"Ancelotti wird flexibler spielen"

2000, 2003 und 2008 gewann Ottmar Hitzfeld den DFB-Pokal - jedes Mal mit dem FC Bayern München
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SPOX: Was glauben Sie, wie die Bayern unter Ancelotti aussehen werden?

Hitzfeld: Er hat enorm viel Erfahrung, besonders mit großen Teams und in unterschiedlichen Ländern. Ancelotti ist bei Milan in diese Rolle hineingewachsen. Ich denke, er wird auch die Bayern prägen. Ich kann mir vorstellen, dass er taktisch flexibler als zuletzt spielen lassen wird. Er wird nicht ausschließlich Pep Guardiolas Barca-Philosophie mit hohem Pressing und Ballbesitz um jeden Preis weiterführen, sondern vielleicht auch mal etwas defensiver agieren und eine Woche später mit einer besonders offensiven Aufstellung überraschen.

SPOX: Wie schätzen Sie ihn als Person ein?

Hitzfeld: Er ist einfühlungsstark und kommunikativ. Ancelotti hatte dazu schon immer ein gutes und offenes Verhältnis zu den Medien. Er wird sicherlich ein paar Interviews mehr geben als Guardiola. (lacht)

SPOX: Bevor Ancelotti im Sommer anheuert, endet am Samstag die Ära Guardiola mit dem DFB-Pokalfinale gegen den BVB. Wie wichtig wird das Spiel für Guardiolas Münchner Bilanz?

Hitzfeld: Jeder Titel ist natürlich die Bestätigung der guten Leistung, die die Bayern zeigen. In München wird man an den Titeln gemessen. Für Guardiolas Bilanz sollte das Finale in Berlin aber nicht mehr den großen Ausschlag geben: Er ist drei Mal in Folge souverän Meister geworden, stand drei Mal im Halbfinale der Champions League und könnte nun sein zweites Double gewinnen. Das ist eine tolle Ausbeute. Er hat die Bundesliga geprägt und ist ein Vorbild für viele Trainer.

SPOX: Können Sie die Diskussionen, ob Guardiola ohne den Gewinn der Champions League bei den Bayern gescheitert sei, nachvollziehen?

Hitzfeld: Nein. Ich habe keine Ahnung, weshalb dies diskutiert wird. Ich habe seine Arbeit in München bewundert.

SPOX: Erst Recht nach dem Gewinn des Triples 2013 scheint der FC Bayern von der Wiederholung dieses Ereignisses getrieben zu sein. Ist das gesund?

Hitzfeld: Das Anspruchsdenken der Bayern ist generell gestiegen. Das Triple 2013 hat gezeigt, dass man es schaffen kann. Für mich ist das vor allem auch ein Thema der Medien. Der Verein weiß ja, dass ein Triple weiterhin etwas ganz Besonderes ist. Die Bayern-Führung ist nach dieser Saison sicherlich zufrieden mit dem Abschneiden, auch wenn man das Finale der Champions League erneut verpasst hat. Es war eine sensationelle Bundesligasaison, dazu stand man unter den vier besten Mannschaften Europas. Gewinnt man das Double, ist das für mich unter dem Strich eine sehr gute Saison.

SPOX: Es erweckt bisweilen den Eindruck, der Gewinn der Meisterschaft ist für die Münchner nicht viel mehr als ein Trostpreis.

Hitzfeld: Die Bayern sind der Liga sicherlich enteilt, aber es ist keine Selbstverständlichkeit, die Schale zu holen. Das wird mir zu wenig gewürdigt. Man gewöhnt sich halt an die Situation, dass die Bayern voranmarschieren. Ich empfand diese Saison auch nicht als langweilig, denn Dortmund hat nie locker gelassen. Es sah alles sehr leicht aus, aber die Bayern waren eindeutig gefordert und konnten sich kaum ein Unentschieden leisten. Der BVB hat die Bayern gerade im Endspurt unter Druck gesetzt, sie durften sich keine Schwächen erlauben.

SPOX: Dortmund steht zum fünften Mal in Folge in einem Endspiel, könnte aber das vierte Mal am Stück verlieren. Wie würde sich das auf das Selbstverständnis des Klubs auswirken?

Hitzfeld: Das nagt bestimmt bereits jetzt ein wenig am Dortmunder Selbstbewusstsein. Der BVB sieht sich andererseits aber als Herausforderer und nicht als ebenbürtig mit den Bayern. Ich glaube dennoch, dass das Finale auf Augenhöhe stattfindet. Da Dortmund jedoch nicht über diese hochkarätig besetzte Bank der Münchner verfügt, muss beim BVB alles passen und die Mannschaft vor Selbstvertrauen strotzen. Alle Stammspieler müssen fit sein. Dahingehend ist der Ausfall von Ilkay Gündogan schon ein großer Verlust.

SPOX: Gündogans Zukunft ist wie auch jene von Henrikh Mkhitaryan noch nicht geklärt. Beide könnten den Verein noch in diesem Sommer verlassen. Glauben Sie für die kommende Saison an einen erneut starken BVB, der die Bayern gefährden kann?

Hitzfeld: Ungeachtet der möglichen Abgänge bräuchte der BVB spieltaktisch sicherlich kein neues Gesicht. Sie sind mit ihrer neuen Philosophie ja extrem erfolgreich. Auch die Art und Weise, wie man auftritt, hat viele Sympathien gewonnen. Thomas Tuchel scheint sich sehr gut eingelebt zu haben. Sie sind mit einer attraktiven Mannschaft auf einem sehr guten Weg. Ich habe großes Vertrauen in die Führung der Borussia. Sie werden etwaige Verluste kompensieren können und auch nächste Saison ein hartnäckiger Gegner des FC Bayern sein.

SPOX: Dass diese positive Entwicklung so schnell vorangehen würde, kam überraschend und hängt zu einem Großteil mit der Arbeit von Tuchel zusammen. Könnten Sie ihn sich auch bei Bayern München vorstellen?

Hitzfeld: Ja. Wenn man mit dem BVB so erfolgreich ist, hat man auch Chancen, eines Tages beim FC Bayern zu landen.

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