Zum Verteidiger gewachsen

Von Adrian Franke
Jannik Vestergaard wechselte im Winter von Hoffenheim zu Werder
© getty

Jannik Vestergaards Winter-Wechsel von Hoffenheim zum Werder Bremen entpuppte sich in ungeahnter Geschwindigkeit zum Glücksgriff. Der Däne lieferte bislang absolut überzeugende Vorstellungen ab und hat sich in Bremen auf und abseits des Platzes unglaublich schnell etabliert. Dabei wollte er eigentlich Stürmer werden - doch sein eigener Körper kam ihm in die Quere.

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Das Weser-Stadion am 1. Februar, der Bremer Rückrunden-Auftakt gegen Abstiegs-Konkurrent Hertha BSC. Werder war als Drittletzter in die Winterpause gegangen, mit Freiburg und Mainz waren zwei andere Kellerkinder bereits mit Siegen ins neue Jahr gestartet. Bremen spielte stark und ging mit einer 1:0-Führung in die Pause. Doch mindestens für einen kurzen Moment stand ein unerwarteter Bremer Debütant im Fokus - Innenverteidiger Jannik Vestergaard.

Der Däne sorgte für kollektive Anerkennung im weiten Rund, als sein Halbzeit-Zweikampfswert auf der Anzeigetafel eingeblendet wurde. 100 Prozent seiner Duelle hatte Vestergaard gewonnen und damit den optischen Eindruck bestätigt: Der Abwehr-Hüne hatte in seinem ersten Spiel im neuen Trikot überhaupt keine Anpassungsprobleme, stand gut und ließ vor allem in den direkten Duellen überhaupt nichts anbrennen. 2:0 hieß es am Ende für die Bremer, es war der Auftakt eines völlig unerwarteten Siegeszuges um Rückrunden-Start.

Früh übt sich...

Dass Trainer Viktor Skripnik dem im Winter aus Hoffenheim verpflichteten Neuzugang nach nur vier Trainingseinheiten das Vertrauen schenkte, war eine öffentliche Anerkennung der Qualitäten Vestergaards, welche nicht von ungefähr kommen. Vielmehr galt für den Sohn einer deutschen Cellistin und eines dänischen Beamten: Früh übt sich, was ein Meister werden will.

"Ich wollte schon immer Fußball spielen, habe mit drei Jahren bei meinen Eltern darum gebettelt, dass ich in einen Verein darf und war total glücklich, dass mich mein Papa irgendwann in einem kleinen Klub angemeldet hat", blickte der Abwehrmann kürzlich im "Weser-Kurier" auf seine Kindheit zurück. Dänemarks Nationalsport Handball war dabei nie eine Option, auch wenn er die physischen Anforderungen durchaus erfüllt: "Ich wollte schon immer Fußball spielen."

Vom Stürmer nach hinten gewachsen

Der Wunsch wurde ihm erfüllt, mehrere kleinere Klubs in seiner Heimatstadt Kopenhagen waren in den kommenden Jahren sein Zuhause. Doch mitnichten sah in dort jemand als Innenverteidiger. "Ich wurde immer in der Offensive eingesetzt: Erst auf den Außen und im Mittelfeld, dann im Sturm. Erst als ich 16 Jahre alt war, kam ein dänischer Auswahltrainer auf die Idee, mich in der Abwehr auszuprobieren", erzählte er vor einigen Jahren im SPOX-Interview.

Grund dafür war unter anderem sein plötzlicher Wachstumsschub. Mit 13 und 14 Jahren wuchs der heute 1,97 Meter große Vestergaard extrem schnell und sah sich mit unerwarteten Problemen konfrontiert, von denen unter anderem noch heute ein Wulst unterhalb der Kniescheibe zeugt: "Ich musste meine Bewegungsabläufe komplett neu koordinieren. Wir haben schon in der Jugend viel trainiert, und das hat mein Knie, vor allem die Patellasehne, sehr belastet. Man sieht das noch heute."

Doch der Wachstumsschub und der damit verbundene Positionswechsel gefiel dem Teenager auf Anhieb: "Ich verliebte mich sofort in die neue Position. Früher war ich mit meinen fast zwei Metern Größe ein klassischer Target Man, der sehr viele Tore erzielt hat. Aber als ich in der Innenverteidigung auflief und die ersten Zweikämpfe gewann, merkte ich, wie sehr ich das Verteidigen liebe. Es gibt mir einen viel größeren Kick, einen wichtigen Zweikampf zu gewinnen, als vorne auf Tore zu lauern."

Klares Motto: "Hart aber fair"

Darüber hinaus kam dem lange Zeit sehr schlaksigen Dänen seine Art in der Defensive zugute. Vestergaard war schon immer ein ruhiger Zeitgenosse, der selten den Kopf verliert und auch auf dem Platz viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Das spiegelt sich auch in seiner unglaublichen Foul-Statistik wieder: In seinen ersten fünf Spielen für Werder leistete sich der Innenverteidiger ganze sieben Fouls.

Gleichzeitig weiß Vestergaard, der einst Landsmann Daniel Agger nacheiferte, dass eine gewisse Robustheit wichtig ist und lässt stets eine faire Härte in sein Spiel einfließen: "Wenn die Stürmer merken: Hey, da ist immer einer an mir dran, dann ist das unangenehm für sie. Ein Stürmer darf sich nicht wohlfühlen. Aber auch hier gilt: hart, aber fair. Ich finde es genauso geil, wenn ich vor dem Gegner an den Ball komme, ohne grätschen zu müssen."

Das Hoffenheimer Novum

Das Talent des Youngsters, von dem Dänemarks Nationaltrainer Morten Olsen jüngst erklärte, dass er ihn zu den größten Abwehrtalenten des Landes zählt, blieb nicht lange verborgen. Vestergaard wurde bei Bröndby IF Leistungsträger, nachdem er mit seinem Körper immer besser klar kam, und stieg intern sowie in Dänemarks Junioren-Nationalmannschaften rasant auf.

Schließlich bemerkten das auch die Hoffenheimer und schlugen 2010, nachdem Vestergaards A-Jugend aus Kopenhagen gegen die TSG bei einem Hallenturnier ausgeschieden war, schließlich zu. Der damals 17-Jährige kam mit großen Vorschusslorbeeren in den Kraichgau und schlug bei der zweiten Mannschaft der TSG auch prompt ein: In seiner ersten Saison absolvierte er in der Regionalliga bereits 19 Spiele, ehe er in seiner zweiten Saison in Deutschland zum Bundesliga-Leistungsträger wurde.

Vestergaard war, in einer Zeit, in der das TSG-Nachwuchssystem in der Kritik stand, der Erste, der nachhaltig den Sprung aus der eigenen zweiten Mannschaft ins Bundesliga-Team schaffte. Überfordert sei er aber nicht gewesen, blickte er vor einigen Jahren zurück, wenngleich er zugeben musste: "Ich hatte auch erwartet, dass ich etwas nervöser bin oder dass ich mit dem Tempo nicht zurechtkomme. Da ich aber ein Jahr lang bei den Profis trainieren und parallel bei der Zweiten Spielpraxis sammeln konnte, verlief der Übergang reibungslos."

Auf und Ab im Kraichgau

Entscheidend war für den robusten, aggressiven Abwehrmann damals: "Ich bekam die nötige Zeit." Obwohl Vestergaard offensichtliche Probleme mit wendigen, schnellen Stürmern hatte, hielten die Hoffenheimer lange an ihm fest, bis schließlich der interne Umbruch kam. Unter Markus Gisdol wurde er phasenweise ins defensive Mittelfeld versetzt, um im Kopfballspiel und als Staubsauger seine Stärken ausspielen zu können.

Allerdings war dieser Kompromiss, der die Schwächen des Nationalspielers kaschieren sollte, nur von kurzer Dauer. Vestergaard mangelte es schlicht an spielerischer Stärke, um das eigene Spiel auch aus dem Mittelfeld heraus mit anzutreiben oder gar Angriffe gezielt einzuleiten. Und so verbrachte der als großes Talent geholte Youngster bereits das Ende der Vorsaison sowie weite Teile der laufenden Spielzeit auf der Bank oder gar auf der Tribüne.

Im Winter schließlich bot Werder dem Abwehrmann, der sich laut eigener Aussage "nicht traut, die Haare abzuschneiden", einen Ausweg an - und Vestergaard schlug erst zu und kurz darauf voll ein. "Sofort präsent", lautete das erste Urteil von Sportchef Thomas Eichin und Skripnik fügte hinzu: "Seine Sicherheit tut uns gut. Dadurch können wir im Mittelfeld etwas mutiger auftreten und agieren."

"Hier fühle ich mich wohl"

Es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell sich der 22-Jährige bei Werder eingelebt hat und sofort zum scheinbar unanfechtbaren Stammspieler aufgestiegen ist - daran ändern auch die zwei Patzer im letzten Spiel gegen Wolfsburg nichts. Auch in der Stadt hat er sich bereits eingelebt und eine Wohnung im Bremer Zentrum gefunden: "Hier fühle ich mich wohl. Ich habe in Kopenhagen im Herzen der Stadt gelebt, und das gefällt mir auch hier."

Vestergaard zeigt Führungsqualitäten auf dem Platz, wird seinen Stärken entsprechend eingesetzt und die Bremer haben ihren Wunsch-Innenverteidiger allem Anschein nach gefunden. Das deutete sich bereits gegen die Hertha an, als er das Spiel nach seiner sensationellen ersten Hälfte mit immerhin noch 85 Prozent gewonnen Zweikämpfen beendete.

Von Skripnik gab es anschließend schon nach dem ersten Einsatz ein Riesenlob - und ein noch jetzt gültiges, perfektes Zwischenfazit: "Solch einen Typen haben wir gesucht. Wenn so ein Spieler auf dem Markt ist, muss man zugreifen. Kompliment an meine Vereinsführung, so einen Transfer zu tätigen: Er hat unser Hintermannschaft sofort gut getan."

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