"Ancelotti wird flexibler spielen"

2000, 2003 und 2008 gewann Ottmar Hitzfeld den DFB-Pokal - jedes Mal mit dem FC Bayern München
© getty

Sechs Jahre lang war Ottmar Hitzfeld Trainer von Borussia Dortmund, sieben Spielzeiten stand er anschließend beim FC Bayern München an der Seitenlinie. Der 67-Jährige spricht vor dem DFB-Pokalfinale zwischen FCB und BVB (Sa., 20 Uhr im LIVETICKER) im Interview über die Personalien Mats Hummels und Mario Götze, die Bilanz von Pep Guardiola und erklärt seine Ansicht zum künftigen Bayern-Coach Carlo Ancelotti.

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SPOX: Herr Hitzfeld, Sie trainierten den FC Bayern von 1998 bis 2004 und noch einmal von 2007 bis 2008. Wie wahrscheinlich wäre es zu Ihrer Zeit gewesen, dass die Münchner an einem Tag über 70 Millionen Euro für zwei Spieler hinblättern?

Ottmar Hitzfeld: Sehr unwahrscheinlich. (lacht) Transfersummen, Gehaltsgefüge, Umsätze, Einnahmen, TV-Gelder - das alles ist längst explodiert, das Gesamtbudget deutlich höher als zu meiner Zeit. Die gesamten Marktverhältnisse haben sich drastisch verändert. Die Bayern gaben schon immer viel Geld aus, nehmen aber auch immer noch mehr Geld ein. Und das ohne Scheich oder Oligarch im Rücken. Es ist für mich deshalb nicht außergewöhnlich, sondern nur den derzeitigen Gegebenheiten angepasst.

SPOX: 35 Millionen Euro für einen 18-Jährigen sind schon ein Pfund.

Hitzfeld: Man hat auch früher schon vorzeitig Talente verpflichtet. Ein Sebastian Deisler ist 2002 zwar nicht eingeschlagen, hat für die damaligen Verhältnisse aber auch enorm viel Geld gekostet. Es sind mittlerweile einfach neue Dimensionen erreicht worden, auch in Deutschland. Und es wird nicht günstiger, die Preise werden weiter steigen. England ist das Problem. Nicht umsonst schließen die Bayern viele langfristige Verträge mit Leistungsträgern ab, um unter anderem nicht von englischen Vereinen finanziell ausgestochen zu werden.

SPOX: Mit Mats Hummels kommt zur neuen Saison ein solcher Leistungsträger von Borussia Dortmund. Wie beurteilen Sie diesen Wechsel?

Hitzfeld: Das ist für Bayern und Hummels eine Win-win-Situation. Er kann in seiner Heimat Führungsspieler werden, Carlo Ancelotti wollte unbedingt einen Abwehrspieler. Das hat sich regelrecht angeboten.

SPOX: Nicht für Dortmund.

Hitzfeld: Für sie ist es sportlich natürlich ein erheblicher Verlust. Der BVB verliert mit Hummels die Seele der Mannschaft. Allerdings haben sie in den letzten Jahren immer bewiesen, Abgänge von Führungsspielern gut kompensieren zu können. Die Dortmunder Transferpolitik ist ausgezeichnet. Kurzfristig werden sie Hummels jedoch kaum ersetzen können, da er auch jemand ist, der sich stark mit Borussia identifiziert und andere mitreißen kann.

SPOX: Überraschte es Sie, dass er nicht ins Ausland geht?

Hitzfeld: Nein, es ist ja auch für ihn sinnvoll. Er kann in Deutschland bleiben, in die Heimat zurückkehren und spielt dann bei einer der drei besten Mannschaften der Welt.

SPOX: In Dortmund ist Hummels Kapitän, Wortführer und tritt sehr selbstbewusst auf. Muss er sich in München diesbezüglich umstellen?

Hitzfeld: Er muss sich einordnen, denn er kommt in eine Mannschaft mit einer bereits funktionierenden Hierarchie. Hummels ist aber intelligent und hat Einfühlungsvermögen, er sollte damit keine Probleme bekommen. Ich gehe davon aus, dass er sich von Beginn an zu Recht findet und sich schnell wohlfühlen wird. Zumal er viele Spieler aus der deutschen Nationalelf kennt.

SPOX: Sein Transfer nach München schien kurze Zeit am seidenen Faden zu hängen, nachdem Uli Hoeneß suggerierte, Hummels habe sich den Bayern angeboten. Hummels bezeichnete das als Humbug, auch Karl-Heinz Rummenigge korrigierte diese Behauptung umgehend. Welche Motivation hatte denn diese Aussage von Hoeneß?

Hitzfeld: Man sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Er wurde irgendwo interviewt und gebrauchte eine Redewendung, die vielleicht nicht so richtig passend war. Das sollte man nicht übergewichten, erst Recht, nachdem diese Aussage ja prompt wieder klargestellt wurde.

SPOX: Diese Äußerung hatte aber durchaus Gewicht, wenn man bedenkt, dass Hummels, Rummenigge und auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke direkt reagierten.

Hitzfeld: Bei Bayern hat jedes Wort Gewicht, da wird vieles ausgeschlachtet. Mit einem einzigen Satz kann man ein Thema schaffen. Es war für mich nichts Gravierendes oder Bewusstes, sondern aus dem Zusammenhang gerissen.

SPOX: Diskutieren wir eine weitere Personalie: Mario Götze. Seine Zukunft in München scheint ungewiss. Wie sehen Sie seine Situation?

Hitzfeld: Götzes Problem bei den Bayern war die Konkurrenzsituation. Mit Franck Ribery und Arjen Robben hat man hochkarätige Spieler auf der Außenbahn. Dahinter kommen schon Kingsley Coman und Douglas Costa, die beide eingeschlagen haben. Götze hatte einige Anlaufschwierigkeiten, die man bei Bayern aber nicht haben darf, da man nicht permanent Chancen erhält. Bekommt man eine Chance, muss man sie auf Anhieb nutzen. Coman und Costa haben das getan, Götze nicht. Irgendwann musste sich Guardiola entscheiden, er kann nicht allen pausenlos neue Chancen geben.

SPOX: Der neue Trainer Carlo Ancelotti soll Götze in einem Telefonat geraten haben, den Verein zu verlassen. Ist das für Sie vorstellbar?

Hitzfeld: Das sind Stand jetzt ja alles nur Vermutungen. Klar ist: Götzes Situation ändert sich nicht, denn dann müssten ja entweder Coman oder Costa verkauft werden - und das wird nicht passieren. Ich würde aus der Ferne urteilend sagen: Götze soll bleiben und noch einmal die Chance unter dem neuen Trainer und dessen Philosophie suchen. Klappt das nicht, könnte er immer noch im kommenden Winter wechseln.

SPOX: Andere Vereine werden darauf drängen, Götze bereits im Sommer zu bekommen. Besonders Jürgen Klopp und der FC Liverpool sollen Interesse zeigen.

Hitzfeld: Das muss Götze selbst spüren, wenn er Angebote bekommen sollte und sich mit den jeweiligen Trainern austauscht. Er muss selbst entscheiden, bei welchem Verein er ein gutes Gefühl hat. Egal wo: Götze braucht einen Trainer, der ihn unbedingt will und ihm die Perspektive gibt, sich noch einmal neu zu beweisen.

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