Ein kleines bisschen Schweden

Von Stefan Rommel
Auch die Einwechslung Podolskis brachte der DFB-Elf nicht den gewünschten Schwung
© getty

Es braucht nicht viel in diesen Tagen, um den Unwillen der deutschen Fans heraufzubeschwören. Deutschland ist Weltmeister, die Mannschaft in der umstrittenen FIFA-Weltrangliste Erster. Da passen Störungen gar nicht mehr in den Betriebsablauf. Jetzt, wo es im VIP-Bereich bei Heimspielen auch eine "Schwarz und Weiß-Loge" gibt.

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Das 0:2 vom vergangenen Samstag in Warschau war als Ausrutscher deklariert worden und Bundestrainer Joachim Löw gelobte alsbald Besserung. Wenn auch noch so viel gejammert wird über den straffen Zeitplan der Nationalspieler, dieses Mal hatte es auch etwas Gutes, dass nur wenige Tage nach der ersten Qualifikationsniederlage nach fast sieben Jahren sofort die Chance zur Wiedergutmachung auf dem Programm stand.

Gegen die Nummer 62 der Welt hatte sich der deutsche Teil der Zuschauer auf einen vergnüglichen Abend gefreut, auf eine kraftvolle Rehabilitation und endlich auch auf eine Fortsetzung des Sommers, nachdem die Spiele nach der WM bisher eher trübe anzuschauen waren.

Es passt wenig zusammen

Es wurde erneut kein Fußballfest und am Ende sprang zudem auch kein Sieg heraus gegen die tapferen, aber in der Offensive auch erschreckend schwachen Iren. Als John O'Shea trotzdem gerade getroffen und der Schiedsrichter Sekunden später die Partie abgepfiffen hatte, verschwanden einige deutsche Spieler sofort in der Kabine. Sie bekamen die Pfiffe des Publikums nicht mehr mit und wollten offenbar auch nicht viel reden.

Dafür hatten sich einige in den Minuten davor beherzt die Meinung gegeigt. Toni Kroos stauchte gleich zweimal Erik Durm zusammen, der einmal nach vorne gerannt war und kurz darauf einen Ball relativ unbedrängt ins Seitenaus schoss. Kroos war über lange Phasen des Spiels der auffälligste deutsche Spieler und so etwas wie der Kopf der Mannschaft, in der Schlussphase aber auch nicht mehr fehlerfrei.

In einer Mannschaft, bei der von den 14 im WM-Finale eingesetzten Spieler nur noch sechs dabei waren, war er einer der Etablierten. Kroos formulierte seine Kritik nach der Partie deshalb allgemein und ohne Namen zu nennen, als er anführte, dass das Team "am Ende nicht die Ruhe bewahrt hat. Das ist mir unverständlich. Wir haben unsere Spielweise in den letzten fünf Minuten verloren." Trotzdem war klar, wer unter anderem damit gemeint war. Und es stand stellvertretend dafür, dass momentan in der Mannschaft wenig zusammenpasst.

Löw vergreift sich mit Ginter

Die vielen Absagen sind ganz sicher ein Grund, warum der Motor in der Offensive stockt. Auch gegen die Iren schaffte es die Mannschaft kaum einmal, sich in den Rücken der gegnerischen Abwehr zu kombinieren. Bereits nach 20 Minuten segelten die ersten Flanken in den irischen Strafraum - dabei stand da nur ein Thomas Müller gegen eine grüne Armada.

Das Passspiel im letzten Angriffsdrittel und hier in den gegnerischen Strafraum war schwach, womöglich fehlte einer wie Mesut Özil doch ein wenig mehr, als so manch einer zugeben würde. So gab bis zur Halbzeit der Rechtsverteidiger Antonio Rüdiger die meisten Torschüsse aller deutschen Spieler ab. Alle per Kopf, jeweils nach einem Standard.

Erschwerend kam ein Fehlgriff des Bundestrainers hinzu, der im defensiven Mittelfeld auf die Dienste von Matthias Ginter gesetzt hatte und auf die eine oder andere Nachnominierung verzichtet hatte. So saßen auf der deutschen Bank lediglich vier Feldspieler als Alternativen bereit. Die Iren hatten deren zehn.

Matthias Ginter bemühte sich im Mittelfeld wohl redlich, wirkte aber sehr verloren auf seiner Position, auf der er nur als gelernter Innenverteidiger fast ausschließlich in der Offensive gefragt war, weil die Iren eine Halbzeit lang partout nicht angreifen wollten.

Ginters Probleme waren auch die Probleme der Mannschaft, die nach dem Wechsel aber trotzdem "aus weniger mehr gemacht als noch im Spiel gegen Polen", wie es Manuel Neuer formulierte: Nämlich ein Tor. Was wie der Dosenöffner für diese Partie erschien, entpuppte sich in der Schlussphase als tonnenschwerer Ballast.

Wie Schweden in klein

85 Minuten lang dominierte die deutsche Mannschaft Ball und Gegner und hörte urplötzlich damit auf. "Wir haben in der Schlussphase zu ängstlich gespielt und waren mutlos. Und wenn man sich dann versteckt, hat man keine Anspielstationen mehr und kann die Iren nicht laufen lassen. Dann muss der Torhüter lange Bälle schlagen", sagte Neuer. "Wir hätten sie am Boden weiter ausspielen sollen, das hätten wir cleverer lösen müssen. Komischerweise hatten wir bis zum 1:0 diese Probleme nicht..."

Der Weltmeister igelte sich ein gegen biedere Iren, die nach dem Spiel selbst nicht so genau wussten, warum sie so großzügig eingeladen wurden. "Ehrlich gesagt waren wir schon überrascht darüber, wie Deutschland die letzten Minuten der Partie gespielt hat. Sie haben komplett ihre Linie verloren und obwohl ich das gerne behaupten würde glaube ich nicht, dass das nur an uns lag", gestand Robbie Keane.

Mats Hummels sah ein paar "unfassbare Dinger", die sich die Mannschaft geleistet hätte und dass einige den Ball nicht mehr haben wollten. In Spuren erinnerten diese Reflexe an die skurrile Partie gegen Schweden vor zwei Jahren. Natürlich waren die Dimensionen damals weitaus größer, die Fallhöhe nach der 4:0-Führung gigantisch, der Ausfall aller Systeme geschichtsträchtig. Aber die Symptome ähnelten sich doch stark.

Wo ist das Selbstbewusstsein?

Was insofern verwunderlich ist, dass man auch einem nicht in Bestbesetzung angetretenen Weltmeister ein positiveres Selbstverständnis zugetraut hätte. "Wenn wir den Ball hundert Mal verlieren und die noch zu Freistößen und langen Bällen einladen und beim Gegentor in Unterzahl im eigenen Strafraum sind, so etwas kann einfach nicht sein", sagte Jerome Boateng in einem für seine Verhältnisse eindeutigen Tonfall.

Es setzt sich immer mehr die Vermutung durch, dass die Mannschaft doch noch nicht in der Lage ist, so viele Ausfälle auf einen Schlag zu kompensieren und die lange Jahre gewachsene Hierarchie mal eben im Handumdrehen neu zu erfinden. Der Schwung nach dem WM-Titel ist jedenfalls futsch.

Und so ist etwas passiert, das man sich vor wenigen Wochen kaum vorstellen konnte: Deutschland schaut gespannt auf die Ergebnisse der anderen Spiele. Am Dienstag war der Ausgang der Partie in Warschau zwischen Polen und Schottland plötzlich durchaus interessant. Und beide Kontrahenten lieferten ein beruhigendes Ergebnis, die Partie endete unentschieden. Deshalb wäre Deutschland mit einem einzigen Sieg wieder ganz vorne mit dabei.

"Viel Druck aufgebürdet"

"Wir haben uns jetzt viel Druck aufgebürdet. Das muss man einfach sagen nach vier Punkten aus drei Spielen", sagt Hummels und erhält dabei mahnende Unterstützung von Boateng. "Jeder muss jetzt wissen, in welcher Lage wir sind. Das gegen die Iren haben wir uns ganz klar selbst zuzuschreiben. Wir müssen jetzt aufwachen und meiner Meinung nach auch jedes Spiel gewinnen."

Das sollte im nächsten Pflichtspiel eine machbare Aufgabe sein, wenn es gegen Gibraltar geht. Der Bundestrainer muss sich dafür jetzt aber wohl wieder etwas Neues überlegen. Eigentlich hatte Löw vor, gegen den krassen Außenseiter einige seiner Vielspieler zu schonen. Nun muss man wohl konstatieren, dass die Mannschaft vielleicht doch besser jede Gelegenheit nutzen sollte, um sich wieder einzuspielen.

Die deutsche Mannschaft in der Übersicht