"Lars macht sich vor niemandem in die Hose"

Von Interview: Haruka Gruber
Lars Bender könnte in der deutschen Startelf gegen Portugal stehen
© Getty

Der Rechtsverteidiger-Notstand und die riskante Jogi-Löw-Idee: Wie verwegen wäre das Lars-Bender-Experiment zum EM-Auftakt gegen Portugal (Sa., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER)? Ernst Tanner, als ehemaliger Nachwuchschef des TSV 1860 München der Förderer des vor drei Jahren nach Leverkusen gewechselten Bender, über Christian Träsch, Zoltan Sebescen und die Schwierigkeit gegen Cristiano Ronaldo.

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SPOX: Mit der Aussage, dass er Lars Bender als Rechtsverteidiger für den EM-Auftakt gegen Portugal in Betracht zieht, überraschte Bundestrainer Jogi Löw die meisten Beobachter. Sie auch?

Ernst Tanner: Nicht sonderlich. Bisher war es immer so, dass jeder Trainer versucht hat, für Lars einen Platz in der Mannschaft zu finden, weil er ein klasse Fußballer ist.

SPOX: Aber gleich in der für ihn ungewohnten Position rechts hinten?

Tanner: Ich traue Lars alles zu. Wir haben in Deutschland nun mal nicht so viele Rechtsverteidiger - und Lars gehört sicherlich zu den Kandidaten, die das sehr gut spielen können. Er ist ein unglaublich intelligenter Spieler, der das Pressing sehr gut umsetzt - was wiederum wichtig ist, um den Gegner früh zu attackieren.

SPOX: Bringt Bender Erfahrung als Rechtsverteidiger mit?

Tanner: Im Jugendbereich wurde er im Grunde auf allen Positionen eingesetzt, sei es in der Abwehr außen und innen, im zentralen Mittelfeld, hinter der Spitze oder sogar im Sturm. Es sollte dennoch nicht vergessen werden, dass er kein gelernter Rechtsverteidiger ist und es eine Zeit dauern kann, bis er sich an die Position gewöhnt.

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SPOX: Was genau ist die größte Schwierigkeit?

Tanner: Ohne Zweifel, Lars kann sehr gut verteidigen. Doch die Art des Verteidigens ist die eines Mittelfeldspielers. Es gibt aber einen deutlichen Unterschied, ob du als Mittelfeldspieler gegen großgewachsene Gegner Bälle klaust, oder ob du gegen quirlige, dribbelstarke Flügelstürmer bestehen musst. Es wäre sicherlich leichter, wenn die gegnerische Mannschaft nur mit zwei statt mit drei Spitzen spielt, weil dann Eins-gegen-eins-Situationen für den Außenverteidiger seltener vorkommen.

SPOX: Portugal setzt jedoch auf einen klassischen Dreier-Sturm - mit Linksaußen-Spezialist Cristiano Ronaldo als direkten Gegenspieler. Ein Argument gegen Bender?

Tanner: Wenn man auf der Position nicht so erfahren ist und ein Ronaldo auf dich zu marschiert, ist es schon eine große Herausforderung. Andererseits ist es egal, ob Bender oder Jerome Boateng beginnt, weil es eh schwierig wird. Man kann Ronaldo nur kontrollieren, wenn man ihn doppelt oder sogar einen dritten Mann dazu holt. Die Bayern haben das in der Champions League gegen Real Madrid gut umgesetzt.

SPOX: Lars und sein Zwillingsbruder Sven Bender sind ähnliche Spielertypen. Es gebe jedoch einen Unterschied: Lars sei technisch stärker und offensiv gefährlicher, Sven wiederum habe größere Stärken in der Balleroberung. Wäre der aussortierte Sven Bender daher nicht die bessere Wahl als Rechtsverteidiger gewesen?

Tanner: Das ist mir zu pauschalisiert. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie Zwillinge sind, sondern auch, weil sie im Mittelfeld groß geworden sind, ähneln sich die Spielanlagen sehr. Der einzige Unterschied: Lars musste in der Jugend häufiger auf andere Positionen ausweichen, daher ist er etwas variabler.

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SPOX: Auffällig bei Lars Bender in der abgelaufenen Saison: Er bemühte sich auch aus dem defensiven Mittelfeld, sich am Leverkusener Offensivspiel zu beteiligen. Ist diese Eigenschaft aber nicht zu riskant, sollte er rechts hinten aufgestellt werden?

Tanner: Im modernen Spielsystem ist es wichtig, auf außen mitzugehen, Überzahl zu schaffen, Flanken zu schlagen, Assists zu geben - aber gleichzeitig nicht die Defensive zu vergessen. Das ist nicht leicht für einen gelernten Mittelfeldspieler. Lars sollte das aber schaffen. Da kommt ihm die Ausbildung bei 1860 zugute. Er ist ein überragender Stratege, der sich schnell an neue Situationen anpassen kann.

SPOX: Christian Träsch ging ebenfalls bei 1860 in die Lehre - allerdingt kommt er in Wolfsburg nicht damit zurecht, dass er zwischen dem defensiven Mittelfeld und der Rechtsverteidigung hin und her geschoben wird. Entsprechend wurde er auch nicht für die EM nominiert. Sollte das nicht eine Warnung sein?

Tanner: Es sind zwei völlig unterschiedliche Spielertypen: Christian Träsch kommt eher über seine Grundaggressivität, Lars ist wie Sven ein taktisch sehr gut ausgebildeter, sehr intelligenter Fußballer. Daher macht ein Vergleich speziell in dem Fall keinen Sinn.

SPOX: Bereits im Jahre 2000 versuchte sich der damalige Bundestrainer Erich Ribbeck an einem Rechtsverteidiger-Experiment: Völlig überraschend wurde ein überforderter Zoltan Sebescen gegen die Niederlande rechts hinten aufgestellt - und zeigte eine desolate Leistung. Wie ist es um Benders Nervenkostüm bestellt?

Tanner: Der Lars ist so cool, dass er sich vor niemandem in die Hose macht. Am Nervenkostüm wird es sicherlich nicht scheitern.

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