Kein Vergleich zur WM

Für die deutsche Nationalmannschaft war in Frankreich im Halbfinale Schluss
© getty
Cookie-Einstellungen

Abwehr: Ancelotti darf sich freuen

Jonas Hector: Immer noch der Stille. Der Unscheinbare. Der Kölsche Jung, der so gar nicht kölsch ist. Wenn man sich auf ein Prädikat für seine EM-Leistung festlegen muss, ist das sicherlich 'solide'. Legte noch nicht die Meisterprüfung als internationaler Top-Verteidiger ab, rechtfertigte mit stabilen und engagierten Auftritten auf der linken Seite aber seine Nominierung. War vor dem Turnier sicher Platz 23 in der Liste möglicher Nationalhelden im deutschen Kader - rächte sich aber bei allen, die so dachten, indem er sich im Viertelfinale gegen Italien durch seinen irgendwie reingeflüsterten Elfmeter in dieser Rangliste vorbei an Schweinsteiger, Özil und Co. katapultierte. Sagte anschließend den grandiosen Satz: "Buffon hat ihn nicht gehalten, also war er unhaltbar." Deutschland hat links hinten keine Alternative, die es besser gelöst hätte als Hector. Note 3

Mats Hummels: Kehrte nach seiner Verletzung schon früher als erwartet auf den Platz zurück und steigerte sich ab dem Polen-Spiel von Partie zu Partie. Half der Öffentlichkeit fortan auch, Dinge besser einzuordnen - wie zum Beispiel die Verklärung der deutschen Nationalmannschaft seit dem WM-Titel 2014. Nachdem er die anfänglichen Stolpersteine aus dem Weg geräumt hatte, machte er mit zunehmender EM-Dauer noch einmal deutlich, wieso er dem BVB so fehlen und die Bayern noch besser machen wird. Neben Boateng und Kimmich nun der dritte Bayer im Bunde, Ancelotti darf sich freuen. Seine Gelbsperre im schweren Halbfinale gegen Frankreich erinnerte aber ein bisschen an die von Thorsten Frings bei der Heim-WM 2006. Um es in Xavier Naidoos Worten zu sagen: Er war auserwählt, wurde ausgezählt, Mann, wir waren geschockt - Mats, Du hast gefehlt. Note 2

Jerome Boateng: Begann die EM-Vorbereitung unfreiweillig mit seinem persönlichen Nachbarschaftsduell mit AfD-Politiker Alexander Gauland, ließ die Debatte aber nicht an sich rankommen und zeigte bei der EM zumeist, warum ganz Deutschland froh sein muss, den wohl besten Verteidiger der Welt in den eigenen Reihen zu haben. Lieferte mit seinem akrobatischen Befreiungskick im Ukraine-Spiel schon gleich zu Beginn eines der Bilder der EM und lernte sich selbst immer mehr in der Rolle des Führungsspielers ein. Machte klare Ansagen, nahm seine Mitspieler in die Pflicht und war gleichzeitig Bezugsperson für alle. Was nervte, ihn am allermeisten, war die Muskulatur. Plagte sich durchgehend mit Spannungen im Körper, unterdrückte die aber stets für den gemeinsamen Erfolg - gegen Frankreich leider zu sehr. Ohne Boatengs Spieleröffnung fehlte Deutschland viel, noch mehr als ohne Hummels. Leistete sich während des Turniers aber gelegentlich mal den einen oder anderen kleinen Schnitzer. Glücklicherweise wurde nur der gegen Italien bestraft. Note 2,5

Joshua Kimmich: "Kimmich auf der Sechser-Position ist keine Option", machte Löw vor dem Halbfinale gegen Frankreich deutlich. Nur, weil er sich bis dahin schon so etwas wie verliebt hatte in den Bayern-Youngster - als Rechtsverteidiger. Kimmich bekam gegen Nordirland erstmals seine Chance für Höwedes und verbat Löw durch seine Leistung, ihn wieder aus der Startelf rauszunehmen. Brachte eine ganz neue Komponente in die deutsche Abwehr, legte seinen Demut trotz allen Lobs aber nie ab: Wie ein strebhafter Schuljunge - der er, wie wir dank Neuer jetzt wissen, ja auch ist - hörte er zu, nahm viel Neues auf und versuchte, den Offensiv-Plan auf der rechten Seite in Perfektion umzusetzen. Manchmal aber noch zu perfekt. Wirkte gelegentlich noch etwas überhastet und musste beim 0:2 gegen Frankreich auch persönliches Lehrgeld zahlen. Mit ein bisschen mehr Erfahrung darf man die Frage nach dem Lahm-Vergleich vielleicht 2018 in Russland noch einmal stellen. Note 2,5

Benedikt Höwedes: Die EM machte noch einmal klar, was eigentlich alle schon über Höwedes wussten: Die Offensive, das ist nicht unbedingt seins. Verteidigen kann der Schalker dafür umso besser. Machte sich durch zwei überschaubare Auftritte auf der Rechtsverteidiger-Position in der Gruppenphase zunächst verzichtbar und erkannte dann auch an, wie viel Frische Kimmich ins Spiel brachte. Es kam wieder einmal das Gefühl auf, es ginge auch ohne Höwedes. Doch dann rückte er gegen Italien wieder in die erste Elf und alle waren froh, dass er da ist. Verlor gegen Frankreich aber leider seinen Legenden-Status: Im 20. Spiel mit Höwedes verlor Deutschland zum ersten Mal. Note 3

Shkodran Mustafi: Vom Start-Held zur Nummer vier, profitierte bei der EM aber nur von den Verletzungen von Hummels und Rüdiger. Wuchtete Deutschland im ersten Spiel gegen die Ukraine in Führung, machte aber spielerisch nicht wirklich auf sich aufmerksam. Wurde bei Hummels' Rückkehr entsprechend aus der Mannschaft rotiert und fand dann nur noch einmal im Halbfinale rein - als Löw wenig Anderes übrig blieb. Immerhin: Mindestens ein deutsches Kind verdankt ihm seit diesem Sommer seinen Vornamen. Und bald wohl auch eine Kugel Eis. Note 3,5

Jonathan Tah: Wurde erst drei Tage vor EM-Start für den verletzten Rüdiger nachnominiert und konnte wohl von Anfang an ahnen, dass es aus deutscher Sicht schon mit dem Teufel hätte zugehen müssen, ehe er auf Einsatzminuten gekommen wäre. Für ihn persönlich aber sicher eine wertvolle Erfahrung - gerade, was zukünftige Turniere betrifft. Keine Bewertung