"Wir werden nicht auf Regen warten"

Per Mertesacker gewann in der abgelaufenen Saison seinen ersten Titel mit dem FC Arsenal
© getty

Per Mertesacker kam als frisch gebackener FA Cup-Sieger vom FC Arsenal ins Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft nach Südtirol. Im Interview spricht der Innenverteidiger über die Erleichterung der Gunners-Fans, die Verletztenproblematik im DFB-Team und die klimatischen Herausforderungen in Brasilien.

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Frage: Herr Mertesacker, Sie sind verspätet nach Südtirol gekommen, weil Sie kürzlich zum zweiten Mal Vater geworden sind. Dazu herzlichen Glückwunsch. Hat Ihnen denn die Mannschaft nach Ihrer Ankunft ein Geschenk überreicht?

Per Mertesacker: Nein. Es gab einen feuchten Händedruck und das war's (lacht).

Frage: Es waren turbulente Tage, die hinter Ihnen liegen: FA Cup-Sieg mit Arsenal, die Vaterschaft, jetzt das Trainingslager.

Mertesacker: Es ist ungewöhnlich, so kurz nach der Geburt schon hier her zu kommen. Wir sind jetzt durch meine Abwesenheit auf unsere Eltern und Großeltern angewiesen, die gerade meine Frau sehr unterstützen. Unser erster Sohn, der 3-jährige Paul, bekommt nun auch so richtig mit, dass der Papa eine Weile lang fehlen wird. Das tut schon etwas mehr weh.

Frage: Für Arsenal war es der erste Titel seit 2004. Welche Auswirkungen hatte das auf den Klub, kann man das bereits beurteilen?

Mertesacker: Uns Spielern sind zahlreiche Steine vom Herzen gefallen. Wir haben dann auch etwas feiern können, auch wenn ich natürlich immer auf Abruf stand und es nicht übertreiben konnte. Dazu war die Erleichterung der Menschen enorm, ganz Islington war glücklich. Es war wunderschön, das jetzt mal miterleben zu können.

Frage: Die Arsenal-Fans hatten eine große Sehnsucht nach einem Titel. Die haben die Anhänger der deutschen Nationalmannschaft auch. Sind diese Gefühle in Ihren Augen vergleichbar?

Mertesacker: Das ist schwer zu sagen. Man trifft ja viel häufiger auf die Fans im Klub und bekommt dadurch über das Jahr hinweg einen ganz anderen Bezug. Manche sprechen einen auch direkt auf der Straße an. Das ist bei der Nationalelf schon anders. Die WM findet ja nur im Vier-Jahres-Rhythmus statt, es ist einfach ein anderes Highlight.

Frage: Sehen Sie die Erwartungshaltung der Deutschen bezüglich der WM in London mit anderen Augen?

Mertesacker: Es wird von der breiten Öffentlichkeit ganz unterschiedlich beurteilt. Wir tun daher gut daran, mit einer Vorfreude in das Turnier zu gehen. Die Gruppenphase wird entscheidend sein, denn da zeigt sich, wie wir mit den Bedingungen klar kommen. Wir werden da sehr getestet werden. Es stehen noch viele Fragezeichen für uns im Raum. Wir müssen uns ideal vorbereiten, um als Mannschaft mit einem positiven Gefühl dorthin zu fahren und diese Hürde zu nehmen.

Frage: Gelingt es denn so einfach, eine positive Grundstimmung zu entwickeln, wenn momentan so viele Spieler angeschlagen sind?

Mertesacker: Es gibt immer Nackenschläge, ob im Klub oder in der Nationalelf. Was erwartet man auch nach einer solch langen Saison? Die Spieler sind hoch belastet und diejenigen, die während der Saison weniger gespielt haben, werden jetzt hier hoch belastet. Es gehört dazu, dass es hier und da mal Hiobsbotschaften gibt, auch wenn natürlich versucht wird, präventiv zu behandeln, damit nichts Schlimmeres geschieht.

Frage: Sami Khedira, Manuel Neuer, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger - all diese Spieler befinden sich nicht in optimalem Zustand. Wie schwer würde ein Ausfall wiegen?

Mertesacker: Wir hoffen natürlich, dass alle auf den Punkt einen solchen Fitnesszustand vorweisen, damit sie uns helfen können. Manuel oder Philipp sind natürlich Stützen, schon über Jahre. Wir sind aber gut vorbereitet, sollten sie uns mal nicht helfen können. Man sollte sich befreien davon zu sagen, dass man völlig außer Kontrolle gerät, wenn mal eine Stütze wegbricht. Jeder in dieser Truppe hat das Selbstvertrauen, der Mannschaft helfen zu können, sobald er auf dem Feld steht.

Frage: Wie schätzen Sie die Lage bei Khedira ein, der nach seinem Kreuzbandriss erst seit ein paar Wochen wieder den Anschluss gefunden hat?

Mertesacker: Es ist unglaublich wichtig, dass er zuletzt ein paar Spiele bekommen hat, um sich wieder an das richtige Timing zu gewöhnen und Vertrauen in seinen Körper zu bekommen. Er muss sich in den nächsten Wochen wieder das richtige Gefühl erarbeiten. Sami ist mit seiner Präsenz als Sechser ein wichtiger Spieler für uns.

Frage: Das gesamte Team wird in Brasilien eine außergewöhnliche Fitness brauchen, um den klimatischen Bedingungen gewachsen zu sein. Haben Sie denn schon einmal mit Spielern gesprochen, die bereits in Brasilien gekickt haben?

Mertesacker: Nein, noch gar nicht. Das wird für uns die erste Erfahrung in dieser Beziehung sein. Wir haben es im vergangenen Jahr in den USA ein bisschen mitbekommen, wie es sein kann, wenn man Schwierigkeiten beim Atmen hat. Das wird definitiv eine große Herausforderung werden.

Frage: Hätten Sie sich jetzt während der Vorbereitungsphase gewünscht, dort mal ein, zwei Spiele zu absolvieren?

Mertesacker: Ich bin ehrlich gesagt lieber hier, um mich bestens vorzubereiten. Hier sind wir in der Nähe, die Anreise war leicht. Ich denke, wir tun gut daran, uns hier in unserem Kreis zu fokussieren und dann dorthin zu fliegen, um das abzurufen, wofür wir stehen.

Frage: Das ist unter anderem ein laufintensiver Spielstil und frühes Attackieren der Gegner. Wird man diese Herangehensweise aufgrund der Hitze möglicherweise überdenken müssen?

Mertesacker: Wir werden uns sicher nicht hinten reinstellen und auf Regen warten. Wir wollen auch in Brasilien hoch attackieren und unseren Stil, der uns nun schon seit Jahren ausmacht, trotz der Bedingungen weiterführen - auch wenn das intensiv sein wird.

Frage: Apropos Spielstil: Die Dortmunder und die Bayern-Spieler haben in ihren Vereinen unterschiedliche Ausrichtungen. Wie wird das hier in Südtirol zusammengeführt?

Mertesacker: Es sind verschiedene Philosophien, aber beide ähneln sich auch in der dominanten Art, wie sie spielen. Beide wollen nach Ballverlust die Kugel sofort zurückerobern, auch wir bei Arsenal. Es gibt also eigentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, viele Dinge sind in den Vereinen relativ autark. In der Nationalelf ist die Ansatzweise klar kommuniziert, so dass sich jeder ein Stück weit anzupassen hat. Dort ist es ein bisschen anders, vom Grundgedanken her ändert sich aber nicht viel.

Frage: Macht es für Sie als Innenverteidiger einen Unterschied, ob ein Spieler des BVB oder von Bayern neben Ihnen spielt?

Mertesacker: Nein, man ist ja über die Jahre hinweg daran gewöhnt worden. Der Trainer hat immer wieder gewechselt und gibt klare Vorgaben. Es ist einen Tick anders, wenn man nur drei Tage zusammen trainiert. Da gab es schon Spiele, in denen die Abstimmung nicht hundertprozentig passte. Jetzt ist Zeit genug, um genau daran zu feilen.

Frage: Sollte Philipp Lahm fit werden, wird die Frage sein, auf welcher Position er spielt. Haben Sie ihn lieber neben oder vor sich?

Mertesacker: Er hat in England mal bei einem Freundschaftsspiel auf der Sechs gespielt. Ich war sehr überrascht, dass dort dieselben Dinge von ihm zum Tragen kamen, die er auch auf der rechten Verteidigerposition beherrscht - besonders seine Ballsicherheit. Er ist ein kompletter Spieler und es ist schwierig, ihm die Kugel abzunehmen. Es ist für mich persönlich aber natürlich gängiger, wenn er neben mir spielt.

Frage: England ist mittlerweile Ihre Heimat geworden, die Bindung zu Arsenal groß. Können Sie sich vorstellen, noch einmal zurück zu kommen?

Mertesacker: Ich habe ja gerade erst langfristig bis 2018 verlängert. Der Verein hat mir viel Vertrauen geschenkt, das ich jetzt erst einmal zurückzahlen möchte. Es gibt derzeit überhaupt keine Planspiele, ob ich mal wieder nach Deutschland zurückkehre.

Per Mertesacker im Steckbrief