Szenen einer Ehe

Von Stefan Rommel
August 2006: Joachim Löw bereitet sich auf sein erstes Länderspiel als Bundestrainer vor
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Mai 2010: Löw zieht seine Mannschaft im ersten Trainingslager auf Sardinien zusammen und muss vor dem TV-Gerät erleben, wie Michael Ballack nach einem harten Foul von Kevin-Prince Boateng für das Endturnier ausfällt. Die "ARD" sendet tatsächlich einen "Brennpunkt". Davor hatte ihm seine eigentliche Nummer eins Rene Adler bereits wegen einer Rippenverletzung abgesagt. Im zweiten Trainingslager in Südtirol benennt Löw seinen Rechtsverteidiger Philipp Lahm als neuen Kapitän und Bastian Schweinsteiger als dessen Stellvertreter. Löw nennt ihn den Emotional Leader. Als sich mit Heiko Westermann und Christian Träsch noch zwei Spieler während der Vorbereitung verletzen, steht die Mission WM 2010 unter einem äußerst ungünstigen Stern - und damit unweigerlich auch Löws Chance auf eine Weiterbeschäftigung darüberhinaus.

Juni 2010: In Südafrika hat die Mannschaft erneut in der Vorrunde Probleme, steht nach einem 0:1 gegen Serbien im zweiten Spiel zum Abschluss gegen Ghana unter Druck. Ein Tor von Mesut Özil regelt das Weiterkommen. Was folgt, sind die beiden beeindruckendsten Spiele der Ära Löw bis dahin. Mit fulminantem Umschalt-Fußball (und etwas Glück) fegt Deutschland im Achtelfinale England vom Feld, wenige Tage später zerlegt die Mannschaft das hoch eingeschätzte Argentinien in seine Einzelteile. Im Rückblick bezeichnet Löw heute die Partie in Kapstadt als das beste seiner bisher 99 Länderspiele. In der Heimat reift der Traum vom WM-Titel - den dann abermals die Spanier kühl zerstören. Löws Team spielt gegen den Europameister zu zögerlich, ängstlich, ohne den Mumm, den es in einem WM-Halbfinale gegen ein Kaliber wie die Spanier braucht. Inwieweit der drei Tage zuvor entbrannte Streit - nach einem Besuch Ballacks bei der Mannschaft - um das Kapitänsamt die Leistung beeinflusst hat, ist nicht zu sagen. Tatsache ist aber, dass Lahms Äußerungen im Hinblick auf die Zeit nach der WM nicht eben für Ruhe innerhalb der Mannschaft gesorgt haben. "Die Rolle des Kapitäns macht mir sehr viel Spaß. Ich habe Freude daran. Wieso sollte ich das Amt dann freiwillig abgeben?", sagte Lahm der "Bild". "Es ist doch klar, dass ich die Kapitänsbinde gerne behalten möchte. Wenn man seine Rolle auf dem Platz ausfüllt und sie im Griff hat, so wie ich auf meiner Position, dann will man mehr. Dann will man mehr Verantwortung, dann will man sich um das Ganze kümmern. Und das ist jetzt bei mir der Fall." Löw lässt die Entscheidung offen, die Mannschaft gewinnt immerhin noch die Partie um Platz drei gegen Uruguay. Auf der abschließenden Pressekonferenz in Pretoria lässt Löw seine Zukunft offen. Er ist mittlerweile nicht mehr der Bittsteller, sondern in einer überlegenen Position. DFB-Boss Zwanziger will unbedingt verlängern, Löw lässt ihn zappeln. Bundespräsident Christian Wulff kündigt an, Löw in den kommenden Wochen das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Der Bundestrainer ist auf der Höhe seiner Popularität angelangt. Am 20. Juli verlängert Löw seinen Vertrag mit dem DFB um weitere zwei Jahre.

26. Dezember 2010: Die Qualifikation zur EM 2012 verläuft reibungslos. Was weiter schwelt, ist das Thema Ballack. "Er ist Kapitän, wenn er wieder dabei ist", sagt Löw und hält sich damit alle Türen offen. Der Bundestrainer bleibt zögerlich, will keinen klaren Schlussstrich ziehen. Die Mannschaft hat sich längst von Ballack emanzipiert. Nun bräuchte es jemanden, der Ballack das auch so vermittelt. Vor dem ersten Länderspiel des Jahres 2011 wird Löw etwas konkreter, zum Nachteil Ballacks. "Qualität steht über Erfahrung. Es geht darum, wer in der Lage ist, die deutsche Nationalmannschaft zu verstärken", sagt er vor dem Italien-Spiel.

Frühjahr 2011: Ballack und Löw treffen sich öfter zu Gesprächen, ein klares Ergebnis gibt es aber weiterhin nicht. Gerüchten zufolge soll Ballack in zwei Testspielen gegen Uruguay und Brasilien nochmal auflaufen, um die 100-Länderspiele-Marke zu knacken. Löw verlängert seinen Vertrag am 15. März bis Juli 2014.

16. Juni 2011: Löw legt sich endlich fest: Er plant die Zukunft seiner Mannschaft ohne Ballack. Stattdessen bietet der DFB seinem Ex-Kapitän eine Art Abschiedsspiel an: Das längst terminierte Freundschaftsspiel gegen Brasilien im August. Ballack lehnt ab.

15. November 2011: Zum Abschluss des Länderspieljahres spielt die deutsche Mannschaft die Niederlande derart auseinander, dass Deutschland ab sofort als großer Favorit auf den EM-Titel im Jahr darauf gilt. Noch vor Spanien.

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Seite 4: EM 2012 und die große Abrechnung

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