"Real-Fans sind fast alle Erfolgsfans"

Stieg mit den Zebras auf und kickt nun in Cottbus: Christopher Schorch
© imago

Mit 18 ging es für ihn zu Real Madrid, nach diversen Verletzungen verschlug es Christopher Schorch nun abermals zum FC Energie Cottbus. Der inzwischen 26-Jährige spricht über seine Zeit bei den Königlichen, Vergleiche mit Holger Badstuber, Frustfressen während der Reha und den Vorteil vom Stadion der Freundschaft gegenüber dem Estadio Bernabeu.

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SPOX: Herr Schorch, Sie sind 26 Jahre alt und haben bereits für sechs Vereine gespielt. Es heißt, Sie seien ursprünglich nur deshalb zum Fußball gekommen, weil Sie in der Schule nicht ruhig sitzen konnten.

Christopher Schorch: Das stimmt nicht ganz, aber ich war ein sehr aufgewecktes Kind. Selbst nach der großen Pause konnte ich als kleiner Junge nicht stillsitzen, weil ich zu viel Energie hatte. Daher bat meine Lehrerin damals meinen Vater, mich zum Sport zu schicken. Zunächst machte ich Karate, da ich mit einem befreundeten Asiaten in dieselbe Klasse ging. Als ich aber gesehen habe, wie die Jungs in den Spagat gehen, war das nicht wirklich etwas für mich. Erst danach bin ich zum Fußball gekommen.

SPOX: Dort ging es auf Anhieb steil bergauf. Sie wurden für die sächsische Landesauswahl nominiert und einige Bundesligisten klopften an. Doch dann kam ein Beinbruch.

Schorch: Das war bei einem Hallenturnier in Zwickau. Zuvor gab es viele Anfragen aus der Bundesliga. Wolfsburg, Schalke, Nürnberg, Bremen oder Hertha BSC wollten mich verpflichten. Nachdem ich wieder fit war, zeigte nur noch die Hertha ernsthaftes Interesse, weshalb ich dann dort in die Jugendakademie gewechselt bin.

SPOX: Nach drei Jahren in Berlin verließen Sie 2007 den Verein, weil Sie sich während eines Perspektivgesprächs angeblich mit dem damaligen Manager Dieter Hoeneß überworfen hatten. Was ist da genau vorgefallen?

Schorch: Zu dieser Zeit kehrten alle großen Talente dem Klub den Rücken. Die Boateng-Brüder, Sejad Salihovic, Ashkan Dejagah - alle gingen. Da kommt man dann selbst natürlich auch ins Grübeln. Dazu war Falko Götz, unter dem ich mein Bundesligadebüt feierte, nicht mehr der Cheftrainer und ich kam kaum mehr zum Zug. Herr Hoeneß hatte mir in den Gesprächen auch ein gutes Angebot vorgelegt. Ich kam jedoch zu dem Entschluss, eine neue Herausforderung suchen zu wollen. Das verstand man bei Hertha allerdings nicht. Herr Hoeneß dachte, mir ginge es nur ums Geld - dabei sah ich einfach keine Perspektive mehr. Es war keine Flucht.

SPOX: Sie wechselten nicht zu irgendeinem Verein, sondern zu Real Madrid in die zweite Mannschaft. Wie kam der Kontakt überhaupt zustande?

Schorch: Sie wurden bei der U17-EM 2006 auf mich aufmerksam. Ich konnte zusammen mit Spielern wie Stevan Jovetic oder Bojan Krkic für Aufsehen sorgen. Predrag Mijatovic, Reals damaliger Sportdirektor, beobachtete mich anschließend bei der Hertha. Ich bekam in Madrid einen Fünfjahresvertrag und war als Investition in die Zukunft geplant. Wären Bernd Schuster Trainer und Mijatovic Sportdirektor geblieben, hätte ich auch länger als die drei Jahre dort gespielt. Leider mussten aber beide gehen. Ich hatte dann bei Real keine Lobby mehr. Und so stand ich dann als 19-Jähriger in der Welt-Metropole Madrid ziemlich alleine da.

SPOX: Gab es keine Unterstützung aus der Mannschaft? Christoph Metzelder spielte beispielsweise damals ja auch in Madrid.

Schorch: Ich hatte Kontakt mit vielen der Jungs, auch mit Adam Szalai verstand ich mich gut. Freundschaften bringen einen aber nicht weiter. Höchstens zum Trainer, aber wie oft gibt's das schon? (lacht) Ich hatte viele Spiele am Stück bestritten, kam über zwei Jahre konstant in der zweiten Mannschaft zum Einsatz und brachte auch in den DFB-Jugendteams meine Leistung. Doch meine beiden Förderer im Verein waren weg, so dass ich 2009 letztlich zum 1. FC Köln wechselte.

SPOX: Bereuen Sie den Abgang aus Madrid im Nachhinein?

Schorch: Vielleicht war ich zu ungeduldig. Ich hatte das Angebot aus Köln und dann nur die Bundesliga im Kopf. Wenn ich jetzt aber sehe, wer bei Real mittlerweile regelmäßig zum Kader gehört, damals in der Jugend aber kaum eine Rolle spielte, muss ich schon sagen, dass mein Abschied möglicherweise ein wenig verfrüht war. Nacho Fernandez beispielweise ist jetzt spanischer Nationalspieler.

SPOX: In Köln lief es bis zu einer erneuten Verletzung ziemlich gut. Ihre Verletzungshistorie ist dennoch beachtlich: Beinbruch, Kreuzbandriss, Sehnenriss im Oberschenkel, Muskelfaserriss, Patellasehnenriss, Knorpelschaden, Schweinegrippe - da war fast alles mit dabei.

Schorch: Mit der Schweinegrippe fiel ich aber lediglich zwei Tage aus. Ich war eben der erste Fußballer, von dem öffentlich bekannt wurde, dass er sich infiziert hatte. Dabei wollte ich mich kurz davor noch dagegen impfen lassen. Insgesamt gesehen ist es schon so, dass ich mit Sicherheit zu häufig verletzt war. Es ist nun einmal so gelaufen, wie es gelaufen ist. Ich bin jetzt seit rund drei Jahren verletzungsfrei und denke nun so: Die Jahre, die ich verpasst habe, hänge ich einfach hinten dran. (lacht)

SPOX: Wie haben Sie sich in den Reha-Phasen immer wieder motivieren können zurückzukommen?

Schorch: Im Fußball entscheidet sich zu 80 Prozent alles im Kopf. Meine Frau gibt mir viel Kraft und Halt. Ich habe auch viel im mentalen Bereich gearbeitet. Es bringt einfach nichts, wenn man zu lange im Selbstmitleid badet. Schauen Sie sich Holger Badstuber an: Auch er hat viele gesundheitliche Rückschläge erlitten, kämpft sich aber immer wieder zurück - und das bei einem top-besetzten Verein wie dem FC Bayern.

SPOX: Wie sah die Arbeit im mentalen Bereich konkret aus?

Schorch: Ich hatte einen Mentalcoach, der mir beibrachte, dass Körper und Psyche Hand in Hand gehen müssen. Ich habe mich daher komplett durchleuchten lassen. Ich bekam daraufhin Einlagen für die Schuhe verschrieben und habe beispielsweise auch meine Ernährung umgestellt. Nach den vielen Verletzungen und durch die Arbeit mit dem Mentaltrainer lernte ich meinen Körper viel besser kennen und verstehen.

SPOX: Laut einer Studie leiden verletzungsanfällige Sportler häufiger an Depressionen. Gab es bei Ihnen Phasen, in denen es schwerer war als sonst, aus dem Bett zu kommen?

Schorch: In den ersten zwei Wochen nach einer Verletzung vielleicht schon, das ist meiner Ansicht nach aber nur menschlich. Da isst man dann abends auch einfach mal aus Frust eine Pizza, hockt bis in die Nacht an der PlayStation und lebt weniger diszipliniert. Das sollte man sich in solch einer Phase aber auch einfach mal zugestehen. Man ist niedergeschlagen und letztlich launischer als sonst.

SPOX: Zur Zeit Ihres letzten Interviews mit SPOX trainierten Sie noch mit Stars wie Raul, Sergio Ramos oder Arjen Robben. Seit Oktober 2015 sind Sie nun bei Energie Cottbus angestellt. Waren Sie damals glücklicher, als Sie es heute sind?

Schorch: Real war eine andere Welt. Ich war sehr jung und sah die Dinge anders. Inzwischen habe ich eine kleine Familie und gehe vieles entspannter an. Ich bin längst gereift. Wenn ich jetzt für Cottbus vor 4000 Zuschauern gegen Dresden spiele, macht mir das genauso viel Spaß wie damals in Madrid. Geht es nach mir, braucht man geile Fans und keine großen Stadien, um eine tolle Stimmung zu erzeugen. Das Bernabeu lebt zum Beispiel nur von seinem Mythos. Die Real-Fans sind fast alle Erfolgsfans. Dort geht niemand mit, wenn ein wichtiger Zweikampf gewonnen wird. Madrid erwartet immer nur Show von dir. Die Zeit bei Real wird immer in meinem Kopf bleiben. Ich habe etwas erlebt, was nur wenige erleben dürfen. Ich hadere nicht mit meiner Karriere.

SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu Mitspielern von damals?

Schorch: Zuletzt sah ich viele beim Abschiedsspiel von Raul wieder. Mit ihm hatte ich im Anschluss noch den meisten Kontakt. Er hat mir damals auch extrem viel geholfen. Sehen Sie, es gibt in Deutschland viele junge und sehr talentierte Spieler, die aber nur selten begreifen, welch Privilegien sie als Profi-Fußballer haben. Doch dafür muss man kontinuierlich hart arbeiten. Ich hatte sicherlich auch Phasen, in denen ich dachte, dass mir niemand etwas könne. Es gibt sehr viele Schulterklopfer in diesem Geschäft. Förderlicher für deine Entwicklung ist es aber, wenn dir einer sagt, dass du schlecht gespielt hast. Raul war so jemand. Er nahm mich an die Hand, sprach viel mit mir sprach und meinte: 'Junge, komm' mal wieder runter und arbeite an dir'. Das war beeindruckend und hilfreich zugleich.

Christopher Schorch im Steckbrief