Szenen einer Ehe

Von Stefan Rommel
August 2006: Joachim Löw bereitet sich auf sein erstes Länderspiel als Bundestrainer vor
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Mai 2012: Im Trainingslager in Südfrankreich gibt es zwei bestimmende Themen: Das verlorene Champions-League-Finale der Bayern gegen den FC Chelsea und die argen Defensivprobleme, die die Mannschaft seit Monaten nicht richtig in den Griff bekommt. Die Stimmung ist nicht die beste, einige Bayern-Spieler sind physisch und psychisch nicht auf höchstem Stand. Die aufkommende Dortmund-Fraktion sorgt für Argwohn. Das Testspiel der Rumpfmannschaft in Basel (ohne die Bayern-Akteure) mit fünf Gegentreffern lässt die Alarmglocken schrillen. Löw bleibt seiner Linie aber treu, lässt nicht mehr trainieren und verzichtet weiterhin auf das strukturierte Einüben von Defensiv- und Offensivstandards.

Juni 2012: In der schwersten der vier EM-Gruppen setzt sich Deutschland mit drei Siegen gegen Portugal, die Niederlande und Dänemark durch. Vor dem Viertelfinale gegen Griechenland stellt Löw personell ordentlich um, das Team legt ein Offensivfeuerwerk auf den Rasen. Was untergeht, sind die beiden Gegentore gegen eine eindimensionale griechische Mannschaft. Die Medien feiern Löw, fordern auch für das Halbfinale gegen Italien sein "goldenes Händchen". Wieder stellt er um, nimmt Marco Reus, Thomas Müller und Miroslav Klose aus der Mannschaft, bringt Mario Gomez, Toni Kroos und den bis dato schwachen Lukas Podolski. Zur Halbzeit liegt Deutschland 0:2 zurück. Löw reagiert nur personell, ändert seine Ausrichtung nicht sofort und spielt bis 20 Minuten vor Schluss nicht risikoreicher. Im Grunde sind es diese Dinge, die ihm nach der Niederlage zur Last gelegt werden könnten. Die ursprüngliche Aufstellung an sich folgt schlicht einem Plan, den er sich mit seinem Trainerteam erarbeitet und verfolgt hat. Damit verzockt er sich grandios. Der Aufschrei ist enorm, nicht wenige Journalisten fühlen sich offenbar persönlich beleidigt und schlagen brutal zurück. Löw fällt tief, vom Messias zum Sündenbock. Er gibt nach der Landung in Frankfurt noch eine improvisierte Pressekonferenz und verschwindet dann für die nächsten Wochen.

13. August 2012: Vor dem ersten Länderspiel der neuen Saison gegen Argentinien wählt Löw eine Pressekonferenz, um mit dem Abstand von 46 Tagen seine Sicht der Dinge zu erläutern. Der angekündigte Dialog wird aber schnell zum Monolog. Löw führt aus, was ihm an der Berichterstattung nach dem Halbfinale von Warschau nicht gefallen hat, er gesteht nur zögerlich und schwammig formuliert eigene Fehler ein. "Teilweise habe ich die Kritik als nicht zielführend und ermüdend empfunden. Die Diskussion, dass meine Spieler zu verwöhnt seien oder dass Leitwölfe fehlen, will ich nicht mehr führen. Wir haben keine flachen Hierarchien, sondern klare Strukturen." Seinen Plan gegen die Italiener verteidige er auch jetzt noch "zu 100 Prozent": "Ich stehe zu dieser Entscheidung und übernehme die Verantwortung dafür, dass es nicht geklappt hat."

Oktober 2012: Vor dem Qualifikationsspiel gegen Irland lässt sich Löw zu einer unüberlegten Aussage in Richtung Marcel Schmelzer leiten und erntet dafür zu Recht heftige Kritik von allen Seiten. "Er hat gegen Österreich kein gutes Spiel gemacht. Viele Alternativen gibt es jetzt aber auch nicht, also müssen wir mit Marcel Schmelzer die nächsten zwei, drei, vier, fünf Monate weiterarbeiten", sagt Löw.

"Wir werden mit ihm weiterarbeiten und Alternativen schaffen." Nach dem Spiel entschuldigt sich Löw beim Dortmunder für seine Wortwahl. Nur vier Tage später erlebt seine Mannschaft einen historischen Zusammenbruch. Das 4:4 gegen die Schweden reißt alte Wunden wieder auf, Löws (Offensiv-)System steht mehr denn je in Frage. Der Blick der Fans auf die Nationalmannschaft und Löws Wirken ändert sich spätestens mit diesem Spiel. Von nun an kann er die Dinge nicht mehr vor sich hertreiben, er steht unter Beobachtung, muss liefern. Selbst über einen Rücktritt wird fabuliert. Der Bundestrainer denkt aber gar nicht daran. Seine Außendarstellung wird aber zurückhaltender.

Herbst 2013: Das Kalenderjahr 2013 verläuft ruhig, abgesehen von den vielen Gegentoren, die die Mannschaft immer noch kassiert. Kleinere Konflikte wie den mit Mats Hummels räumt Löw schnell aus der Welt. Die Mannschaft qualifiziert sich im September gegen Österreich vorzeitig für die WM in Brasilien. Am 18. Oktober gibt der DFB die Vertragsverlängerung mit Löw bis 2016 bekannt. Das Testspiel gegen Italien wird zu dessen 100. Länderspiel als Bundestrainer.

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