Scheidewege und Lastwagenfahrten

Von Nino Duit
Kapitän Mats Hummels und ein Trio, das die Entscheidung über seine Zukunft genau beobachten wird
© getty

Das Halbfinale gegen Hertha BSC ist für Borussia Dortmund (20.30 Uhr im LIVETICKER) mehr als nur ein gewöhnliches Pokalspiel. Beim BVB stehen zukunftsbestimmende Personalentscheidungen an. Ein möglicher Final-Einzug und folgender Titelgewinn könnten einiges bewirken - und die Borussia vor einem größeren Umbruch bewahren, als ihr lieb ist.

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Prinzipiell ist der Dortmunder Borsigplatz ja nicht mehr als ein einfacher Kreisverkehr. Sechs Zufahrtsstraßen sind sternförmig angeordnet; in der Mitte spenden einige Bäume Schatten. Für die Fans der Borussia ist dieser Borsigplatz aber viel mehr. Der Sehnsuchtsort schlechthin nämlich. Der Ort, an dem die großen Triumphe des BVB gefeiert werden.

Knapp ein Jahr ist es her, dass Jürgen Klopp seinen Abschied von Borussia Dortmund ankündigte. Sehr emotional war das natürlich und untermalt mit einem vielzitierten Wunsch. Einmal wolle er noch "mit dem Lastwagen um den Borsigplatz fahren", sagte Klopp wenige Tage vor dem damaligen Pokal-Halbfinale gegen den FC Bayern, "das wäre schon ziemlich lässig."

Die folgende Geschichte ist bekannt. In einem hochdramatischen Halbfinale schaltete der BVB mit dem FC Bayern den vermeintlich größten Rivalen um den DFB-Pokal aus, die Fans machten sich in Gedanken schon auf den Weg zum Borsigplatz, um dann im Finale vom VfL Wolfsburg überrumpelt zu werden. Kein Borsigplatzbesuch und auch kein Lastwagen für Jürgen Klopp also, genau wie in seinen ersten beiden Spielzeiten als Trainer der Borussia.

Auch Ottmar Hitzfeld, der zweite große BVB-Trainer seit Anbeginn der Bundesliga, musste sich bis zu seinem ersten feierlichen Besuch des Borsigplatzes gedulden. Drei Spielzeiten lang ging Hitzfeld sogar leer aus, ehe er zwei Meistertitel in Folge holte. Thomas Tuchel hat bereits in seiner ersten Spielzeit die Chance auf eine Lastwagenfahrt um den berüchtigten Kreisverkehr.

Zehn einschneidende Tage

Fast genau ein Jahr nachdem Klopp seinen Abschied verkündete und seinen berühmten Wunsch äußerte, trifft sein Nachfolger Tuchel mit seiner Mannschaft im DFB-Pokal-Halbfinale auf Hertha BSC Berlin. Ein Spiel, das zu diesem Zeitpunkt der Saison getrost als das wichtigste seit dem letztjährigen Pokalfinale bezeichnet werden kann.

Vor zehn Tagen sah alles noch ganz anders aus. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Erst wurde die letzte Chance auf die Meisterschaft verspielt, ausgerechnet im Derby gegen Schalke 04. Dann folgte das eigentlich nicht zu erklärende und aus BVB-Sicht herzzerreißende Ausschieden aus der Europa League gegen den FC Liverpool. Obwohl sich Mats Hummels doch sicher war, dass "wir das Ding holen".

Das Ding, das ist natürlich der Europa-League-Pokal. Mittlerweile steht fest, dass Dortmund in dieser Saison weder dieses Ding noch die Schale wird gewinnen können. Bleibt nur noch das andere Ding: der DFB-Pokal. Der Ausgang des Halbfinals gegen die Hertha sowie eines möglichen Finals wird erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Premierensaison von Thomas Tuchel haben.

Geübte Abgänge-Verwalter

Dreiviertel der Spielzeit beeindruckte der BVB sowohl mit der Art seines Fußballs als auch mit den erzielten Ergebnissen. Tuchel brachte Dortmund erst in die Position, Mitte April noch Chancen auf alle drei Titel zu haben. Zweifelsohne eine ansehnliche Leistung für seine erste Saison, in der er dem BVB nebenbei auch eine neue Fußballphilosophie einimpfte. Noch ansehnlicher, blickt man auf die verkorkste abgelaufene Spielzeit zurück.

Trotz alldem ist dieses Halbfinale eines, dessen Ausgang sehr weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft von Borussia Dortmund haben könnte. Einige Schlüsselspieler des BVB stehen vor einer äußerst weitreichenden Karriere-Entscheidung. Ein Leben lang Dortmund? Oder doch: Geld und Titel in der Ferne?

Dortmund ist geübt darin, Abgänge von wichtigen Akteuren aufzufangen. Von Nuri Sahin und Shinji Kagawa über Mario Götze und Robert Lewandowski - der BVB fand stets entsprechenden Ersatz. Mehr als ein Schlüsselspieler verließ Dortmund aber nie in einer Transferphase. Das könnte im Sommer 2016 anders aussehen.

Obwohl der BVB finanziell so gut dasteht wie nie zuvor und eigentlich in der Lage ist, entsprechende Gehaltszahlen zu stemmen, droht der Abgang einer Reihe tragender Säulen. Denn diese tragenden Säulen kommen ob der konsequenten Titelallergie der vergangenen Jahre langsam aber sicher ins Grübeln. Seit dem Double 2012 hechelt der BVB in der Bundesliga dem FC Bayern hinterher - und verlor außerdem drei Endspiele.

Schlüsselpersonalie Hummels

Der BVB befindet sich am Scheideweg. Ein Ausscheiden gegen die Hertha könnte das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen und die bei einigen Spielern bereits Wurzeln schlagende Einsicht, mit dem BVB in nächster Zukunft keinen Titel zu holen, weiter sprießen lassen. Besonders weit gediehen scheint dieser Gedanke bei Mats Hummels zu sein, dem Kapitän, An- und Wortführer der Mannschaft.

Intensiviert Barca Kontakt zu Hummels?

Jahrelang bekannte er sich zum BVB und wunderte sich über Teamkollegen, die das "Projekt Dortmund" einfach so verließen. Jetzt kokettiert er öffentlich selbst mit einem Abschied. Mit seinen 27 Jahren steht Hummels vor einer einschneidenden Entscheidung. Und seine Entscheidung wird keine ohne Folgen sein, wie auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke ahnt. "Um Mats werde ich kämpfen, wie ich noch nie um einen Spieler gekämpft habe", sagte er zuletzt.

Denn auch Watzke weiß: Sollte der Kapitän von Bord gehen, würde gleich ein Reihe weiterer Schlüsselspieler noch mehr ins Grübeln kommen. Da wäre Ilkay Gündogan, dessen Abschied zu Manchester City zuletzt schon immer konkreter wurde - und von manchen Medien bereits als fix vermeldet wurde. Und da wären natürlich die drei Offensivstars Henrikh Mkhitaryan, Marco Reus und Pierre-Emerick Aubameyang.

Geld und Titel

Während Mkhitaryan ob seines 2017 auslaufenden Vertrages und in Furcht vor einem ablösefreien Wechsel im Sommer wohl die Freigabe erhalten würde, sollte er zu keiner Vertragsverlängerung bereit sein, stellt sich die Lage bei Reus und Aubameyang nüchtern betrachtet anders dar. Das Duo steht bis 2019 beziehungsweise 2020 beim BVB unter Vertrag. Eigentlich also kein Grund zur Sorge. Eigentlich, denn Verträge sind in der heutigen Welt des Fußballs nicht mehr das, was sie sein sollten.

Sollten Hummels und Gündogan den Verein verlassen, werden europäische Spitzenklubs aus Spanien, England oder Paris besonders hellhörig werden. Sie werden dann auch an Mkhitaryan, Reus und Aubameyang herantreten. Sie werden beeindruckende Gehaltssummen nennen und vor allem eine Perspektive auf fast sichere Titelgewinne aufzeigen.

Klar, die Dortmunder Verantwortlichen könnten auf gültige Verträge verweisen, aber irgendwann, wenn die Summen steigen und die Spieler vehement drängen, werden auch sie einknicken. Womöglich steht dem BVB im Sommer ein größerer Umbruch bevor, als ihm lieb ist.

Ein Halbfinal-Sieg gegen die Hertha und ein möglicherweise folgender Final-Triumph könnten aber einiges ändern und die drohende Lawine am Losrollen hindern. Denn auch Hummels, dieser möglicherweise entscheidenden Figur all dieser Gedankenspiele, ist klar: Titel mit dem BVB sind "einfach unglaublich und durch nichts zu toppen". Die Aussicht auf eine Lastwagenfahrt um den Borsigplatz, sie kann viel verändern.

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