Heiko Vogel im Interview: "Ohne das von Klopp erzeugte Urvertrauen hättest du keine Chance"

Von Niklas König
Heiko Vogel sprach im Interview unter anderem über Jürgen Klopp.
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Wie war es, als der 23-jährige Heiko Vogel ohne Vorerfahrung plötzlich im Bewerbungsgespräch beim FC Bayern saß?

Vogel: Ungefähr so wie das Interview: Sehr angenehm. Werner Kern hat kurz die Grunddaten abgefragt und dann haben wir uns unglaublich lange unterhalten. Vor allem ging es um mein Leistungssportpraktikum unter Jupp Heynckes bei Real Madrid. Dass ich da so kreativ war, fand er sehr spannend. Das war der Türöffner.

Wie bitte? Ein Leistungssportpraktikum bei Real Madrid?

Vogel: So sieht es aus. (lacht) Ein Kommilitone kannte Karl-Heinz Wild vom kicker, der hat das eingestielt. Letztlich war es tatsächlich so einfach. Wir waren dann dreieinhalb Wochen dort, da habe ich Jupp Heynckes als absoluten Gentlemen kennengelernt. Er hat als Trainer von Real Madrid alles für uns gemacht, hat sich rührend um uns gekümmert und Karten für uns besorgt. Das war eine sehr prägende Erfahrung.

Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Vogel: Das war alles unfassbar. Real ist der größte Fußballverein der Welt. Beim Training waren teilweise 10.000 Zuschauer - und übers Santiago Bernabeu müssen wir überhaupt nicht reden. Das ist eine Kathedrale. Wir waren dann auch bei dem Spiel dabei, bei dem das Tor umgefallen ist.

1. April 1998, Halbfinalhinspiel der Champions League, Real Madrid gegen Borussia Dortmund.

Vogel: Ganz genau. Da haben wir ordentlich gefroren - und ewig lange auf das Tor gewartet. Real hat das Spiel dann durch Tore von Fernando Morientes und Christian Karembeu mit 2:0 gewonnen.

Jupp Henyckes bejubelt den Treffer von Christian Karembeu gegen Borussia Dortmund.
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Jupp Henyckes bejubelt den Treffer von Christian Karembeu gegen Borussia Dortmund.

Heiko Vogel: Jupp Heynckes ist "unheimlich gut mit den Spielern umgegangen"

Was ist das Wichtigste, das Sie von Jupp Heynckes gelernt haben?

Vogel: Das kann ich so nicht benennen, dafür war die Zeit zu vielschichtig. Einerseits habe mir natürlich die Trainingsinhalte ganz genau angeschaut. Nach den Einheiten hat uns Jupp Heynckes alles erklärt. Andererseits ist er unheimlich gut mit den Spielern umgegangen. Wie er die ganze Geschichte moderiert hat, war für mich wahrscheinlich die größte Erkenntnis. Da waren ja nur Superstars auf dem Platz. Da sprechen wir über Raul, Bodo Illgner, Roberto Carlos, Davor Suker, Predrag Mijatovic, Fernando Hierro, Fernando Redondo, Clarence Seedorf - nur Weltstars.

Wer hat Sie am meisten ... ?

Vogel: (unterbricht) Fernando Redondo! Der war völlig erhaben. Er war mein absoluter Lieblingsspieler. Unfassbar ballsicher, immer für seine Mitspieler da, Panoramablick, unglaublich elegant.

Wir waren ursprünglich bei Ihrem Bewerbungsgespräch beim FC Bayern. Wie liefen Ihre ersten Tage an der Säbener Straße?

Vogel: Hermann Hummels war damals Cheftrainer der U16 und U17, ich war ihm als Co-Trainer zugeteilt. Ich hatte dann häufiger eine Anwesenheit an der Uni, die nur auf dem Papier stattfand. Ich war vom ersten Tag an fasziniert. Es war genau das, was ich machen wollte. Dementsprechend habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt und alles investiert, was mir zur Verfügung stand, um meinen Weg zu gehen. Ich sehe mich da unglaublich privilegiert und vom Glück geküsst. Dazu war das ja die 1982er Übermannschaft, eine brutale Truppe. Das war der Jahrgang mit Zvjezdan Misimovic, der hochgezogen worden war, mit Daniel Jungwirth, Leo Haas, Thomas Hitzlsperger, Philipp Lahm als jüngerer Jahrgang, Markus Husterer als jüngerer Jahrgang.

War Ihnen schon mit Beginn Ihres Sportstudiums klar, dass Sie eine Trainerlaufbahn einschlagen wollen?

Vogel: Ja, tatsächlich. Das Sport-Grundstudium war sensationell, weil der Praxisanteil sehr hoch war. Da waren unglaublich viele Sportarten dabei: Leichtathletik, Gerätturnen, Rudern, Klettern, alles. Da habe ich sehr viel für die Trainerkarriere mitgenommen. Wenn man sportliche Bewegungen analysiert, ist es gut zu wissen, wo sie herkommen und wie sie funktionieren.

Heiko Vogel über Bastian Schweinsteiger: "Er war ein Filou"

Ist Ihnen aus Ihrer Anfangszeit beim FC Bayern ein besonders prägendes Erlebnis in Erinnerung geblieben?

Vogel: Es gab nicht das eine Ereignis, weil es so viele Erlebnisse waren in meiner ersten Zeit bei Bayern. Irgendwann kam Tiger Gerland dazu. Die ganzen Gespräche, die wir tagtäglich zu dritt mit Hermann Hummels hatten - das war prägend. Es ging vor allem um unsere Haltung, die wir uns da erarbeitet haben: Alles hinterfragen, die Dinge kritisch sehen, den Spielern die nötige Liebe geben. Ich glaube, dass kein Talent gegen den Widerstand des Trainers seine optimale Leistungsfähigkeit entfalten kann. Eine der beeindruckendsten Sachen war Tigers Umgang mit Bastian Schweinsteiger.

Inwiefern?

Vogel: Basti war ja ein Filou, der außerhalb des Platzes auch mal über die Stränge geschlagen hat. Der Tiger hat dann mit einer unfassbar eindrucksvollen Vehemenz gesagt: Der wird was! Alles vermeintlich Negative hat er beiseitegeschoben. Mit welcher Überzeugung er an Talente geglaubt hat - auch an Philipp Lahm, über den er gesagt hat, er sei der Beste, den er je trainiert hat -, das war beeindruckend. Philipp wurde im Verein nicht von allen so positiv gesehen. Tiger hat dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit Philipp seinen Weg geht. Das hat mir gezeigt, dass man für seine Meinung kämpfen und einstehen muss, wenn man von etwas überzeugt ist. Es geht gar nicht darum, immer recht zu behalten. Es ist definitiv so, dass auch mal Fehleinschätzungen dabei sind.

Wie sah in Ihrer Anfangszeit ein typischer Arbeitstag aus?

Vogel: Unterschiedlich. Die Jungs hatten damals im B-Jugendbereich circa sechs Einheiten pro Woche und wir haben eigentlich jede freie Minute auf dem Trainingsgelände verbracht. Ich habe fürs Studium nur noch das Nötigste gemacht und war dann relativ schnell scheinfrei. Wir haben auch Sondertraining im Kleinfeldbereich angeboten für die U8 bis U11. Das waren zwei zusätzliche Einheiten pro Woche, die die Kids freiwillig wahrnehmen konnten. Wir waren schon fleißig und innovativ, weil wir Spaß an der Sache hatten. Ich habe auch unglaublich viele Abende mit Hermann Hummels verbracht und stundenlang über Fußball gesprochen. Das hat meine Sinne geschärft. Dann gab es verschiedene Sichtungen, auch internationale, dazu ganz spannende Jugendturniere. Am Wochenende hattest du ein Spiel, ansonsten hast du dir andere Spiele angesehen. Ich glaube, dass wir in München und Umgebung über sämtliche Spieler sehr gut Bescheid wussten.

Bastian Schweinsteiger war ein Filou, sagt Heiko Vogel.
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Bastian Schweinsteiger war ein Filou, sagt Heiko Vogel.

Heiko Vogel über Thomas Müller und Holger Badstuber

Wie ging es dann für Sie weiter?

Vogel: Nach meiner ersten Saison hat sich Hermann Hummels dafür eingesetzt, dass ich meine erste eigene Mannschaft als Cheftrainer bekomme. Dann habe ich die U10 mit den 1990ern bekommen. Wieder eine talentierte Truppe. Mit Mehmet Ekici, Diego Contento und Co. Danach habe ich sieben weitere Jahre im Verein verschiedene Mannschaften trainiert, da war von der U13 bis zur U17 alles dabei. Das war Learning by Doing, Trial and Error. Ich konnte mich entwickeln, weil ich viele Lehrmeister hatte: Werner Kern, Tiger Gerland, Hermann Hummels, Stefan Beckenbauer, Kurt Niedermayer - das waren alles für mich große Persönlichkeiten, von denen ich viel gelernt habe.

Gab es neben der 1982er- und der 1990er-Mannschaft eine weitere, die Sie besonders beeindruckt hat?

Vogel: Die 1989er mit Thomas Müller und Holger Badstuber waren natürlich auch nicht so schlecht. (lacht) Wir hatten in den Jahren zuvor lange versucht, in die B-Jugend-Bayernliga aufzusteigen, mit dem Jahrgang haben wir es geschafft.

Waren Müller und Badstuber damals schon die besten Spieler Ihrer Mannschaft?

Vogel: Beide waren sehr talentierte Spieler, die sich im Schatten anderer in Ruhe entwickeln konnten. Dass sie über sehr viel Talent verfügen und dass es sehr weit gehen kann, konnte man sehen. Thomas' Vater hat mich nach der C-Jugend-Saison angerufen und sich erkundigt, wie man seinen Sohn sieht. Da habe ich ihm gesagt: 'Machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich weiß nicht, wie weit es geht, aber ich glaube, dass er sich ganz locker ein Studium finanzieren kann.'

Gab es einen sehr talentierten Spieler beim FC Bayern, der es nicht gepackt hat?

Vogel: Gab es, da werde ich aber keinen Namen nennen. Ich erzähle ungern von Verlierern. Es gibt aber auch Spieler, die einfach Pech hatten. Wir hatten zum Beispiel mit Markus Grünberger einen herausragenden Torwart, der leider an seinen Kreuzbandrissen gescheitert ist. Verletzungen können auch über Karrieren entscheiden.

Am Dienstag erscheint bei SPOX und Goal der zweite Teil des Interviews mit Heiko Vogel. Dort spricht er über seine Zeit in Basel, die Kuriositäten rund um die Verpflichtung von Mohamed Salah und die Gefahr, Talente zu verkennen. Außerdem: die Schattenseiten eines Doppeljobs beim FC Bayern, die Probleme bei der Integration von Talenten, die Zusammenarbeit mit einem Investor beim KFC Uerdingen.