"Über allem stand Franz' Lockerheit"

Franz Beckenbauer präsentiert den WM-Pokal auf dem Frankfürter Römer, Bodo Illgner schaut zu
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SPOX: Als Torhüter hatten Sie sehr engen Kontakt zu Sepp Maier, der als großer Spaßvogel für Unterhaltung im Team sorgte. Es gibt unzählige Geschichten über die Zeit während der WM. Einmal hat er dem Masseur Adi Katzenmeier einen echten Hasen in seinen Koffer gepackt. Als Andi Brehme dann im Training eine Verletzung simulierte, kam Katzenmeier mit seinem Koffer an und fand nur diesen Hasen drin.

Illgner: Adi Katzenmeier war die gute Seele unseres Teams und so ein guter Kerl, der hat mir schon leidgetan und sich die Sache auch zu Herzen genommen. Adi wollte sogar abreisen. Da hätte sich der Sepp lieber einen anderen aussuchen sollen bei diesem Scherz. Aber insgesamt hat der Sepp es hervorragend verstanden, den Spaß mit der Arbeit zu verbinden und unseren Alltag enorm aufgelockert.

SPOX: Und Maier war mit seiner Kamera immer ganz nah dran. Hat Sie das nicht gestört?

Illgner: Es war eigentlich klar, dass diese Erinnerungen für den internen Gebrauch bestimmt sind und unter uns bleiben. Deshalb haben wir Sepp mit der Kamera recht wenig Bedeutung beigemessen und uns ganz natürlich gegeben.

SPOX: Waren Sie ein bisschen schockiert darüber, dass der Film 2012 veröffentlicht wurde? Sie sind ja auch das eine oder andere Mal nackt zu sehen.

Illgner: Das war schon eine Überraschung, nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Spieler. Es war nie geplant, dass der Film an die Öffentlichkeit kommt. Sepp hatte uns den Film bei einigen Treffen immer mal wieder vorgeführt, von einer Veröffentlichung war da nie die Rede. Es gab so viele schöne Bilder, die man ohne Probleme zeigen kann und nur ein Bruchteil der Bilder, die so nicht unbedingt hätten veröffentlicht werden müssen, da hätte man sicher einige Szenen verändern können.

SPOX: Was die Bilder auch zeigen ist, dass bei allem Spaß der Fokus immer auf dem Wesentlichen lag. War diese Mentalität die größte Stärke der Mannschaft?

Illgner: Auf jeden Fall. Ein wichtiges Argument war, dass viele Spieler die WM 1986 im Mexiko erlebt hatten und das Turnier in vielen Bereichen nicht so erfolgreich verlief. Diese Spieler wie Matthäus, Völler, Littbarski und Brehme waren auch die Führungsspieler. Sie waren besonders engagiert und motiviert, sie haben dafür gesorgt, dass der Kurs immer gestimmt hat. Ich hatte immer das Gefühl, diese vier wollen diesen Titel unbedingt gewinnen. Für sie hätte das Turnier aufgrund ihres Alters auch die letzte WM sein können.

SPOX: Diese Spieler haben dann auch auf dem Platz entscheidende Rollen gespielt. Matthäus machte gegen Jugoslawien sein wahrscheinlich bestes Länderspiel, Brehme entschied das Achtelfinale gegen Holland. Diese beiden Partien werden auch immer als Schlüsselspiele genannt. Sehen Sie das auch so?

Illgner: Das Auftaktspiel hat uns enormen Schwung verliehen, weil Jugoslawien ein sehr hoch gehandelter Gegner war. Wir haben das Spiel so klar und ohne Probleme gewonnen und damit gleich einen deutlichen Akzent gesetzt. Holland war unser ständiger Rivale. Bei der EM 1988 sind wir an den Holländern gescheitert, in der Qualifikation haben sie uns auf Rang zwei verwiesen, auch wenn beide Spiele unentschieden endeten. Holland hatte zu dieser Zeit durch den EM-Titel leicht die Nase vorne. Die Bestätigung, gegen den Europameister bestehen zu können, war deshalb sehr wichtig.

SPOX: Wie wichtig war auch ein schlechtes Spiel wie das gegen die Tschechoslowakei im Viertelfinale? Die Mannschaft hatte nach dem Sieg über Holland eineinhalb Tage freibekommen, was zu einigen Diskussionen geführt hat.

Illgner: Das Spiel hat uns den Kopf zurückgerückt. Die Tschechoslowakei war ja ein schwächerer Gegner als Holland und wir haben das Spiel zu leicht genommen. Dadurch haben wir aber gemerkt, dass wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben und konzentriert weiter arbeiten müssen, wenn wir den Titel gewinnen wollen.

SPOX: Beckenbauer hat während des Spiels an der Seitenlinie getobt, später auch in der Kabine Sachen durch die Gegend geschossen und die Mannschaft ziemlich rund gemacht.

Illgner: Das war auch sehr wichtig zu diesem Zeitpunkt. Franz hat uns den Kopf gewaschen und uns damit auf den Boden geholt. Sepp Maier hatte dann das richtige Händchen und hat den Franz wieder eingefangen. So war die Verbindung zwischen Mannschaft und Teamchef schnell wiederhergestellt.

SPOX: Wie haben Sie Beckenbauer insgesamt während des Turniers wahrgenommen?

Illgner: Im Vergleich zu 1986, als er stark in der öffentlichen Kritik stand und einige Sachen nicht so gut gelaufen sind, war er der souveräne Teamchef, eine absolute Respektsperson. Er hatte alles im Griff und hat alles souverän gehandelt.

SPOX: Hat er vor dem Finale wirklich nur gesagt: "Geht's raus und spielt's Fußball"?

Illgner: Die Tage vor dem Finale haben wir wie das gesamte Turnier über Videoanalysen des Gegners gemacht. Das Trainerteam hat uns mit Videos auf die Stärken, Schwächen und Besonderheiten des Gegners vorbereitet. In der abschließenden Besprechung ist dann ganz am Ende dieser Satz gefallen. Diese Worte passten perfekt zu diesem Moment. Es wäre total überflüssig gewesen, zu diesem Zeitpunkt noch Motivation pauken zu wollen oder die Bedeutung dieser Partie herauszustellen. Das hat Franz richtig erkannt, das war überragend.

SPOX: Fußball gespielt hat dann auch nur die deutsche Mannschaft, Argentinien knüpfte an die schwachen Leistungen des Turniers an und wollte nur ins Elfmeterschießen. Wie haben Sie das Spiel erlebt?

Illgner: Rein aus fußballerischer Sicht hatten wir den Sieg verdient. Auch wenn es heute noch viele Leute gibt, die sagen, das war kein Elfmeter an Rudi Völler. Es war die zweite oder dritte umstrittene Aktion im Strafraum und für mich aus der Entfernung war es ein klarer Elfmeter. Wir haben die ganze Zeit gespielt, Argentinien hatte keine Chance. Aber das Spiel kam mir unendlich lang vor, weil die Anspannung so groß war. Selbst als die Argentinier zwei Mann weniger auf dem Platz hatten...

SPOX: ...Monzon und Dezotti hatten in der 65. bzw. 87. Minute Rote gesehen...

Illgner: Ja, aber das Gefühl ließ nicht nach, es war eine unheimliche Anspannung bis zum Schluss, obwohl eigentlich gar nichts passiert ist. Aber wir wussten ja auch, dass den Argentiniern ein langer Ball von Maradona oder ein schneller Angriff reichen konnte, um doch noch gefährlich zu werden.

SPOX: Es blieb beim 1:0, Deutschland wurde zum dritten Mal Weltmeister. Und wie die letzten Minuten dürfte auch die Feier im Anschluss lang geworden sein.

Illgner: Es war eine sehr schöne Feier, es herrschte pure Ausgelassenheit. Sogar Egidius Braun wurde besungen, er solle gleich die Prämien rausrücken. Er war dafür bekannt, dass er als Schatzmeister den Igel in der Tasche hat. Wann ich ins Bett bin, weiß ich nicht mehr genau. Es war auf jeden Fall spät.

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