Pac(k)-Man

Toni Kroos trifft auch unter Druck fast immer die richtige Entscheidung
© getty

Toni Kroos diktiert das deutsche Spiel, wie es lange keiner mehr getan hat. Statistisch ist er ohnehin allen voraus, ein neues Analyse-Tool belegt auch seine Effizienz. Auch im Spiel gegen Polen (Do., 21 Uhr im LIVETICKER) ist er für das DFB-Team unverzichtbar. Allmählich nimmt man ihn in Deutschland als Star wahr.

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"Ich weiß nicht, was es ist. Aber schön, dass ich Zweiter bin", konnte Jerome Boateng am Dienstag auf der Pressekonferenz des DFB mit einem Lächeln nur hervorbringen. Er war gerade auf seinen Packing-Wert angesprochen worden.

Großflächig bekannt ist dieses neue System der Datenverwertung und Spielanalyse noch nicht. Die Firma Impect von Stefan Reinartz und Jens Hegeler entwickelte das Analyse-Tool, um gehaltvollere und aussagekräftigere Schlüsse aus Spieldaten zu ziehen.

Die Qualität des Passspiels soll eingeordnet und messbar gemacht werden. Nicht allein die Ballaktionen werden betrachtet, sondern damit einhergehend auch die Effizienz eines Spielers. Bewertet wird, wie viele Gegenspieler ein Akteur mit einem erfolgreichen Pass überwindet und somit aus dem Spiel nimmt.

Boateng brachte es im EM-Auftaktspiel gegen die Ukraine auf starke 75 überspielte Gegenspieler. Nur einer war besser: Toni Kroos kam auf einen Packing-Wert von 112.

Kroos an Eins kein Zufall

Der Mittelwert eines Bundesliga-Sechsers lag in dieser Saison bei 29. Inwiefern das Packing wirklich so revolutionär und gewinnbringend ist, wie es bisher angepriesen wurde, sei mal dahingestellt. Aber die ARD nutzt diese Methode für ihre Berichterstattung über die EURO und deshalb ist es gerade in aller Munde.

Immerhin ist es auf einigen Positionen deutlich schwieriger, einen guten Wert zu erhalten, als auf anderen. Zudem kann auch ein Querpass, bei dem kein Gegner überspielt wird, wichtig sein, indem er dem Passempfänger Möglichkeiten zum Vertikalspiel eröffnet.

Und doch ist es ein interessanter Parameter, der vor allem Rückschlüsse auf die Qualität der Spieleröffnung einer Mannschaft zulässt, besonders auf die zentralen Spieler. Dass Kroos das Ranking unangefochten anführt, kommt nicht von ungefähr.

"Habe ich den Ball, sind wir dominanter"

"Egal, ob Deutschland mit einer Dreier- oder Viererkette agiert, die Spieleröffnung läuft in erster Linie über Toni Kroos", machte Alexander Schmalhofer, Leiter des Fachbereichs Spiel- und Taktikanalyse am Institut für Fußballmanagement im Gespräch mit SPOX klar.

"Toni Kroos ist auf dem Platz ein Fixpunkt", bestätigte Löw in den letzten Tagen immer wieder. Mittlerweile steht Kroos für eine enorme Schaffenskraft im DFB-Team. Im deutschen Gerüst ist er so unverrückbar wie sonst nur Manuel Neuer, Jerome Boateng und Thomas Müller.

DFB-Team: Das muss gegen Polen besser werden

"Meine Stärke ist es, oft den Ball zu haben und damit gute Sachen anzustellen. Im Endeffekt ist es so: Je öfter ich den Ball habe, umso dominanter spielen wir - und umso öfter gewinnen wir", sagte Deutschlands Taktgeber in einer kleinen Medienrunde zuletzt selbst.

Kroos' Passqualität entscheidet

Das Offensivspiel der deutschen Mannschaft ist abhängig von Kroos' Übersicht, seinen Ideen und deren Umsetzungen. "Mit seiner Spielintelligenz kann Kroos mit einem flachen Pass auf einen der vier Zentrumsspieler den Angriff entwickeln", erklärt Schmalhofer Kroos' vordergründige Rolle im Spielaufbau.

Voraussetzung dafür ist die ständige Bewegung der restlichen Offensivspieler. Özil, Götze, Müller, Draxler und Co. müssen Laufwege anzeigen, Räume besetzen und den Gegner zur Raumdeckung zwingen.

Tun sie das, ist Kroos derjenige, der mit dem Ball am Fuß Gefahr für den Gegner produzieren soll. "Die Passqualität von Kroos wird in einem Positionsangriff somit auch über die Qualität der deutschen Torchancen entscheiden", so Schmalhofer weiter.

Wertschätzung mit angezogener Handbremse

Toni Kroos schafft es, selbst die schwierigsten Dinge mit dem Ball einfach aussehen zu lassen. Vielleicht liegt es daran, dass sich seine Begabung und auch Wichtigkeit noch nicht allen erschlossen hat.

Er ist seit knapp drei Wochen der einzige deutscher Fußballspieler, der mit zwei verschiedenen Vereinen die Champions League gewann. Umso erstaunlicher ist es, dass Kroos immer noch nicht das ihm gebührende Ansehen in Deutschland erfährt. Kroos spielt bei Real Madrid, aber er ist kein Superstar. Eine Umfrage vor der EM ergab, dass nur etwa 75 Prozent der Deutschen etwas mit dem Namen Toni Kroos anfangen können. Im Vergleich dazu: Bastian Schweinsteiger kannten 95 Prozent.

Das wirkt immer noch lächerlich wenig, wenn man bedenkt, dass Kroos in Sachen Titeln schon mehr erreicht hat, als viele andere in der an Helden so reichen deutschen Fußball-Historie. Doch langsam nimmt man ihn stärker wahr. Kroos erfährt eine immer größere Wertschätzung - bei dieser EM ist sie so groß wie nie zuvor.

Pac(k)-Man

"Wenn man vom FC Bayern zu Real Madrid wechselt und sich dann im Ausland bei einem so großen Klub durchsetzt, dann sagt das alles über seine Qualität aus. Er überträgt sein Spiel auf die Mannschaft und ist sowohl bei Real als auch bei uns ein sehr wichtiger Bestandteil", sagte Boateng am Dienstag über seinen Vordermann. Dabei wird der Begriff "Bestandteil" Kroos' Rolle nicht wirklich gerecht. "Hauptfigur" trifft es da schon eher.

Auch gegen Polen wird Kroos als zentraler Spieler wieder die mit Abstand besten Pass- und Ballaktionswerte aufweisen. In Sachen Packing ist es kaum vorstellbar, dass irgendein Spieler dieser EM Kroos überflügeln kann.

Irgendwie hat es ein bisschen was vom Videospiel Pac-Man: Die Spielfigur muss in einem Labyrinth Punkte fressen - für Kroos sind das Pässe -, während sie vom Gegner gejagt wird. Dieses Spiel beherrscht keiner wie er.

Toni Kroos im Steckbrief

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