Ein Verein, zwei Sichtweisen

Von Stefan Rommel
Die Stuttgarter Macher: Trainer Bruno Labbadia (l.) und Sportvorstand Fredi Bobic
© getty

Der VfB Stuttgart spielt eine verkorkste Saison, hat aber im Pokal die Chance auf Europa und sogar auf einen Titel. Trainer Bruno Labbadia verweist zu Recht auf schwierige Rahmenbedingungen - trägt aber auch eine gewisse Mitschuld.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Zeit ist noch nicht reif für einen Abschlussbericht. In der Bundesliga ist die Mittelmäßigkeit derart angewachsen, dass sich gleich acht Klubs noch große bis vage Hoffnungen auf ein Europa-Engagement in der kommenden Saison machen dürfen.

Der Rest ist entweder schon ins Ziel galoppiert, wie ganz oben die Bayern und ganz unten Greuther Fürth, oder kämpft noch gegen den Abstieg. Nur der VfB Stuttgart hält sich schön aus allem raus.

Zu langsam für das Schneckenrennen

Auf Platz sechs fehlen den Schwaben sechs Punkte, selbst das Schneckenrennen um die Europapokalplätze ist dem VfB zu schnell. Nach unten beträgt das Polster auf den Relegationsrang 16 immerhin neun Zähler. Sportlich ist das für einen Verein wie den VfB Stuttgart natürlich ein Armutszeugnis, fünf Spieltage vor Schluss. Das Abschneiden in der Liga ist das Dokument einer Stand heute verkorksten Saison.

Und trotzdem bleibt dem VfB im DFB-Pokal die einzigartige Chance, viele Missstände dieser Spielzeit womöglich mit einem Spiel zu übertünchen. Wenn die Mannschaft am Mittwoch (ab 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) den SC Freiburg im Halbfinale empfängt, ist das auch nach offizieller Verlautbarung nichts weniger als das Spiel des Jahres für den VfB - und für seinen Trainer Bruno Labbadia.

Drastische Vorgaben von oben

Seit fast zweieinhalb Jahren ist Labbadia Cheftrainer in Bad Cannstatt und es gibt kaum etwas, das der 47-Jährige in dieser Zeit nicht erlebt hat. Vom Abstiegskandidaten zum Europapokalteilnehmer und beinahe zurück. Drumherum krachte es gewaltig.

Labbadia und Sportdirektor Fredi Bobic sind die unfreiwilligen Verwalter einer schwer zu durchschauenden Vereinspolitik. Sie mussten in dieser Saison Altlasten ausbaden, so sehr wie kaum ein Gespann vor ihnen in Stuttgart. Der rigide Sparkurs erwies sich als gefährliche Fehlleistung der Vorstandschaft und hatte einen deutlichen Qualitätsverlust innerhalb der Mannschaft zur Folge.

Präsident Gerd E. Mäuser, ebenso ein Mann der Wirtschaft wie sein ehemaliger Gönner und Aufsichtsratschef Dieter Hundt, hat vom ersten Tag seiner Amtszeit an die falschen Hebel betätigt. Es steht weiter der Vorwurf im Raum, Mäuser habe sich bei Mitarbeitern, bei der Presse und bei Sponsoren mit seiner angeblich herrischen Art keine Freunde gemacht. Dagegen wehrt sich der im Juni scheidende Präsident energisch.

Was er sich aber zweifellos ankreiden muss: Mäuser hat es nie verstanden, die Fans auch als solche zu definieren. Vielmehr wurde von der Führungsetage der Eindruck erweckt, es handele sich um nicht mehr als zahlende Kunden. Wie krude und kontraproduktiv diese Einschätzung ist, wird besonders dann deutlich, wenn Sportdirektor Bobic die Zuschauer zu mehr Unterstützung aufruft. Widersprüchlicher geht es kaum.

Hundt im Zentrum der Kritik

Dass Mäuser jetzt seinen Rücktritt bekanntgegeben hat und Bobic eine Stufe nach oben in den Sportvorstand rückt, kann nur ein erster kleiner Schritt sein. Der nächste, nicht wenige Betrachter würden behaupten längst überfällige, wäre nun das Abdanken von Aufsichtsratschef Hundt.

Der hat Mäuser im Sommer 2011 erst entgegen zahlreicher Widerstände ins Amt verholfen und nun die Reißleine gezogen, bevor es bei der anstehenden Mitgliederversammlung im Juli richtig unschön hätte werden können.

Einen eigenen Rücktritt aber schließt Hundt zum jetzigen Zeitpunkt aus, er wolle seine Arbeit bis 2014 weiter fortsetzen. "Es gibt überhaupt keine anderen Überlegungen. Ich übe das Amt mit großer Freude aus und bemühe mich, das Beste zu erreichen", sagte der Arbeitgeberpräsident den "Stuttgarter Nachrichten".

Immerhin: Anders als vor zwei Jahren wird Bobic einen Alleingang Hundts bei der Suche nach einem Nachfolger für Mäuser nicht zulassen.

Verwalter der Stimmung

Im Kern des Vereins war aber auch Labbadia ein Verwalter der gedrückten Stimmung. Der Trainer konnte kaum einmal die nötigen Emotionen um seine Mannschaft schüren. Sattdessen schwang in vielen Aussagen immer auch schon eine Entschuldigung mit für den Fall eines Negativerlebnisses.

Dann wurden viel zu viele Worthülsen platziert, auf die angespannte finanzielle Situation verwiesen, auf die Zahl der Verletzten oder auf die Dreifachbelastung. Dabei steckt in der Mannschaft - trotz aller Widrigkeiten - genug Potenzial. Nur wurde darauf weder von Labbadia noch von Bobic auch hingewiesen, mal ein positiv formulierter Reiz gesetzt.

Schwache Leistungen der Mannschaft darf man aber auch klar auf den Punkt bringen. Hier hat Labbadia sich zu oft in Phrasen verzettelt und Alibis aufrecht erhalten, die die Mannschaft nur zu gerne aufnahm und sich dahinter versteckte.

Der Trainer hat es in den letzten Monaten versäumt, seiner Mannschaft neben einer überdurchschnittlich guten Fitness auch einen Spielplan mit auf den Weg zu geben. Versatzstücke sind vereinzelt immer wieder zu beobachten. Was fehlt, ist ein Gesamtgefüge, das für eine klare Handschrift des Trainers steht.

Labbadia hat sich rund um die Winterpause mit seiner zögerlichen Haltung in Sachen Vertragsverlängerung nicht unbedingt viele Freunde gemacht. Seitdem wird seine Arbeit von den Fans noch kritischer verfolgt, auch wenn er von der Kurve mit offen zur Schau gestellter Kritik bisher verschont blieb. Hier richtet sich der Zorn lediglich gegen Präsident und Aufsichtsrat.

Ursache und Wirkung

Das darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass so manche Wahrnehmung nicht unbedingt der Realität entspricht.

Wenn Bobic nach dem 0:1 zu Hause gegen einen ebenso einschläfernden Hamburger SV auf die "negative Stimmung rund um den Verein" hinweist, liegt der Verdacht nahe, dass Ursache und Wirkung in diesem Fall gehörig durcheinandergebracht wurden.

Die Mannschaft hat zum ersten Mal seit Jahren wieder ein deutlich negatives Torverhältnis (minus 15). Besonders das Offensivspiel ist die Schwachstelle. Nur einmal in den letzten 20 Jahren war der VfB zum gleichen Zeitpunkt der Saison ungefährlicher. Das war in der Spielzeit 2005/06 unter Defensiv-Fanatiker Giovanni Trapattoni. Den 31 Toren von heute standen damals lediglich 29 gegenüber. 134 gezählte Großchancen nach 29 Spielen bedeuten einen Platz im unteren Drittel der Statistik.

Die Folge ist ein veritabler Einbruch der Zuschauerzahlen in dieser Saison auf unter 50.000. Selbst wenn man den Faktor Stadiontourismus weglässt, sind knapp 5000 Fans weniger pro Spiel eine alarmierende Zahl. Kein anderer Bundesligist hat einen derartigen Einbruch erlebt in dieser Saison.

Gegen Borussia Mönchengladbach feierte die Mannschaft am Sonntag nicht nur den ersten Heimsieg überhaupt in der Rückrunde, sondern zeigte die bis dato auch beste Leistung im Jahr 2013. Das Publikum war derart dankbar, dass sogar die Welle durchs Stadion schwappte.

Davor gab es besonders zu Hause blutleere Auftritte. Und dann ist es in Stuttgart wie in Hamburg, Mönchengladbach oder Mainz: Die Fans äußern ihren Unmut auf ihre Weise. Ein exklusives Stuttgarter Problem ist jedenfalls nicht zu erkennen.

Zumal die Mannschaft sehr lange Zeit keinen Entwicklungsschritt mehr getan hat. Erst in den letzten beiden Wochen ist wieder so etwas wie eine grundsätzliche Stabilität und in Ansätzen ein spielerischer Aufschwung zu erkennen. Auch dank Labbadia, dessen Umstellungen greifen. Dem Anspruch des VfB Stuttgart können lediglich Spurenelemente seines früheren Ichs aber noch lange nicht genügen.

Provinziell, bieder, altbacken

Die Wahrnehmung außerhalb Stuttgarts beschränkt sich im Prinzip darauf, wie der Schwabe an sich wahrgenommen wird: Als provinziell, bieder und ein wenig altbacken. Dazu die tollpatschige Außendarstellung der letzten Monate, vor allen Dingen verantwortet von Noch-Präsident Mäuser. Die Marke VfB hat nicht erst seit gestern ein Imageproblem.

Dafür gibt es am Mittwochabend aber noch diese eine ganz große Chance. Eine glückliche Auslosung hat dem VfB nach dem Oberligisten Falkensee-Finkenkrug die Zweiligavertretungen des FC St. Pauli, des 1. FC Köln und vom VfL Bochum beschert; allesamt zu Hause. Und nun den SC Freiburg.

Optimisten verweisen auf die Möglichkeit, in diesem Jahr sogar noch einen Titel zu holen. Immerhin war der VfB auch im anderen Pokalwettbewerb mit dem Erreichen des Achtelfinals einigermaßen "erfolgreich".

Pessimisten dagegen führen die Auftritte in der Europa League gerne als Argument an für die großen Defizite der Mannschaft. Immerhin konnte von fünf Heimspielen kein einziges gewonnen werden und gegen den ersten starken Gegner Lazio Rom war dann mit zwei Niederlagen auch gleich Schluss.

Die nächste Runde Stillstand oder Fortschritt?

Bobic hat unter anderem deshalb für den Sommer eine deutlich offensivere Vorgehensweise auf dem Transfermarkt angekündigt. Zwischen ihm und Vorstandskollege Ulrich Ruf, beim VfB für die Finanzen zuständig, dürfe es da gerne "auch mal knirschen und rauchen".

Bobic' großes Problem ist die fehlende Planungssicherheit. Er sei mit einigen interessanten Spielern in Kontakt. "Nur wollen diese Spieler auch wissen, woran sie sind." Also: Ob der VfB auch in der kommenden Saison international vertreten ist oder nicht.

Einigen wird beim Gedanken daran wohl nicht ganz wohl sein. Die Erfahrungen dieser Saison sind noch zu tief verankert in den Köpfen der Fans. Es geht nicht in erster Linie darum, den Kader zu erweitern. Der war mit 31 gelisteten Profis und bei einer überschaubaren Verletztenliste quantitativ allemal ausreichend - auch für die viel zitierte Dreifachbelastung.

Es geht darum, nach den letzten Fehlgriffen Torun, Hoogland und Felipe wieder an Qualität dazuzugewinnen. Und wieder erfrischenden Fußball zu liefern. Und ganz nach Stuttgarter Tradition, wieder ein paar Talente dauerhaft an die Profis heranzuführen. Das sind die Parameter, nach denen die Zukunft ausgerichtet werden muss. Die unvermeidlichen sportlichen Rückschläge sind dann deutlich leichter zu ertragen.

Das ist der VfB Stuttgart