Entdeckungsreise mit Wirkung

Von Stefan Rommel
Der Schein trügt: Bundestrainer Löw (r.) war durchaus zufrieden mit Götze (M.) und Özil
© Getty

Das Remis der deutschen Mannschaft in der Ukraine dient kaum zur Legendenbildung - für Bundestrainer Joachim Löw hat es aber den Sinn und Zweck der Expedition voll erfüllt. Die Debatte um die eingesetzte Dreierkette nahm Löw gelassen hin.

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Man musste schon ein paar Jahre zurückdenken, um sich noch einmal das Gefühl von drei Gegentoren in einer Halbzeit vor Augen zu führen.

Im März 2006 war es, Joachim Löw war damals noch Co-Trainer an der Seite von Jürgen Klinsmann. In Florenz tobte Italiens Offensive nur so durch die deutsche Deckung, Alberto Gilardino, Luca Toni und Daniele De Rossi zerrupften die deutsche Mannschaft nach Belieben.

Am Ende stand ein 1:4 im ersten Testspiel des Jahres, ein gewiss niederschmetterndes Ereignis. Vielleicht wäre das aber alles halb so wild gewesen, hätte es sich nicht der Auftakt der intensiven Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land gehandelt.

Selbst die "Süddeutsche Zeitung" widmete dem deutschen Debakel ihre Seite drei, die "Bild" beschwor ein Weltuntergangsszenario nach dem anderen herauf. Das nationale Gut Nationalmannschaft stand auf dem Spiel und mit ihm eine erfolgreiche WM.

Zieler kalt erwischt

Am Freitagabend trug sich im neuen Olympiastadion in Kiew ähnliches zu. Das Torhüter-Land Deutschland hatte mal wieder einen neuen Torhüter präsentiert. Einen vergleichbar absurden ersten Spielabschnitt dürfte aber in der 111-jährigen Geschichte des DFB noch kein anderer Torhüter bei seinem Debüt erlebt haben wie Ron-Robert Zieler.

Drei Schüsse der extrem defensiv lauernden Ukrainer fanden den Weg auf und dann auch gleich in sein Tor. Der reinste Horror für einen Keeper. "In der Pause war er schon geknickt und enttäuscht", sagte Joachim Löw danach.

Dass Zieler aber doch mehr kann, als die Bälle nur griesgrämig wieder aus dem Netz zu holen, durfte er zu seinem persönlichen und zum Glück der Mannschaft dann aber wenigstens noch in der zweiten Halbzeit zeigen.

Löw sieht "klare Dominanz"

Da hielt sich diese neu kompilierte deutsche Mannschaft statistisch schadlos, erzielte ihrerseits selbst noch zwei Treffer und durfte sich mit einem gerechten 3:3 im Gepäck auf den Weg aus der Kälte machen.

"Ich denke, wir haben ein Spiel gesehen, in dem sehr viel drin war. Viele Tore, viele Offensivaktionen. Es spricht für eine gute Moral unserer Mannschaft, dass wir das Spiel nach dem 1:3-Rückstand noch umgebogen haben", sagte Löw. Das war als relativierende Antwort auf die vielen Fragen nach dem neuen System zu verstehen.

"Natürlich haben wir Fehler gemacht, die zu Toren geführt haben. Dennoch habe ich eine klare Dominanz unserer Mannschaft gesehen. Ich wusste wirklich nicht, warum wir zur Halbzeit mit zwei Toren zurückgelegen haben", gab sich der Bundestrainer danach in der offiziellen Version ein wenig ratlos.

Inoffiziell wusste er da natürlich schon längst, warum seine Mannschaft nach einer ordentlichen ersten Halbzeit gegen einen mittelprächtigen Gegner mit zwei Toren in Rückstand lag.

Keine Ausreden nötig

Dass er die jüngste Mannschaft der Nachkriegszeit auf den Platz geschickt hatte, wollte Löw erst gar nicht als Ausrede suchen. 22,7 Jahre betrug das Durchschnittsalter seiner Elf, Kapitän Mario Gomez war dabei mit 26 Jahren mit Abstand der Älteste.

Das Selbstverständnis der deutschen Stärke lässt solche Ausflüchte nicht mehr zu, also konzentrierte sich alles auf das wagemutige Spielsystem.

Mit drei (Innen-)Verteidigern ließ Löw seine Mannschaft auflaufen. Für den eingesparten vierten Abwehrspieler leistete er sich lieber einen sechsten Mittelfeldspieler, mit dem Duo Mario Götze und Mesut Özil als Glanzstück im Zentrum.

Die Geschichte des Spiels wäre sicherlich deren erster gemeinsamer Auftritt von Beginn an gewesen, hätte Löw den Begriff des Testspiels nicht allzu wörtlich genommen und für einen echten Test mit einem ungewöhnlichen System genutzt.

Premiere für Götze und Özil

"Wir hatten eine Aufgabe, die für alle nicht einfach war. Der Trainer wollte etwas ausprobieren. Wir haben gesehen, dass es möglich ist, nach vorne waren wir gefährlich. Aber nach hinten auch relativ offen", sagte Gomez.

"Deswegen war es ein sehr offenes Spiel, das wir bestimmt haben. Die Ukraine hat sehr gut gekontert, für uns war vorne wenig Platz. Trotz allem war es aber ein gutes Spiel und ich bin froh, dass wir noch das Remis geschafft haben", so der Stürmer.

Das Pärchen Götze und Özil harmonierte auf dem Platz durchaus, wenngleich beide nicht so spektakulär spielten als in einigen Partien auf Solo-Pfaden.

"Man hat auf dem Platz schon gemerkt, dass wir dank Özil und Götze unheimlich ballsicher waren. Dass wir die Chancen rausgespielt haben, hat gezeigt, dass die beiden ein absoluter Gewinn für uns sind. Beide haben absolut zufriedenstellend gespielt", resümierte Löw.

Sinnvoll genutzter Test

Dazu gesellte sich noch der starke Toni Kroos (Löw: "Er war wirklich überragend, bei ihm sind alle Fäden zusammengelaufen"), der in Abwesenheit der Kollegen Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm so etwas wie den Mini-Chef im deutschen Team gab.

Unterm Strich war es gemessen an der Ausgangslage ein durchaus sinnvoll genutzter Test, selbst die drei Gegentore in der ersten Halbzeit oder das mittlerweile selbstverständliche Verlangen der Öffentlichkeit nach Spektakeln sind kein Grund für eine ausufernde Hysterie.

Zumal das Ergebnis für Löw von vornherein allenfalls drittrangig gewesen sein dürfte. Auch wenn er durch das 3:3 seine Serie hielt: Löw ist als Bundestrainer damit weiterhin auswärts ungeschlagen.

Einen Tick wichtiger dürfte das Ergebnis für ihn dann am kommenden Dienstag sein. Dann gastiert mit den Niederlanden die Nummer zwei der Weltrangliste zum letzten Länderspiel des Jahres in Hamburg.

Dann geht es auch darum, dass seine Mannschaft mit der Gewissheit in die Winterpause geht, auch eine auf dem Papier stärkere Mannschaft schlagen zu können. Die ganz großen Experimente sind deshalb nicht zu erwarten.

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