorgenommen, aber es nicht gepackt. Wir haben die erste Halbzeit zu Teilen verpennt und die italienischen Möglichkeiten zu den Toren zugelassen."

Philipp Lahm (Deutschland): "Die Niederlage ist sehr bitter. Dumme Fehler haben zu den Gegentoren geführt. Das darf nicht passieren. In der zweiten Halbzeit haben wir alles versucht, aber unser Tor fiel zu spät. Wenn ich kurz nach der Pause meine Riesenchance nutze, haben wir noch die Möglichkeit zum Ausgleich oder sogar zu gewinnen. Wir haben so viel Potenzial in der Mannschaft, aber wer es nicht zur rechten Zeit abruft oder clever genug ist, der verliert so ein Spiel."

Cesare Prandelli (Trainer Italien): "Wir haben allen gezeigt, dass Italien guten Fußball spielen kann. Auf Italien ist zu achten. Insgesamt war es ein tolles Spiel von uns. Wir haben das getan, was wir am besten können: Als eine Einheit auf dem Platz zu agieren. In den letzten 15 Minuten hätten wir die Partie entscheiden müssen. Vorher, als die Deutschen etwas mehr Druck aufgebaut haben, konnten wir uns aber immer wieder gut befreien. Spanien ist im Finale sicherlich der Favorit, aber ich glaube fest daran, dass wir den Titel holen werden."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Löw setzt auf Gomez in der Sturmspitze, Klose sitzt draußen. Im rechten Mittelfeld kommt Kroos zum ersten Startelf-Einsatz bei dieser EM, für ihn muss Müller Platz machen. Podolski darf für Schürrle links ran.

Bei Italien beginnt Chiellini für Abate in der Viererkette, sonst keine Veränderungen im Vergleich zum Viertelfinale gegen England.

5.: Ecke durch Kroos von der linken Seite. Hummels kommt überraschend an den Ball, trifft ihn aber nur mit dem Schienbein. Buffon ist geschlagen, doch Pirlo rettet auf der Linie!

13.: Khedira durchquert das Mittelfeld unbehelligt, rechts raus auf Boateng. Dessen Hereingabe verfehlt zwar Khedira, aber Barzagli bugsiert die Kugel ungelenk haarscharf am rechten Pfosten vorbei. Fast ein Eigentor!

20., 0:1, Balotelli: Cassano tanzt Hummels links vom Strafraum aus und flankt gefühlvoll mit links an den Fünfer. Balotelli steigt hoch, Badstuber schaut zu, Neuer ist chancenlos. Links oben schlägt's ein!

36., 0:2, Balotelli: Nach einer Ecke ist Deutschland weit aufgerückt - bis auf Lahm. Montolivo mit dem hohen Pass auf Balotelli. Perfektes Timing, Lahm rückt nicht raus, kein Abseits. Balotelli nimmt den Ball wunderbar an und zimmert ihn rechts an Neuer vorbei ins Kreuzeck!

49.: Reus zieht von links in den Sechzehner, will zurücklegen, leider ungenau. Dennoch bekommt Lahm den Ball, knallt die Kugel aber mit der Innenseite übers Tor.

62.: Latte! Reus schnappt sich einen Freistoß 21 Meter vor dem italienischen Tor. Vorbildlicher Schlenzer, der an die Querlatte kracht. Und Buffon war noch mit den Fingerspitzen dran!

82.: Di Natale wird in abseitsverdächtiger Position nicht zurückgepfiffen und hat alleine vor Neuer alle Zeit der Welt! Doch er trifft nur das Außennetz.

90.+1, 1:2, Özil (Elfmeter): Balzaretti geht im eigenen Strafraum mit der Hand an den Ball, der Schiri gibt Elfmeter. Özil tritt an und versenkt eiskalt im rechten Eck.

Fazit: Italien war kaltschnäuziger, effektiver und stand hinten sicherer. Absolut verdienter Finaleinzug gegen eine zu harmlose und teils naive deutsche Mannschaft.

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Der Star des Spiels: Mario Balotelli. Einst als Skandalnudel abgestempelt - heute als EM-Held gefeiert. Balotelli hat es bei diesem Turnier bisher allen bewiesen. Ständig in Bewegung, strahlte stets Gefahr aus. Beim ersten Treffer bewies er schulmäßiges Kopfballtiming, der zweite war schlicht eine Augenweide.

Der Flop des Spiels: Lukas Podolski. Rückte für Schürrle zurück in die Startelf, fand aber nie die Bindung zum Spiel. Hinzu kamen einige technische Fehler bei den wenigen aussichtsreichen Szenen, an denen er beteiligt war. Dass er in der Rückwärtsbewegung kaum etwas anbrennen ließ, reicht nicht als Entschuldigung dafür, dass er sich im Angriffsspiel zu wenig zutraute.

Der Schiedsrichter: Stephane Lannoy. Der Franzose hatte in einer äußerst fairen Partie keinerlei Probleme. War stets auf Ballhöhe, allerdings durch den Mangel an kniffligen Szenen auch kaum gefordert. Richtige Entscheidung, Di Natale bei dessen Abseitstor zurückzupfeifen (85.).

Die Trainer:

Joachim Löws Entscheidungen pro Gomez und Podolski entpuppten sich als Fehlgriffe, die er zur Pause korrigierte. Klose und Reus kamen ins Spiel, wobei insbesondere Letzterer seine Einwechslung durch erfrischendes Offensivspiel rechtfertigte. Dennoch muss sich Löw durch seine Umstellungen auch ein wenig an die eigene Nase fassen.

Cesare Prandelli setzte abermals auf das 4-4-2, an dem sich bei dieser EM schon viele Länder die Zähne ausgebissen hatten. Durch die individuelle Klasse von Balotelli und Cassano in der Spitze war es möglich, dass die restlichen acht Feldspieler sich weitestgehend vom gegnerischen Strafraum fernhalten konnten. Der Erfolg gibt Prandellis eigentlich altmodischer Spielweise recht.

Das fiel auf:

  • Özil und Kroos äußerst variabel in Bezug auf die Positionstreue. Meist spielte Kroos den Wachhund für Pirlo, nahm ihn entweder in die Manndeckung oder schloss die Räume im unmittelbaren Umkreis. Dafür ging Özil oft rechts raus. Alternativ rückte Boateng auf und Schweinsteiger sprang als Rechtsverteidiger ein.
  • Zwar wurde Pirlo weitestgehend in Schach gehalten, doch vor dem 0:1 gewährte ihm Özil zuviel Platz, sodass Pirlo Cassano am linken Flügel bedienen konnte. Zu allem Überfluss ließ sich Hummels von Cassano ganz billig austanzen, vor dem 0:2 vergaß Lahm die Abseitsfalle.
  • An Gomez und Podolski lief die Partie in Durchgang eins fast komplett vorbei. Gomez konnte die wenigen Anspiele in die Spitze selten kontrollieren, auch Podolski leistete sich Stockfehler.
  • Italiens Sturmduo Cassano/Balotelli rotierte wild, was die sonst so sattelfeste DFB-Innenverteidigung in entscheidenden Szenen aus dem Konzept brachte. Sobald einer der beiden sich fallen ließ und ein Verteidiger nachrückte, ging die Abstimmung schnell verloren.
  • Nach dem 2:0 igelte sich Italien klassisch ein. Je eine Viererkette im beziehungsweise knapp vor dem Strafraum, die die Räume fürs DFB-Team deutlich enger werden ließen. Lediglich der eingewechselte Reus fand im Zusammenspiel mit Khedira ab und zu noch die Lücke.
  • 20 Minuten vor Schluss ging Löw volles Risiko und brachte Müller für Boateng. Dazu wurde auf Dreierkette umgestellt, mit Schweinsteiger als Libero. Reus gab die zweite Spitze neben Klose. Vorne brachte diese Maßnahme wenig Durchschlagskraft, hinten öffneten sich scheinbar endlose Räume für italienische Konter, die jedoch fahrlässig vergeben wurden.

Portugal - Spanien: Daten zum Spiel

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