Mehr Fußballprojekt als Verein

Von Hannes Hilbrecht
RB Leipzig liegt derzeit hinter Heidenheim auf dem zweiten Tabellenplatz in der 3. Liga
© getty

Als sogenanntes Fußballprojekt ist RB Leipzig aufgrund seiner Vereinsstrukturen nicht nur in der 3. Liga umstritten. Vor allem im kriselnden Ostfußball sind die Antipathien für den von Red Bull gesponserten Klub stark ausgeprägt. Auf Dauer dürfte der Leipziger Weg unter Sportdirektor Ralf Rangnick dennoch in die Bundesliga führen.

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Es gibt Dinge, die hat man immer komplett und in aller Konsequenz ausgeschlossen, wahr wurden sie trotzdem irgendwann. Zum Beispiel, dass Fans des FC St. Pauli oder Dynamo Dresden dem FC Hansa Rostock vor einem Punktspiel die besten Wünsche mit auf den Weg geben.

Etwas plausibler wird es, wenn der Blick auf den jüngsten Gegner der Rostocker gerichtet wird. Schließlich stieg am Samstag das Duell zwischen RB Leipzig und Hansa Rostock, quasi die Uraufführung einer Rivalität, deren Zukunft aufgrund der existenziellen Sorgen der Hanseaten noch in den Sternen steht.

Doch nicht nur bei den Fans an der Ostsee ist "Rasenballsport" Leipzig ein heißes Diskussionsthema. Auch in der Bundesliga wird über den Klub aus Sachsen debattiert, erst kürzlich tat Fredi Bobic dies öffentlich. Thema: Der angebliche Talente-Klau, den die finanziell breit aufgestellten Leipziger angeblich betreiben würden.

So zitierte die "Bild" den Stuttgarter Manager wie folgt: "Es geht um Zwölfjährige, die hier abgeworben werden sollen. Es ist absolut unverantwortlich, Kinder in diesem Alter ohne Not aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen". Wenig verwunderlich, dass die Antwort in Form eines ebenso drastischen Dementi nicht lange auf sich warten ließ.

Große Kluft im Ostfußball

Obwohl die Thematik so schnell aus dem Blätterwald entschwand, wie sie überhaupt erst aufgekommen war, ist sie sinnbildlich für Diskussionen über den Klub mit österreichischer Millionenunterstützung. Eine Diskussion, in der eine objektive Führung nahezu ausgeschlossen ist und die sich auf vielen Ebenen abspielt.

Noch im Februar, Leipzig damals noch in den Niederungen der 4. Liga um den Aufstieg kämpfend, machten sich prominente Gesichter der Bundesliga bei einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf ihre Gedanken. Frankfurts Heribert Bruchhagen fragte provokant: "Was sollen wir mit Rasenschach Leipzig?"

Besonders groß ist die Kluft zwischen RB Leipzig und den anderen Vereinen mitsamt ihren Fans im Osten der Republik. Das liegt natürlich an der regionalen Lage, vor allem aber am Traditionsbewusstsein im Gebiet der ehemaligen DDR.

Das kommt nicht von ungefähr, der Ostfußball steht womöglich schlimmer da als je zuvor. Dynamo Dresden, Energie Cottbus und Erzgebirge Aue werden die laufende Saison wohl im Abstiegskampf zubringen.

Keine große Historie

Union Berlin ist momentan der einzige Ost-Verein, dem mittelfristig der Sprung ins Oberhaus gelingen kann. In der eng gestaffelten 3. Liga sieht es nicht anders, wobei RB Leipzig der einzige Klub ist, dem realistische Aufstiegschancen eingeräumt werden.

In Anbetracht der sportlichen Misere befindet sich die Tradition im Wertebewusstsein auf einer ähnlichen Stufe wie der sportliche Erfolg, was die Antipathie gegenüber RB Leipzig zusätzlich steigert. Große Historie besitzt der 2009 gegründete Klub wahrlich nicht.

Dazu kommt der große Konkurrenzgedanke. Schließlich dürfte sich das von "RedBull" flankierte Fußballprojekt wohl langfristig bis in die Bundesliga hocharbeiten, die sich die Anhänger von Traditionsvereinen wie Dresden und Rostock aus altem Selbstverständnis für ihren Klub ersehnen.

Parallel nimmt auch der Konkurrenzdruck um die 2. Bundesliga im Gleichschritt zu, was auch kleinere ambitionierte Teams aus dem östlichen Raum betrifft. Zu allerletzt sorgt auch das immense finanzielle Ungleichgewicht zwischen RB Leipzig und seiner Konkurrenz für grundsätzliche Missstimmung.

Ritter: "Verteilung der TV-Gelder ungerecht"

Peter Ritter, seit 19-Jahren Mitglied des Schweriner Landtages und innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, stört sich als langjähriger Beobachter des Ostfußballs jedoch mehr an dem System selbst, als an den kritisierten Fußballklubs.

So erklärte er in einem in Interview beim Hamburger Sportportal "BLOG-TRIFF-BALL": "RB Leipzig im Osten, Hoffenheim im Westen, große Konzerne bei den großen Klubs ...wo ist da der Unterschied?"

Er sieht zum Beispiel eher Änderungsbedarf bei der Fernsehgeldvergabe: "Wer viel hat, kann sich nicht nur viel leisten, sondern bekommt noch viel mehr als andere dazu (z.B. TV-Gelder). Das ist ungerecht und muss sich ändern!"

So sind die enormen Animositäten gegenüber dem derzeitigen Tabellenzweiten der 3. Liga vielschichtig, die Liste der Kontra-Leipzig Argumente ist deutlich länger, als bisher dargestellt.

Verzicht auf klassische Fußballmillionäre

Diese Vielfalt an Argumenten, die für die eigene Meinung sprechen und somit das Gefühl der Unantastbarkeit der eigenen Aussage suggeriert, vernebelt jedoch den Blick für Punkte, die durchaus für den derzeitigen Tabellenzweiten sprechen.

Zum Beispiel, dass die RB-Verantwortlichen einen behutsamen Weg gehen, eine Mannschaft mit übermäßig jungen Spielern an den Start bringen und wohlgemerkt noch auf klassische Fußballmillionäre verzichten.

Dass die Investitionen in den Jugendbereich und die gesamte Infrastruktur zwar markant sind, jedoch keineswegs blindem Aktionismus zum Opfer fallen.

Der Eindruck, dass Geld wahllos verpulvert wird, kam bisher nicht zu Stande. Im Gegenteil, die Arbeit ist perspektivisch gesehen kaum kritisierbar. Das Wichtigste ist jedoch, dass das Fußballprojekt in der Messestadt angenommen wird.

OB: "Leipzig braucht erstklassigen Fußball"

Über 11.500 Zuschauer besuchen im Schnitt die Drittliga-Spiele. Der Fußball begeistert einen breiten Querschnitt der Menschen in Leipzig und erfüllt auf diese Weise vielleicht seine wichtigste Aufgabe. Ob die Begeisterung aus Tradition oder sportlichem Erfolg erwächst, ist schließlich die individuelle Entscheidung jedes Fußballinteressierten.

So positionierte sich auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung im Sommer offen zum neuen sportlichen Aushängeschild seiner Stadt: "Wenn ich sehe, wie schnell sich RB in die Herzen der Leipziger gespielt hat, dann weiß man, wie sehr die Stadt nach vernünftigem Fußball lechzt", sagte er.

Zusätzlich betonte Jung den wirtschaftlichen Mehrwert für die Stadt: "Auch als Wirtschaftsfaktor ist die Bundesliga gut für unsere Stadt. Leipzig ist erstklassig und braucht erstklassigen Fußball."

Alles gut und schön für RB könnte man meinen, wäre da nicht ein markanter Haken: Trotz einer wachsenden Anhänger-Basis öffnen sich die Verantwortlichen immer noch nicht zu einem Verein im klassischen Sinne. Die Mitgliederzahl wird bewusst gering gehalten, Anträge auf Mitgliedschaft können noch immer ohne Angabe von Gründen zurückgewiesen werden.

Mitbestimmung der Fans unerwünscht

Die Mitbestimmung der Fans ist nach wie vor unerwünscht, Meinungen der zahlenden Kundschaft sind letztendlich unbedeutend. Den Begriff "Verein" wird RB Leipzig allenfalls teilweise gerecht.

Bisher gelang es den Sachsen um Macher Ralf Rangnick im Hintergrund stets, genormte Richtlinien mit viel Verve zu umschiffen.

Verfolgt der Rasenballsport Leipzig das mittelfristige Ziel, seine Akzeptanz im lokalen Raum zu steigern und sich vom Hassbild zu distanzieren, dann bleibt nur der Weg hin zum transparenten Verein.

Es bleibt abzuwarten, ob die Österreichischen Verantwortlichen diesen Weg gehen. Doch eins steht fest: In puncto Marketing ist diese Kontroverse um RB Leipzig definitiv wertvoll.

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