Die Problemsteuerung

Bundestrainer Joachim Löw hielt vor der ersten Trainingseinheit eine Ansprache ans Team
© getty

Endlich rollt der Ball im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft im Passeiertal in Südtirol. Es gibt einige Baustellen im DFB-Kader, die das Trainerteam individuell zu lösen versucht. Mehr als Hoffnung auf Besserung gibt es derzeit aber noch nicht.

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Der Aufgalopp am Mittwoch klang gemütlich. Die 23 deutschen Nationalspieler, die am Nachmittag im Teamhotel "Andreus" im Passeiertal in Südtirol eintrafen, bekamen zunächst einen Willkommensdrink in die Hand gedrückt. Nach dem Beziehen der Zimmer stand noch eine Mountainbiketour auf dem Programm, um sowohl eine leichte Fitnesseinheit zu absolvieren, als auch die malerische Landschaft im Örtchen Sankt Leonhard kennenzulernen.

Doch der Trip auf den Drahteseln geriet unvorhergesehen zu einer "großen Herausforderung", wie Teammanager Oliver Bierhoff am Tag danach im überhitzen Pressezelt am Trainingsgelände verriet. Ziemlich bergig sei die Route gewesen, zufällige Beobachter des DFB-Tross berichteten davon, dass Bundestrainer Joachim Löw zwischenzeitlich rund fünf Minuten hinter dem Kopf der Truppe her hinkte.

Vier Gruppen beim Training

Das Wort "hinterherhinken" darf man auch bezogen auf die Personalsituation im deutschen Team benutzen. Nur eine Handvoll an Spielern befindet sich in einer Top-Verfassung, der Rest war bis zuletzt noch stark beansprucht oder muss Rückstände aufholen. Wenn man beim ersten Mannschaftstraining am Donnerstag seinen Blick über den Platz schweifen ließ, konnte man genau genommen vier Gruppen entdecken.

Da waren einerseits die beiden Torhüter Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler, die sich von Torwarttrainer Andreas Köpke die Bälle um die Ohren schießen ließen. Bastian Schweinsteiger, der beim Fahrradfahren aussetzte, absolvierte nach einer Entzündung der Patellasehne zusammen mit zwei Athletiktrainern eine individuelle Einheit und lief mehrfach um den gesamten Platz - unter den strengen Augen seiner beiden Mitspieler Thomas Müller und Lukas Podolski, die dessen Bewegungsabläufe hin und wieder nachäfften.

Das Gros der Mannschaft agierte in zwei Gruppen unterteilt und übte Pass- sowie Vertikalspiel auf abgesteckten Feldern. Dort tat sich vor allem Müller hervor, der als Erster am Trainingsplatz vorgefahren kam und seine Kollegen mit lautstarken Anweisungen pushte.

Individualisierte Problemsteuerung

Natürlich sollte die Einheit am Vormittag ein bisschen mehr als ein erstes gemeinsames Akklimatisieren sein, besonders intensiv ging es dort aber noch nicht zur Sache. Doch konnte man anhand der "Grüppchenbildung" bereits erahnen, was später Co-Trainer Hansi Flick und Bierhoff auf dem Pressepodium äußerten.

"Die Situation in unserer Mannschaft ist unterschiedlicher, wie sie kaum sein kann. Wir müssen im individuellen Bereich arbeiten, in mehreren Gruppen", hieß es da.

Es ist eine individualisierte Problemsteuerung, die das Trainerteam in dieser Startphase Richtung Brasilien vornehmen muss. Man habe ab März genau hingeschaut, wie sehr die Spieler auf Vereinsebene belastet wurden - und dann das Trainingsprogramm für den Einzelnen festgelegt.

"Kein Kopfzerbrechen" bei Bierhoff

Gerade die Münchner und Dortmunder waren bis zuletzt aktiv, Miroslav Klose, Benedikt Höwedes oder Erik Durm etwa haben in den vergangenen Wochen dagegen kaum Spielpraxis gesammelt. Nachdem am Morgen die Belastung für nahezu alle dieselbe war, wird dies künftig bewusster gesteuert, um in der zweiten Woche alle auf demselben Stand zu haben und verstärkt im taktischen Bereich arbeiten zu können.

"Wir sind jetzt mit den Voraussetzungen zufrieden. Die Entwicklung der letzten Wochen war positiv, wir haben nicht mehr die großen Sorgen, die noch im März vorhanden waren. Momentan bereitet uns die Situation sicherlich kein Kopfzerbrechen", sagte Bierhoff trotz der holprigen Ausgangslage. Den Verantwortlichen bleiben auch kaum Alternativen, als die Hoffnung auf Besserung innerhalb der einzelnen Kader-Baustellen zu betonen. Doch ob dies auch so kommen wird, bleibt ungewiss.

Bei den lädierten Manuel Neuer (Kapseleinriss am rechten Schultereckgelenk) und Philipp Lahm (Bluterguss im linken Sprunggelenk nach einem Kapseleinriss) hängt vieles von einer Untersuchung am Donnerstag in München bei Teamarzt Dr. Müller-Wohlfahrt ab. Hebt er den Daumen, können beide Spieler am Freitag in Südtirol begrüßt werden.

Ter Stegen steht parat

Besonders bei Neuer ist die Situation nicht eindeutig. Marc-Andre ter Stegen wurde vorsichtshalber in Alarmbereitschaft gesetzt, sollte Neuers Genesung den nicht erhofften Verlauf nehmen. Laut Flick habe der Keeper aber einen großen Schritt nach vorne gemacht und ließ sich am Mittwoch sechs Stunden lang in München behandeln. Doch auch wenn beide Doublesieger bald in Italien aufschlagen, die volle Trainingsintensität können auch sie nicht direkt gehen. Bei Schweinsteiger wird abzuwarten sein, wie er das ihm auferlegte Programm verkraften wird.

Das wird auch bei Sami Khedira so sein, der am Montag - sollten Neuer und Lahm dann schon angereist sein - den Kader komplettieren wird. Beim DFB erhofft man sich, dass Carlo Ancelotti erst recht nach der Sperre von Xabi Alonso auf die Dienste des Deutschen im Champions-League-Finale am Samstag zurückgreifen wird. "Mein Traum ist es, dass er in der 83. Minute das entscheidende 1:0 für seinen Verein schießt", sagt Bierhoff über den Mann, der seit über 180 Tagen insgesamt 120 Spielminuten in den Beinen hat.

Von der Personalie Khedira wird hinsichtlich der defensiven Komposition der Mannschaft vieles abhängen, allen voran die Position von Lahm. Es sind noch einige Fragezeichen, die es für die deutsche Nationalmannschaft zu lösen gilt. Der 16. Juni ist der Tag des ersten Gruppenspiels gegen Portugal und auch das Datum, auf das die Verantwortlichen ihre Planungen ausrichten. Bis dahin muss die Problemsteuerung endgültig abgestellt sein.

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