Zuerst zählt Pragmatismus

Von Stefan Rommel
Thomas Schneider löste beim VfB Stuttgart Bruno Labbadia als Trainer ab
© getty

Mit Thomas Schneider hat beim VfB Stuttgart ein neuer Geist Einzug gehalten. Der Trainer geht die Problemfelder konsequent an, stößt dabei aber auch schon recht schnell an Grenzen. Der Weg zurück zu ansehnlichem Fußball und in die oberen Gefilde der Tabelle dürfte ein langer werden.

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Die Zyniker unter den VfB-Fans - und davon soll es eine ganze Menge geben - hatten ihre Sicht der Dinge schnell umrissen: Wenigstens nicht noch den Konter kassiert und das Spiel verloren. Die Erinnerungen an einen Ibisevic-Fehlschuss in letzter Minute mit anschließendem Gegentreffer und die Episode zuletzt in den Europapokal-Playoffs gegen Rijeka haben Spuren hinterlassen.

Minirekord verpasst

Da war es fast schon ein Glück, dass Schiedsrichter Felix Zwayer am Sonntag gegen Eintracht Frankfurt nach dem erneuten Fehlversuch von Vedad Ibisevic die Partie sofort abpfiff. Eine sehr warmherzige Maßnahme, die Bruddler auf der Haupttribüne wären andernfalls womöglich noch übergeschnappt.

Der VfB Stuttgart hat den dritten Sieg in Folge verpasst und Trainer Thomas Schneider damit auch den kleinen Startrekord von Joachim Löw. Dem waren als letztem Trainer vor 17 Jahren zuletzt drei Siege nacheinander zum Einstand geglückt. Ein Schicksal, das Schneider ziemlich sicher verschmerzen kann.

Symbiose aus Erneuerung und Altbewährtem

Der 40-Jährige ist ja nur so reingeflutscht in das Abenteuer Bundesliga, in zweierlei Hinsicht. Mit 18 zog ihn Christoph Daum damals aus der Oberliga-Mannschaft zu den Profis hoch. Erstes Spiel: Gegen die Bayern. Der VfB siegte 3:2 und wurde am Ende der Saison Meister. Jetzt als Trainer ging es ähnlich flott. Selbst in Zeiten verstärkter heimischer Wertschöpfung ist der direkte Sprung von der B-Jugend in den Profibereich eine Ausnahme.

Aber der VfB war mit seiner vernünftig aufgestellten Mannschaft auf der Suche nach einem neuen Geist. Revolutionär genug, um schnell die vielen hartnäckigen Verkrustungen zu lösen. Aber gleichzeitig auch vertraut mit dem Verein, dem Umfeld, der Mentalität. Dass Schneider dazu einen ordentlichen Vorschuss seiner handwerklichen Fähigkeiten mitbrachte, machte die Suche zu einer leichten Übung für die Verantwortlichen.

Positiv selbstbewusst

Unter seinem Vorgänger waren alle Fluchtwege aus der sich anbahnenden Krise verstellt. Die meisten davon von Bruno Labbadia selbst, der sich zu Beginn der Saison mit einigen unbedachten Äußerungen gegen die allgemein gültige Aufbruchsstimmung stellte. Labbadia hat es in seinen zweieinhalb Jahren in Stuttgart kaum einmal verstanden, eine positive Stimmung zu entfachen oder seine Mannschaft vielleicht auch mal größer zu reden, als sie in Wirklichkeit ist. Auch das gehört dazu.

Wenn Thomas Schneider dann vor dem Derby im Pokal beim SC Freiburg nicht die Stärken des Gegners, sondern die seiner Mannschaft besonders heraushebt und am Ende zu einer eindeutig positiven Einschätzung kommt, entspricht das schon eher dem, was sich die Stuttgarter von ihrem ersten Angestellten erwarten.

"Ich bin überzeugt, dass wir das Spiel gewinnen können, weil wir die entsprechende Qualität haben", sagte Schneider am Dienstag auf der Pressekonferenz vor dem Spiel. "Und es wäre sicher eher eine Überraschung, wenn wir ausscheiden." Natürlich vergrößert das die Angriffsfläche für den Trainer, sollte der VfB am Mittwoch im Schwarzwald nicht gewinnen. Vielmehr passt dieses neue Selbstvertrauen aber zur erwünschten Mentalität der Mannschaft.

Änderungen in der Defensive greifen

Dass Schneider mit seiner Mannschaft aber noch einen ganzen Berg an Aufgaben bewältigen muss, dürfte allen Beteiligten klar sein. Schneider geht seinen Job mit der Umstrukturierung des Defensivverhaltens an.

Eine klare Doppel-Sechs, defensiver agierende Außenverteidiger und die Fokussierung aufs Zentrum ließen in den Spielen unter Schneider größtenteils auch das Fehlen der etatmäßigen Innenverteidigung mit Serdar Tasci (jetzt Spartak Moskau) und Georg Niedermeier (verletzt) vergessen. Der VfB-Block steht in der Spielfeldmitte wieder enger zusammen, mit William Kvist hat Schneider den Schlüssel dafür, den Labbadia achtlos beiseite gelegt hatte, einfach wieder ins Spiel eingebunden.

Stuttgart reagiert nicht mehr nur in der Defensivbewegung und verlässt sich auf eine gewisse Zweikampfstärke und -härte. Die Mannschaft spielt wieder antizipativer und besetzt die Räume klüger als zuletzt. Taktgeber der defensiven Ordnung ist Kvist, der im Prinzip schon so gut wie abgeschlossen hatte mit dem VfB.

Kvist als Schlüssel

Der Däne verwies zuletzt in einem Interview auf die Versäumnisse der Vergangenheit und die Umstellungen unter Schneider.

"Wir haben aus meiner Sicht keine Fortschritte gemacht, der klare taktische Plan hat gefehlt", sagte der ansonsten eher wortkarge Kvist. "Im Training haben wir mit Vorliebe acht gegen acht gespielt. Das war oft hektisch, da ging es zumeist um viele Zweikämpfe. Jetzt trainieren wir so, dass es ein Vorteil ist, den Ball zu haben."

Hinter Kvist spielte sich in den letzten Wochen Antonio Rüdiger leicht in den Vordergrund. Das Talent strahlt endlich mehr Ruhe aus, hat die Hektik aus seinem Spiel weitgehend verbannt und dirigiert die Abwehr. In der Defensive sind erste zaghafte Fortschritte zu erkennen - offensiv hat der VfB aber noch ein breites Feld zu beackern.

Pragmatismus statt Strategie

Was relativ zügig und ohne den ganz großen Aufwand zu erledigen war, hat Schneider in Angriff genommen. Ein gewisser Pragmatismus musste sich zwangsläufig gegen eine nachhaltige Strategie durchsetzen.

Die Standards strahlen wieder eine starke Torgefahr aus. In jedem Ligaspiel unter Schneider gab es mindestens einen Treffer nach einem Standard, insgesamt jetzt schon vier in drei Spielen. Den Rest erledigten individuelle Fertigkeiten, etwa vom ebenfalls zunächst verschmähten Alexandru Maxim, und der zurückgekehrte Glaube an sich selbst.

Für die Detailarbeit war noch keine Zeit und erste Effekte dürften so schnell auch nicht zu erwarten sein. In der Offensive sind nur wenige einstudierte Abläufe zu erkennen, die Versäumnisse der Vergangenheit zu kompensieren dürfte noch einige Monate dauern. Und der breit und für drei Wettbewerbe angelegte Kader wird mit der Zeit mehr und mehr unzufriedene Spieler hervorbringen.

Immerhin funken die Verantwortlichen beim VfB jetzt wieder auf einer Wellenlänge. Thomas Schneider hat sich gut eingefügt in die Troika um Sportdirektor Fredi Bobic und Präsident Bernd Wahler, der ja selbst erst seit gut drei Wochen im Amt ist. Die Stimmung dreht sich beim VfB Stuttgart. Dieses Mal offenbar in die richtige Richtung.

Das ist der VfB Stuttgart