Viele große Rätsel

Von Stefan Rommel
Drei deutsche Figuren der EM: Sami Khedira, Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger (v.l.)
© Getty

Die Europameisterschaft aus deutscher Sicht: Manche Spieler haben sich in den Vordergrund gespielt, andere müssen in Zukunft wieder deutlich zulegen. Von Badstuber bis Zieler - eine Bilanz.

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Die Torhüter

Manuel Neuer: In seinem Kerngeschäft innerhalb des Strafraums während der gesamten EM ohne groben Fehler. Gegen Portugal mit seinen Paraden einer der Garanten für den Auftaktsieg. Bei einigen Ausflügen nach draußen nicht immer sicher - allerdings bereinigte er so auch manch potenziell gefährliche Szene schon im Ansatz. In der Endphase gegen Italien mit dem unbedingten Willen, spielte fast eine Art Libero, ging dreimal mit nach vorne. Insgesamt ein starkes Turnier von Neuer. Seine Rolle in der Mannschaft dürfte auch in den nächsten Jahren unstrittig sein: die der Nummer eins.

Tim Wiese: Wie schon vor zwei Jahren die Nummer zwei hinter Neuer. Hielt sich auch dieses Mal strikt an die Etikette, maulte nicht, sondern war im Gegenteil wieder einer der Spaßvögel im Kader. Das Gute an Wiese ist, dass man ihn wirklich jederzeit absolut bedenkenlos einsetzen hätte können. Mehr kann man von einer Nummer zwei nicht erwarten. Obwohl: Bei der geforderten Ansprache im Beisein der Kanzlerin kniff er. Kann man irgendwie auch verstehen... Zukunft: Weiter in Schwarz und Weiß, weiter größtenteils auf der Bank.

Ron-Robert Zieler: Er feierte seinen persönlichen Sieg bereits im Trainingslager in Tourrettes, als er sich im Rennen um die dritte Torhüterposition knapp gegen Marc-Andre ter Stegen durchsetze. Bei der EM dann erwartungsgemäß der Trainingspartner von Neuer und Wiese, durfte reinschnuppern und den Rest der Mannschaft beim Poolbillard abzocken. Wird sich aber schon ab dem ersten Bundesligaspieltag den Angriffen ter Stegens, Bernd Lenos oder Sven Ulreichs erwehren müssen.

Die Abwehrspieler

Holger Badstuber: Er galt schon vor dem Turnier als die Konstante in der Innenverteidigung und gesetzt. Bestätigte das Vertrauen von Löw mit teilweise sehr guten Leistungen. Spielte defensiv unspektakulär, nach vorne flach, präzise und hart. In der Abstimmung mit Mats Hummels in den ersten vier Spielen nahezu fehlerlos. Gegen Italien schien es aber so, als sei er entweder schlecht vorbereitet auf die zweite nominelle Spitze oder aber damit überfordert. Hatte im Halbfinale einige sehr unwirsche Aktionen, die seinen guten Gesamteindruck schmälern. Trotzdem bleibt Badstuber mit seinen Qualitäten ein Spieler für die erste Elf.

Jerome Boateng: Reiste mit einer aufgebauschten Gina-Lisa-Affäre im Gepäck nach Danzig und bekam deshalb vom Bundestrainer öffentlich einen Rüffel verpasst wie noch kaum einer vor ihm. Die eingeforderten Leistungen erbrachte Boateng dann aber, wenn er denn spielen durfte. Sein Ersatzmann Lars Bender nutzte die Gunst der Stunde zwar gegen Dänemark, stark genug um an Boateng vorbeizukommen war er dem Bundestrainer aber nicht. Gegen Italien das größte Opfer der taktischen Umstellung, machte immerhin noch das Beste daraus. Aber: Boateng ist und bleibt gelernter Innenverteidiger und auf der rechten - oder linken - Außenbahn nur die beste Notlösung.

Benedikt Höwedes: Der Schalker durfte sein erstes Turnier erleben und fügte sich klaglos in die Rolle des EM-Touristen. War in der Innenverteidigung Alternative Nummer vier, als Rechtsverteidiger erst Nummer zwei, dann nur noch Nummer drei. Trotzdem empfand er die Erfahrungen bei der EM als wertvoll. Die heißesten Gefechte lieferte er sich mit Lars Bender am Billardtisch. In Zukunft wird er für die Position rechts in der Viererkette vielleicht wieder in Frage kommen. Je nachdem, wo er beim FC Schalke demnächst aufgestellt wird. Für den Posten in der Innenverteidigung erscheint die Konkurrenz zu groß.

Mats Hummels: Schien gegen Portugal schon als fixer Ersatzspieler eingeplant und rutschte dann doch ins Team. Nach zehn Minuten Eingewöhnungsphase eine Bank im deutschen Abwehrzentrum - bis zu seinem ebenso unerklärlichen wie einfachen Fehler gegen Antonio Cassano. Das einzig Gute daran: Diese Art Fauxpas wird man von Hummels nicht wieder sehen. Mit seiner selbstbewussten Art nicht für jeden in der Mannschaft leicht zu nehmen. Aber Hummels überzeugte bei seinem ersten großen Turnier, was Mut macht für die Zukunft. Die will er entscheidend mitprägen und dabei auch selbst vorangehen.

Philipp Lahm: Wünschte sich die rechte und bekam aber erneut nur die linke Seite in der Viererkette zugewiesen. Verrichtete seine Arbeit dort ordentlich bis gut, gegen die Niederlande sogar wie der Lahm in Weltklassemanier. Aber auch ihm fehlte die Konstanz, das gesamte Turnier auf Toplevel zu absolvieren. Dann gegen Italien nach seinem Tor gegen die Griechen in zwei entscheidenden Szenen zu inkonsequent: Vor Balotellis 0:2 und bei der dicken, von ihm selbst glänzend eingefädelten Chance direkt nach der Pause. Als Kapitän sehen viele einen Nachteil: Befindet sich auf der Außenbahn immer einen Tick zu weit weg vom Geschehen, um in heiklen Situationen (verbal) einzugreifen.

Per Mertesacker: Zwischen Stammspieler und Bankdrücker war vor der EM alles möglich. Für Mertesacker wurde es letztlich ein Turnier aus der Zuschauerperspektive. Eine neue Erfahrung, war er doch in den drei Großveranstaltungen davor stets in der Innenverteidigung gesetzt. Seine langwierige Verletzung ließ aber zunächst offenbar keinen Einsatz auf diesem Niveau zu, nach dem Portugal-Spiel hatten sich Badstuber und Hummels dann als Duo festgespielt. Also blieb Merte nur die Rolle des Motivators, der als Mitglied des Mannschaftsrats ein wenig anleiten durfte. Die Frage, ob nun eine Ära im DFB-Team zu Ende gehen würde, wurde mit den Worten "totaler Schwachsinn" beantwortet - von seinem Konkurrenten Badstuber. Trotzdem dürfte es für Mertesacker schwer werden, noch mal richtig zurückzukehren in die erste Elf.

Marcel Schmelzer: Sein Schicksal war mit Löws Entscheidung, seinen Kapitän lahm auf die linke Seite zu beordern, quasi schon besiegelt. Der Bundestrainer traute dem Dortmunder ein Turnier auf diesem Niveau noch nicht zu, also blieb für Schmelzer nur die Rolle des Beobachters. Sollte Deutschland auch bis zur WM in zwei Jahren nicht zufällig noch einen Weltklasse-Außenverteidiger aus dem Hut zaubern, darf Schmelzer wieder angreifen.

Seite 2: Das Mittelfeld und der Angriff

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