Polen: Kick it like Volleyball

Adam Nawalka soll den polnischen Fußball wieder nach oben führen
© getty

Keines der bisherigen 18 Duelle gegen die deutsche Nationalmannschaft hat Polen gewinnen können. Die Ereignisse des polnischen Sportjahrs sorgten im Land für eine Euphoriewelle, die Fußballer sollen nun - endlich - nachziehen.

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Geschehen am Tag vor dem EM-Qualifikationsspiel Polens gegen Deutschland (20.45 Uhr im LIVE-TICKER): Der SPOX-Reporter setzt sich am Flughafen Warschau in ein Taxi und bittet in englischer Sprache um die Fahrt ins Hotel. Der schnauzbärtige Fahrer hat noch nicht in den dritten Gang geschalten, schon quillt der Stolz aus ihm heraus. "Hast Du gesehen, wie die Polen Volleyball-Weltmeister geworden sind?", will er wissen.

Der überraschende Triumph der Volleyballer vor heimischem Publikum hat in Polen eine sportliche Euphoriewelle ausgelöst, die noch immer zu spüren ist. Nun haben die Fußballer, Sportart Nummer eins im Nachbarland, den Weltmeister vor der Brust. Um sich für diese Begegnung Mut zu machen, laben sich die Polen an den Ereignissen ihres bisherigen Sportjahrs.

Polen gegen Deutschland war 2014 nämlich eine ziemlich einseitige Angelegenheit. Zweimal besiegte man die Deutschen im Handball (WM-Qualifikation) als auch im Basketball (EM-Qualifikation), auf dem Weg ins Volleyball-WM-Finale bezwang man Schwarz-Rot-Gold ebenfalls.

Die Polen sind heiß

Fehlen also noch die Fußballer, die beim Testkick gegen eine deutsche Perspektivelf vor der WM ein 0:0 erreichten. Und das wissen die auch: "Es wäre schön, wenn wir zu der Gruppe Mannschaftssportler gehören würden, die Deutschland in diesem Jahr besiegt hat", sagt Dortmunds Lukasz Piszczek im "Przeglad Sportowy". "Wir können es den Volleyballern nachmachen und durch großen Teamgeist zum Erfolg gelangen."

Die polnische Bevölkerung ist heiß auf das Spiel des Jahres im Warschauer Nationalstadion, für das man auch problemlos 100.000 Tickets hätte absetzen können. Spiele gegen Russland, England und die Deutschen sind in Polen seit jeher sportliche Kriege. Die Medien fahren im Vorfeld alle Geschütze auf, um die Partie am Samstagabend hoch zu jazzen.

Liest man dort nach und hört sich um, stellt man fest, dass mindestens die Hälfte der Leute daran glaubt, der fußballerischen Negativserie (sechs Remis und zwölf Niederlagen in 18 Duellen) ein Ende setzen zu können.

"Wenn nicht jetzt, wann dann?"

"Wenn du Deutschland jetzt nicht schlägst, dann schlägst du sie nie mehr", sagt der Taxifahrer, ein Gespräch hat sich längst entzündet. Mesut Özil falle aus, drei Weltmeister seien zurückgetreten - und wer sind überhaupt Spieler wie Antonio Rüdiger oder Erik Durm, die offenbar von Beginn an spielen werden? Der Taxifahrer lächelt, als man ihm den Tipp gibt, jetzt nur nicht zu übermütig zu werden.

Schließlich liegen die großen Erfolge des polnischen Fußballs (1974 und 1982 jeweils WM-Dritter) lange zurück, die Europameisterschaft 2012 im eigenen Land verlief ernüchternd. In der FIFA-Weltrangliste ist man hinter Staaten wie Libyen und Usbekistan auf Platz 70 zurückgefallen.

Damit sich dies ändert, gab der polnische Fußballverband im Oktober 2013 die Verpflichtung von Adam Nawalka als Nationalcoach bekannt, der zuvor bei Rekordmeister Gornik Zabrze unter Vertrag stand.

Ein Team aus 70 Bewerbern

Nawalka hat seit seinem Amtsantritt die beachtliche Anzahl von knapp 70 Spielern getestet. Diese rekrutierte er überwiegend aus der heimischen Ekstraklasa, besonders die Kicker aus Zabrze bekamen ihre Chance. Die Halb-Polen wie Bremens Ludovic Obraniak, Hoffenheims Eugen Polanski, Leverkusens Sebastian Boenisch oder Damien Perquis von Real Betis, allesamt Stammkräfte bei der EURO, spielen dagegen keine bis kaum eine Rolle mehr.

Nawalka hat seine Kernmannschaft mittlerweile gefunden und lässt diese in einem 4-2-3-1-System auflaufen, das variabel interpretiert wird. Besonders im Angriff, wo sich Robert Lewandowski häufig zurückfallen lässt, beinahe eine hängende Spitze gibt und dabei von Arkadiusz Milik (von Leverkusen derzeit an Ajax Amsterdam ausgeliehen) unterstützt wird.

Grzegorz Krychowiak vom FC Sevilla gilt als der heimliche neue Star des Teams und beackert die Mittelfeldzentrale, in der Innenverteidigung haben sich Kamil Glik (Kapitän des FC Turin) und Lukasz Szukala (Steaua Bukarest) gefunden. Nach fünf von acht Partien unter Nawalkas Leitung stand die Null.

Das sportliche Selbstbewusstsein ist groß

Die Phase des Tüftelns sieht der Coach aber bei weitem noch nicht als abgeschlossen an. Einem Großteil seiner Spieler mangelt es an internationaler Erfahrung, daher sind Partien gegen Kaliber wie Deutschland ein essentieller Gradmesser für die Entwicklung des Einzelnen und des Teams.

"Wir müssen unsere Mannschaft noch formen. Wir müssen unseren Weg gehen, unsere Balance finden. Das muss ein Team werden", sagt Nawalka.

Das sportliche Selbstbewusstsein, das dieser Tage aus den Polen spricht, steckt auch in ihm: "Ich hoffe und glaube, dass das schon am Samstag passiert. Alles fängt mit dem Glauben an. Man muss Respekt haben, aber wir dürfen keine Angst fühlen."

Wer etwas abergläubisch ist, wird sagen: Die Voraussetzungen, um einen Großen zu schlagen, sind gegeben. Polens letzter Sieg gegen ein Schwergewicht liegt am Samstag nämlich exakt acht Jahre zurück. 2006 schlug man im verschneiten Chorzow die Portugiesen mit 2:1. Doppeltorschütze damals: Ebi Smolarek

Das polnische Team im Überblick