EM

Vorsicht vor der Null-Tore-Offensive!

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Der hoch gelobte Angriff der Niederländer mit van Persie und Huntelaar traf gegen Dänemark nicht
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Das Mittelfeld

Das Prunkstück der Niederlande - gegen Dänemark aber auch ein Mosaikstein für die Niederlage. Keine Mannschaft des Turniers war aus dem Mittelfeld heraus gefährlicher, letztlich aber auch unpräziser. Insgesamt kamen die Niederlande zu sagenhaften 28 Torschüssen gegen Dänemark, den meisten bei einem EM-Spiel seit 1980. Zieht man die sechs Torschüsse von Robin van Persie, drei (Kopfball-)Versuche der Verteidiger nach Standards und zwei von Klaas-Jan Huntelaar ab, bleiben 17 Abschlüsse alleine von den fünf Mittelfeldspielern. Dazu kommt Wesley Sneijders ganz besondere Bestmarke von zehn Torschussvorlagen, was ebenfalls einer neuen Bestmarke bei einem EM-Turnier entspricht. Zum Vergleich: Deutschland hatte gegen Portugal nur zwölf Torschüsse zu verzeichnen, bester Vorbereiter war Thomas Müller mit vier Assists. Gemessen an den nackten Zahlen waren die Niederlande also ungeheuer produktiv. Es fehlte den Aktionen von Oranje aber an der nötigen Präzision. Ein Problem dabei war auch die fehlende Kreativität aus dem defensiven Mittelfeld. Mark van Bommel und Nigel de Jong räumten wie gewohnt gut ab. Die Zulieferung an klugen Pässen in die Spitze oder auf die offensiven Mittelfeldspieler war aber nur selten überdurchschnittlich. Vielmehr musste Sneijder viele Bälle tief in der eigenen Hälfte abholen. Mit der Einwechselung von Rafael van der Vaart sollte dies eigentlich besser werden, so richtig kreativ wurde das Spiel aus dem defensiven Mittelfeld in den letzten 20 Minuten aber auch nicht mehr. Arjen Robben und Ibrahim Afellay hatten starke Szenen, kamen oft in die Abschlusssituation, Sneijder kurbelte unermüdlich an, auch wenn ihm am Ende etwas die Kraft ausging. Die Offensivreihe machte an und für sich einen sehr guten Job - es fehlte lediglich die Krönung.

Bei der deutschen Mannschaft durfte Bastian Schweinsteiger neben Sami Khedira im defensiven Mittelfeld beginnen. Schweinsteiger fehlte aber sichtlich noch das Zutrauen, obwohl er mit 11,9 Kilometern die größte Laufstrecke aller Spieler absolvierte. Überraschend überschaubar war aber zum Beispiel die Streuung seiner Zuspiele: Von 46 angekommenen Pässen suchte sich Schweinsteiger lediglich zwölf Mal eine Anspielstation im offensiven Mittelfeld aus. Der Rest waren Zuspiele auf Khedira oder zurück auf einen der Abwehrspieler. Mario Gomez wurde von Schweinsteiger kein einziges Mal angespielt. Also musste Khedira dieses Mal den etwas offensiveren Part übernehmen. Nicht die größte Stärke von Khedira. Trotzdem machte er seine Sache mit der etwas ungewohnten Aufgabenstellung recht gut. Die beiden Außen Thomas Müller und Lukas Podolski klebten förmlich an den Seitenlinien, weil in der Mitte kein Platz war. Beide kamen kaum in die Dribblings, am Ende hatte Deutschland nur zaghafte neun Dribblings zu verbuchen. In den Spielen der Qualifikation waren es noch 35 pro Partie gewesen... Mesut Özil ging weite Wege, rochierte immer wieder auf die Flügel, um sich der Bewachung Velosos zu entziehen. In Müller fand er seinen Lieblingsanspielpartner (fünf angekommene Zuspiele), richtig gefährlich konnte Özil vor dem Tor aber nicht werden. Den Vergleich zu Sneijders Statistik konnte Özil nicht halten. Insgesamt erschien das deutsche Offensivspiel noch wenig austariert. Dabei darf man aber die sehr gute Leistung der Portugiesen nicht außer Acht lassen und die Tatsache, dass in der Defensivbewegung kaum schnelle Konter zugelassen wurden.

Vorteil Niederlande

Der Angriff

Robin van Persie bekam den Vorzug vor Klaas-Jan Huntelaar. Im Prinzip herrscht in den Niederlanden dieselbe Diskussion wie in Deutschland: Braucht die Mannschaft einen spielstarken Angreifer oder einen reinen Knipser? Van Persie hatte wie auch seine Kollegen aus dem offensiven Mittelfeld genügend Torchancen, dazu waren auch seine restlichen Werte sehr ordentlich. Aber: Ihm fehlte das Tor. Huntelaar kam erst 20 Minuten vor dem Spielende zum Einsatz, hatte auch gleich eine hundertprozentige Chance. Aber auch ihm schien die Leichtigkeit aus der Qualifikation abhanden gekommen zu sein. Da hatte er noch alle 57 Minuten ein Tor erzielt und fast jede zweite Chance genutzt. Aber: Beide Angreifer sind körperlich absolut fit und ins System eingepasst. Bert van Marwijk steht vor einer schweren Entscheidung.

An Mario Gomez' Leistung gegen Portugal scheiden sich die Geister. Die Statistiken des Müncheners waren nicht besonders gut. Er kam nur auf zwei Torschüsse und 14 Ballkontakte, seine Passquote von 43 Prozent war die schwächste im deutschen Team. Wie diese Zahl als Stürmer aber einzuordnen ist, zeigen die lediglich 39 Prozent seines Pendants Helder Postiga. Und: Letztlich entschied Gomez mit seinem zweiten Torschuss die Partie. In Miroslav Klose hat Joachim Löw eine tolle Option auf der Bank. Allerdings ist der Römer noch nicht so weit, eine Partie über 90 Minuten zu gehen. In Marco Reus stünde noch eine Alternative bereit, die etwas mehr aus der Tiefe kommen könnte.

Vorteil Niederlande

Die Trainer

Bert van Marwijk steht in der Heimat unter Druck, obwohl er im Auftaktspiel gegen Dänemark nicht viel falsch gemacht hat. Was ihm aber angelastet wird, ist die Tatsache, dass er de Jong zu spät gegen den weitaus kreativeren van der Vaart ausgetauscht habe. Dazu fehlte in der Schlussphase gegen Dänemark, als seine Mannschaft anders als etwa Portugal gegen Deutschland kaum noch zu Torchancen kam, eine echte taktische Idee, um dem Spiel seiner Mannschaft noch einmal mehr Drive zu verleihen.

Joachim Löw hat angesichts einer schwierigen Vorbereitung bisher vieles richtig gemacht. Die Entscheidung pro Hummels war ein Glücksfall, Schweinsteiger hat sicherlich noch erhebliches Steigerungspotenzial. Aber nur durch Wettkampfminuten bekommt er auch Wettkampfhärte. Klose hat er schon auf die richtige Bahn bekommen, er wird für Löw noch ein wichtiger Faktor werden im Turnierverlauf. Ein weiteres großes Plus: Innerhalb der deutschen Mannschaft ist es ruhig, die Ergänzungsspieler (u.a. Per Mertesacker) finden sich vorerst mit ihrer Rolle ab.

Vorteil Deutschland

Die deutsche Gruppe im Überblick