Wiese bringt Bremen ins Pokal-Finale

Von Stefan Rommel
Der Matchwinner: Bremens Torhüter Tim Wiese hielt gegen Hamburg drei Elfmeter
© Getty

Werder Bremen steht nach 2004 wieder im Endspiel um den DFB-Pokal. Die Bremer siegten im Halbfinale beim Hamburger SV mit 4:2 (1:1, 1:0) nach Elfmeterschießen und folgen damit Bayer Leverkusen, das bereits am Dienstag durch ein 4:1 nach Verlängerung gegen Mainz 05 den Weg nach Berlin ebnete.

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Vor 54.237 Zuschauern in der ausverkauften HSH-Nordbank-Arena in Hamburg waren die Gäste aus Bremen fast über die gesamten 120 Minuten das eindeutig bessere Team.

Abwehrchef Per Mertesacker traf nach einem Freistoß von Diego per Abstauber zur frühen Bremer Führung (11.). Ivica Olic sorgte nach einem schnellen Konter für den schmeichelhaften Ausgleich für den HSV (67.). Quasi mit dem Schlusspfiff sah HSV-Kapitän David Jarolim nach einer Notbremse Rot (90.).

Da auch nach 30 Minuten Verlängerung kein Sieger ermittelt werden konnte, musste das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. Dort wurde Tim Wiese zum Mann des Abends. Der Bremer Torhüter hielt gleich drei Hamburger Elfmeter!

"Das war heute ein super Abend. Wir waren der Außenseiter und haben ein Klasse-Spiel gemacht. Das war der größte Tag meiner Torwart-Karriere!", jubelte der Matchwinner nach dem Spiel.

"In Pokalspielen haben wir immer ein klares Ziel vor Augen. Da setzt sich die Mannschaft hervorragend durch", resümierte Werder-Trainer Thomas Schaaf.

Für den HSV ist damit die erste von drei Titelchancen dahin, während Werder weiter von zwei Pokaltriumphen träumen darf.

"Wir haben gekämpft bis zum Ende und haben das mit zehn Mann nicht schlecht gemacht. Im Elfmeterschießen waren die Spezialisten wie Petric, Jarolim und Guerrero schon draußen", haderte HSV-Coach Martin Jol.

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Der HSV erneut mit Torjäger Petric in der Startelf, daneben Olic im Sturm. Guerrero etwas zurückgezogen im Mittelfeld, dafür Trochowski nur auf der Bank.

Bei Bremen sind Diego und Özil nach ihren kleineren Blessuren zurück im Team. Ansonsten die erwartete Formation mit Baumann vor der Abwehr.

5.: Riesen-Ding für Werder. Jarolim mit dem katastrophalen Fehler vor dem eigenen Sechzehner. Pizarro auf Özil, der ist rechts durch und passt flach in die Mitte. Almeida verpasst fünf Meter vor dem Tor nur um Zentimeter.

11., 0:1, Mertesacker: Freistoß von Diego vom linken Strafraumeck. Schönes Ding, direkt auf den linken Winkel zu. Rost pariert mit einer Hand, ist aber beim Abpraller von Mertesacker aus fünf Metern machtlos.

18.: Hamburg wird wütend. Guerrero zieht aus 20 Metern ab. Aus zentraler Position haarscharf am linken Pfosten vorbei. Da wäre Wiese nicht rangekommen.

21.: Naldo-Raketen-Freistoß aus 40 Metern. Rost ist irritiert und klärt den Ball noch eben so mit beiden Fäusten.

29.: Wieder eine schöne Kombination: Özil links raus auf den aufrückenden Boenisch. Der fasst sich ein Herz und ballert mit links aus 15 Metern drauf. Rosts Reflex verhindert das 0:2.

47.: Jansen flankt von links scharf zur Mitte. Wiese greift am Fünfer vorbei, aber Pitroipa ist einen Schritt zu spät dran.

66.: Scharfe Hereingabe von Pizarro von rechts. Gravgaard steht am Fünfer und schießt aufs eigene Tor. Rost schon geschlagen, der Ball fliegt knapp drüber.

67., 1:1, Olic: Konter HSV. Pitroipa auf Olic, der scheitert frei vor Wiese. Den Nachschuss ballert Demel aufs Tor, Olic ist erneut da, hält die Fußspitze rein und verlängert den Ball in die lange Ecke.

90.: Rot für Jarolim: Özil geht mit Zug über die linke Seite ab. Der Nationalspieler ist frei durch, Jarolim geht als letzter Mann nur in die Beine. Klare Sache.

94.: Glanztat von Rost. Rosenberg startet nach einem Doppelpass mit Pizarro in den Strafraum. Vom linken Fünfer-Eck zieht er ab, doch Rost kommt raus und hält.

96.: Ecke von links und Rosenberg köpft aus sechs Metern. Rost reagiert blitzschnell und lenkt die Kugel über die Latte.

108.: Naldo mit einem Freistoß von halbrechts aus 25 Metern. Die Mauer löst sich in Luft auf und der Ball geht aufs kurze Eck. Rost ist zur Stelle.

111.: Konter HSV. Olic von rechts zur Mitte. Trochowski kommt ran und schließt von links ab. Der Ball zischt Millimeter am langen Pfosten vorbei.

120.: Noch ein Konter der Gastgeber. Pitroipa alleine vor Wiese, aber der ist rechtzeitig raus und rettet.

2:1: Mathijsen trifft flach ins rechte Eck.

2:2: Pizarro mit Riesen-Dusel, vom linken Pfosten geht der Ball rein.

2:2: Boateng zielt nach links - und Wiese hält!

2:3: Özil ganz sicher, halbhoch ins linke Eck.

2:3: Wiese hält gegen Olic! Schuss nach rechts, der Werder-Keeper ist wieder da.

2:4: Was ein Dusel! Frings ballert an die Latte, der Ball springt zweimal auf die Linie und geht dann rein.

2:4: WIESE! Jansen zielt nach links, der Keeper ist da und wird zum Held das Abends!

So lief das Spiel: Bremen war von der ersten Sekunde an hellwach und deutlich schneller im Spiel als der HSV. Die Gäste zeigten gleich Biss und Aggressivität und auch die eine oder andere flüssige Kombination. Ganz anders als der HSV: Die Gastgeber wirkten gelähmt und geistig nicht frisch.

So ging auch die Führung der Bremer zu diesem frühen Zeitpunkt in Ordnung - weil sich Bremen wie der Hausherr im fremden Stadion benahm. Hamburg war vom Bremer Elan derart beeindruckt, dass Wiese in der ersten Halbzeit nicht einen einzigen Ball zu halten hatte.

In der zweiten Halbzeit kämpfte sich der HSV zumindest in Ansätzen ins Spiel - die Kontrolle über das Geschehen hatten aber weiterhin die Gäste. Bremen versäumte es aber, aus seiner spielerischen Überlegenheit weiter Kapital zu schlagen und wurde nach einem Konter dafür bestraft.

Bremen benötigte ein paar Minuten, um sich vom Schock zu erholen, fand dann aber wieder zu seinem Spiel und war bis zum Ende der regulären Spielzeit wieder das aktivere Team.

In der Verlängerung war Bremen mit einem Mann mehr auf dem Feld natürlich klar feldüberlegen, der HSV verschanzte sich am und um den eigenen Strafraum und hoffte nur noch aufs Elfmeterschießen. Im Endeffekt entwickelte sich eine halbe Stunde lang ein Spiel wie beim Handball: Immer um den Kreis - in diesem Fall der Hamburger Sechzehner - herum.

Der Star des Spiels: Tim Wiese hatte die Mind Games vor dem ersten von vier Aufeinandertreffen gestartet und den Mund ziemlich vollgenommen. In Hamburg, wo der Werder-Keeper nach seiner Kung-Fu-Einlage gegen Olic nicht mehr wohl gelitten ist, zeigte der Nationalkeeper aber eine tadellose Leistung in 120 Minuten und eine phantastische Vorstellung im Elfmeterschießen. Wiese machte den Big Point für Werder perfekt und ließ den großen Worten auch große Tagten folgen. Das macht Eindruck und lässt unter Umständen auch bleibenden Eindruck beim Bundestrainer.

Die Gurke des Spiels: Bisher waren Martin Jol und seine Entscheidungen beim HSV über jeden Zweifel erhaben. Was den Trainer bei seiner personellen und taktischen Ausrichtung aber geritten hat, wird wohl sein Rätsel bleiben. Jol brachte drei nominelle Spitzen - aber keinen Zulieferer aus dem Mittelfeld. Den defensiv stärkeren Aogo stellte er ins linke Mittelfeld - und den offensiv stärkeren Jansen auf die linke Verteidigerposition. Den staksigen Alex Silva gegen Diego zu stellen, war unglücklich. In der zweiten Halbzeit stellte er durch seine Wechsel auch noch zweimal System und Positionen um und verhinderte damit quasi von der Bank aus, dass seine Mannschaft endlich Linie ins Spiel brachte. Alles kleine Mosaiksteine, die aber im Gesamten zu einer uninspirierten Hamburger Leistung führten.

Die Lehren des Spiels: Was war das jetzt, HSV? Aufkommender Kräfteverschleiß, geistige Müdigkeit, falsche Einstellung? Offenbar von allem ein bisschen. So blutleer und einfallslos wie in diesem wichtigen Spiel hat man den HSV in dieser Saison noch gar nicht gesehen.

Die Taktik von Trainer Martin Jol mit drei rochierenden Spitzen, aber ohne das kreative Element im Mittelfeld ging in der ersten Halbzeit komplett in die Hose - Hamburg hatte keinen Trochowski oder zumindest Pitroipa in der Elf und damit null Struktur, null Esprit und deshalb auch null Chancen. In 45 Minuten verirrte sich nicht ein Torschuss aufs Bremer Gehäuse.

Bremen verkörperte das, was man im letzten Spiel vor dem Finale in Berlin verkörpern muss: den unbedingten Siegeswillen. In nahezu jeder Aktion, ob in der Abwehr, im Mittelfeld oder am gegnerischen Strafraum, wollten die Gäste mit aller Macht den Ball und schonten dabei weder sich noch den Gegner.

Dabei stellten sich die Gäste noch ungeheuer variabel an - und sich seine "Künstler" voll und ganz in den Dienst der Mannschaft. Diego grätschte, rackerte, rochierte auf die Außen. Özil kam mal über rechts, dann wieder über links. Selbst Arbeitsbiene Baumann schaltet sich mit nach vorne ein und stiftete Verwirrung, mit der der HSV über weite Strecken überhaupt nicht zurecht kam.

Werders Mannschaftsleistung war nahezu perfekt, nur die Sache mit dem zielstrebigen Toreschießen und das Ausspielen der Überzahlsituation in der Verlängerung wurde nicht gut gelöst. Bremen zeigte, dass es sich auf den Punkt auf ein Ereignis konzentrieren kann - trotz einer eher durchschnittlichen Saison in der Liga.

Kleine Randnotiz: Ähnlich wie vor einigen Wochen gegen den VfB verlegte Diego die Ausführung des Freistoßes vor dem 1:0 um einige Meter. Wie damals Lehmann mahnte auch Rost bei Schiri Kircher an - und blieb ungehört.

Hamburger SV - Werder Bremen