Oliver Kahn im Interview: "Das war die härteste Zeit meiner Karriere"

Von Daniel Herzog
Oliver Kahn musste sich bei der WM 2006 mit dem Platz hinter Jens Lehmann begnügen.
© getty

Oliver Kahn hat vor zehn Jahren seine Karriere beendet. Nach acht Deutschen Meisterschaften, sechs DFB-Pokalsiegen und zwei Europapokalsiegen mit dem FC Bayern München war Schluss. Im Interview mit SPOX und DAZN sprach die Torhüterlegende über das anstehende Pokalfinale, den zukünftigen Bayern-Trainer Niko Kovac und eine mögliche Rückkehr zum FCB.

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Außerdem äußerte sich der Titan über Joachim Löws Kadernominierung für die WM 2018 in Russland, die Situation von Manuel Neuer und die härteste Phase seines Lebens während der WM 2006.

Oliver Kahn über ...

... das Pokalfinale zwischen dem FC Bayern und Eintracht Frankfurt:

"Wenn der FC Bayern gegen Frankfurt den Pokal nicht gewinnt, dann wäre es eine mäßige Saison - das muss man sich bei über 20 Punkten Vorsprung in der Meisterschaft mal vorstellen. Man kann sich das aber kaum vorstellen. Die Lage ist aber auch prekär und spannend. Wenn ich mich aber in die Spieler hineinversetze, war da diese große Enttäuschung gegen Real Madrid, da ist alles von den Spielern abgefallen. Von ganz unten wieder hochzufahren für ein Finale, ist gar nicht so einfach. Hier liegt die Chance der Eintracht."

... den zukünftigen Bayern-Trainer Niko Kovac:

"Ich weiß, wie Niko Kovac denkt. Er will unbedingt den Pokal gewinnen und als Pokalsieger zum FC Bayern München kommen. Wieso soll die Eintracht nicht mit viel Glück, mit einer geilen Mentalität, einer guten Idee von Niko Kovac und wahnsinnigem Einsatz etwas reißen?"

... die Strategie des FC Bayern, ehemalige Spieler einzubinden:

"Die Tendenz ist unverkennbar, Rummenigge und Hoeneß setzen auf das Traditionelle. Vielleicht zieht man die Schlüsse aus den Erfahrungen, die man mit van Gaal, Guardiola oder Ancelotti gemacht hat. Es gab bei allen Genannten Probleme im Verständnis der Kultur des Vereins. Spieler, die den Verein kennen, haben keine Anpassungsprobleme."

... eine mögliche Rückkehr zum FC Bayern:

"Ich habe so viel zu tun, ich bin so viel in der Welt unterwegs ... Ich lasse das alles auf mich zukommen. Aber klar ist: Ich habe 14 hochemotionale Jahre meines Lebens bei Bayern München verbracht. Ich habe dem Verein sehr viel zu verdanken, bin Nationaltorhüter, Champions-League-Sieger und was weiß ich noch alles geworden. Dass ich zum FC Bayern eine Beziehung habe, versteht sich von selbst. Aber was darüber hinaus passiert - warten wir's ab."

... die fehlenden Einflussmöglichkeiten beim FC Bayern mit Rummenigge und Hoeneß:

"Der Verein braucht keinen wie Jürgen Klinsmann, der kommt, Buddhas aufstellt und zu 80 Prozent anders machen will. Ich glaube nicht, dass eine so große Organisation wie Bayern München, die konzernartige Strukturen aufgebaut hat, einen Innovator braucht oder jemanden, der alles auf den Kopf stellt. Da müssen wir die Kirche im Dorf lassen. Der Verein ist sechs Mal in Folge deutscher Meister geworden, der Verein hat sich in Europa absolut etabliert. Da geht's um zehn, 15 Prozent, wo man sich einbringen und vielleicht das eine oder andere ändern kann. Aber der Eindruck, da müsse alles umgekrempelt werden, ist ein bisschen weithergeholt."

... den deutschen WM-Kader und die Nichtnominierung von Mario Götze:

"Das war für mich keine Überraschung. Das Wichtigste bei einem Titelverteidiger ist, dass es keine Dankbarkeiten geben darf. Götze ist kein alter Spieler, der kann das jetzt auch verkraften. Vielleicht tut's ihm auch gut, vielleicht entwickelt er eine gewisse Motivation und Trotzreaktion. Ich bin überzeugt, dass ein Spieler, der so eine Qualität mitbringt, diese auch ein, zwei Jahre später wieder zeigen kann. Aber das findet größtenteils im Kopf statt. Er muss sich die Frage stellen, ob er das will oder ob er mit der momentanen Situation zufrieden ist. Wenn dem so ist, wäre das fatal und eine Rückkehr schwierig."

... eine neue Härte bei Joachim Löw in Personalentscheidungen:

"Das ist richtig. Er hat es auch sehr schön gesagt, dass es genau sein Job ist, solche Entscheidungen zu treffen. Natürlich ist das Denken außerhalb: ‚Och der Mario hat uns zum Weltmeister gemacht, den muss er doch mitnehmen.' Aber so brutal sich das anhört, genau das darfst du als Trainer nicht tun, weil wir uns vom WM-Titel 2014 nichts mehr kaufen können. Wir alle wissen, was Mario Götze kann, aber es war halt nicht seine Saison. Er hatte zu viele Spiele, in denen er nicht auffällig war und nach dem Leistungsprinzip ist es so, dass Löw den Spieler mitnimmt, der die besseren Leistungen gezeigt hat."

... die Wahl Petersen statt Wagner:

"Ist das so? Ich glaube eher, dass Wagner und Gomez in Konkurrenz standen. Ich glaube nicht, dass Wagner nicht nominiert wurde, weil er ein schwieriger Typ ist, der mal seine Meinung sagt. Petersen sieht Löw in seinem System sinnvoller untergebracht als Wagner. Dazu kommt, dass Wagner kaum gespielt hat. Wenn man das alles zusammenzählt, war es eine logische und erwartbare Entscheidung."

... Wagners Rücktritt aus der Nationalmannschaft:

"Bei ihm muss man das Alter sehen. Er ist keine 25 wie Götze und hat nicht mehr die Perspektive, bei vielen Weltmeisterschaften dabei zu sein, bei der nächsten wäre er 34. Er hat sich selbst gesagt, das ist meine letzte Chance, jetzt bin ich nicht dabei und dann trifft man aus Frust und Ärger eine solche Entscheidung."

... Topleistungen von Manuel Neuer bei der WM nach so langer Verletzungspause:

"Um es final zu beurteilen, müsste ich ihn in der täglichen Trainingsarbeit sehen. Aber es ist eigentlich unmöglich und undenkbar. Aufgrund seiner Leistungen in der Vergangenheit traut man es ihm aber zu. Es war richtig von Löw, ihn mitzunehmen und zu schauen, auf welchem Leistungsstand er ist. Selbst wenn er noch zwei Länderspiele macht, ist es trotzdem ein gigantisches Risiko, dessen sich alle bewusst sein müssen. Neuer muss sich fragen: Ist es wirklich sinnvoll, mir nach acht Monaten Pause gleich eine Weltmeisterschaft anzutun. Das ist schon eine krasse Entscheidung, die er treffen muss.

... Neuers Ersatz Marc-Andre ter Stegen:

"Er hat es geschafft, sich beim FC Barcelona durchzusetzen, allein das ist schon eine großartige Leistung. In der Nationalmannschaft war es ein harter Weg für ihn, er hat mit vielen Fehlern angefangen, fast in jedem Spiel ist ihm ein Klops unterlaufen. Das heißt, er hatte damals noch nicht das Selbstvertrauen. Durch den Confed Cup, den er stabil gespielt hat, und durch die Erfahrungen bei Barcelona ist er voll angekommen und auch voll akzeptiert. Das ist ein anderer ter Stegen als noch zu Beginn seiner Nationalmannschaftskarriere. Ich mache mir keine Sorgen, wenn er die Weltmeisterschaft spielen müsste."

... Parallelen zum Duell Kahn/Lehmann vor der WM 2006:

"Man spricht immer über Neuer und seine Verletzung, was für einen Neuer eine zusätzliche psychische Belastung ist. Aber genauso ist es für ter Stegen, der andauernd in einem Wartezustand ist. Auch das zehrt an der Psyche. Das kann man aber nicht mit 2006 vergleichen, weil heutzutage alle so lieb, nett und brav sind und immer alles akzeptieren. Ter Stegen hat keine Ansprüche angemeldet. Bei Jens Lehmann und mir war das anders, wir kamen auch aus einer anderen Generation, da hat man gelernt, seine Ansprüche anzumelden und auch lautstark zu vertreten."

... die Wirkung der WM 2006 auf sein Ego:

"Irgendwann muss man lernen, die Gesamtaufgabe über das eigene Ego zu stellen. Es ging ja nicht um Oliver Kahn, es ging um die Weltmeisterschaft. Als sich Klinsmann für Lehmann entschieden hat, wollte ich mich nicht durch die Hintertür verabschieden, sondern die Situation annehmen und aus dieser Situation das Beste machen. Rückblickend war das sicher die härteste Zeit meiner Karriere, bei der WM im eigenen Land auf der Bank zu sitzen. Aber gerade aus solchen Momenten und Lebensphasen nimmt man am meisten mit. Ich will diese Erfahrung nicht missen."

... den Besuch von Gündogan und Özil beim türkischen Präsidenten Erdogan:

"Dass sie sich der Tragweite nicht bewusst sein können, kann ich mir nicht vorstellen. Aber das unterstützt nur meine Theorie, dass dem einen oder anderen Profi das Denken von den Beratern abgenommen wird. Jetzt unterstellen wir mal, sie haben genau gewusst, was sie machen, dann müssen sie auch hinterher dazu stehen. Punkt. Aber dann herzugehen, ein Brimborium zu veranstalten und mit Vollgas zurückzurudern, ist dann immer ein bisschen schwierig."

... Löws Nominierung von Gündogan und Özil:

"Ich finde die Entscheidung absolut richtig. Dass die beiden einen Fehler gemacht haben, steht außer Frage. Dass ein Bundestrainer dann Konsequenzen ziehen müsse, was ist denn das? In was für einer Zeit leben wir denn? Wir wissen doch alle, dass viele Spieler mit Migrationshintergrund, sich nicht nicht wegen ihres Herzens für Deutschland entscheiden, sondern weil sie in der deutschen Nationalmannschaft große Erfolge haben können und ganz anders im Rampenlicht stehen als in dem Land, an dem ihr Herz möglicherweise hängt. Das ist nun mal so und da brauchen wir auch nicht päpstlicher sein als der Papst."

... eine mögliche Titelverteidigung bei der WM in Russland:

"Die anderen sind nicht schlechter geworden. Die Franzosen sind nochmal eine Klasse besser, auch die Brasilianer wollen ein bisschen etwas gutmachen und die Portugiesen sind mein Geheimfavorit. Die Mannschaft kann auch ohne Ronaldo einen sensationell guten Fußball spielen. Bei den Engländern findet ein Umbruch hin zu einer ganz anderen Spielergeneration statt, die man so aus England noch gar nicht kennt. Aber für ganz vorne ist es noch zu früh. Die Spanier sie sind jederzeit fähig, eine WM zu gewinnen. Einfach wird es nicht, aber möglich ist es. Wenn Real Madrid dreimal in Folge die Champions League gewinnen kann, warum sollen wir dann nicht zweimal Weltmeister werden können."

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