Uhrwerk Schwarz und Weiß

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Spielstarkes Kollektiv: Die deutsche Nationalmannschaft nach dem 3:0 gegen die Niederlande
© Getty

Die DFB-Elf lieferte beim 3:0-Triumph über die Niederlande Fußball, wie man ihn einer deutschen Mannschaft so kaum zugetraut hätte. Deutschland fegte förmlich über die Gäste hinweg und setzte mit der besten Leistung seit langem ein Ausrufezeichen an die Konkurrenz. Die Niederländer dagegen erlebten einen peinlichen Abend und einen verkorksten Jahresabschluss.

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Ein paar der rund 5000 Gästefans hatten ein kleines Mahnmal errichtet, am Ort des Geschehens vor 23 Jahren. Eine Flagge in den niederländischen Nationalfarben wurde ganz vorne am Zaun drappiert, darauf waren in etwas krakeliger Schrift die Zahlen 21, 6, 88 gemalt.

Der spöttische Gruß galt dem Hamburger Publikum und der deutschen Fußball-Nation, er erinnerte an eine der schillerndsten Nächte, die Oranje je erlebt hatte. Im Hamburger Volkspark besiegten die Niederlande am 21.6.1988 "de Duitse", die Deutschen im Halbfinale der Europameisterschaft.

Es war der erste große Triumph einer Elftal auf deutschem Boden und der Vorbote des bisher einzigen Titels für die Niederlande überhaupt.

Da traf es sich prima, dass der Test am Dienstagabend zwischen den beiden Fußball-Großmächten erneut in Hamburg ausgetragen wurde und die Niederländer zumindest in schönen Erinnerungen schwelgen durften.

Überforderte Holländer

Denn was danach in den insgesamt 93 Minuten auf dem Rasen passierte, verdrehte endgültig so ziemlich jedes Klischee, das sich über die Jahrzehnte an die Spielstile beider Mannschaften geheftet hatte.

"Wir haben mit viel Spielfreude und Leichtigkeit gespielt und kombiniert, womit die Holländer offenbar überfordert waren", sagte Joachim Löw danach, der nicht im Verdacht steht, seine Mannschaft über die Maßen zu loben. Nur blieb ihm nach dieser Demonstration deutscher Spielkultur einfach gar nichts anderes mehr übrig.

Es war seine Mannschaft, die für den spektakulären Fußball gebucht wurde. Immer wieder zerschnitt die deutsche Offensive das kaum taugliche niederländische Mittelfeld, ein Angriff nach dem anderen prasselte über eine Stunde lang auf die so zerrupfte niederländische Deckung.

Müller: Tore für das Lehrbuch

"Ich denke nicht, dass die Holländer so blauäugig waren und uns gar nicht auf dem Zettel hatten. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie nicht damit gerechnet hätten, dass wir so einen guten Ball spielen können", sagte Thomas Müller danach zu SPOX. "Wir haben heute drei überragende Tore erzielt, die kann man in jedes Lehrbuch packen."

Früher waren es die Niederländer selbst, die die Lehrbücher mit Offensivvariationen füllten. Mittlerweile hat Deutschland auch auf diesem Gebiet auf- und vielleicht sogar in Teilaspekten schon überholt. Präzise, gewitzt, listig kombinierte sich Deutschland in einen Rausch, funktionierte selbstverständlich wie ein Uhrwerk. Und setzte mit dem 3:0 für dieses Jahr ein letztes Statement an die Konkurrenz.

"Wenn man Holland in der Art und Weise schlägt, hat das schon Wirkung nach draußen. Das Spiel hat man schließlich auch außerhalb Deutschlands gesehen", formulierte es Müller. Nur: "Wir haben dadurch jetzt aber auch keinen Titel gewonnen!"

Endlich wieder ohne Gegentor

Aber immerhin mal wieder das letzte Spiel eines Kalenderjahres, was zuletzt 2005 gelang und in den letzten Jahren immer mal wieder für Verstimmungen gesorgt hatte, nach farblosen Auftritten gegen Zypern, Tschechien, England, Finnland und Schweden.

Bei aller Freude über die Offensivexplosion der Mannschaft ging beinahe unter, dass das deutsche Team endlich auch mal wieder zu Null spielte, dass Torhüter Manuel Neuer in seinem Kerngeschäft nahezu völlig ohne Beschäftigung war.

Die zwar geschwächte, aber immer noch erstklassig besetzte niederländische Offensive brachte keinen einzigen gefährlichen Torschuss zustande. Nach dem 4:0 gegen Kasachstan schaffte es die deutsche Mannschaft also doch noch, ein zweites Mal im Jahr 2011 ohne Gegentreffer zu bleiben.

Van Marwijk beeindruckt

"Ein paar kreative Spieler haben uns gefehlt, das hat man gemerkt. Aber auch bei Deutschland sind Lahm und Schweinsteiger zu Hause geblieben, und trotzdem hat die Mannschaft noch ein riesiges Potenzial", wollte Bondscoach Bert van Marwijk erst gar keine Ausreden gelten lassen.

Und dann ordnete er das eben Erlebte noch in den großen, entscheidenden Kontext: "Das Spiel sagt wenig über uns aus, aber viel über die Stärke der deutschen Mannschaft. Wenn man sich dieses Spiel anschaut, ist Deutschland einer der größten EM-Favoriten."

Die Abläufe zwischen den deutschen Mannschaftsteilen waren stimmig, auch wenn das Spiel in der Offensive einen deutlich sichtbaren Hang nach rechts aufwies. Aber immerhin: Es war angriffslustig, bissig und kreativ, also ganz so, wie man den Fußball aus dem Nachbarland jahrzehntelang erlebt hat.

Sneijder: "Es war peinlich"

Doch auf der anderen Seite erstickten die Bemühungen an diesem Abend fast alle schon im Keim. "Es war peinlich", gestand Wesley Sneijder nach dem Spiel. Die niederländischen Spieler stellten sich tapfer den bohrenden Fragen, eine passende Antwort für die schwache Leistung wollte aber keinem so recht einfallen.

Das übernahm am Mittwochmorgen dann schon die Presse in der Heimat, die wenig zimperlich auf die Elftal eindrosch. "De Volkskrant" sah ein "swingendes Deutschland gegen eine angetrunkene Blaskapelle ohne Dirigent".

Van Marwijk hat jetzt deshalb kein großes Problem, kündigte aber schon eine "sehr harte Vorbereitung" auf die EM im kommenden Jahr an.

Zuletzt drei Spiele mit zwei Niederlagen (gegen Deutschland und Schweden) und einem drögen 0:0 zu Hause gegen die Schweiz lassen das eigentlich sehr erfolgreiche Jahr von Oranje trübe enden. "Aber besser wir verlieren jetzt, als dann im Sommer bei der EM", flüchtete sich Sneijder in etwas Optimismus.

Die Form konservieren

Aus Sicht der deutschen Mannschaft, so scheint es, könnten die Titelkämpfe schon morgen beginnen. "Wir sind gut drauf. Jetzt gilt es, die Form über ein halbes Jahr bis zum Turnier zu konservieren", sagte Löw.

Zumindest geht Deutschland als moralischer Sieger im (Fern-)Duell mit den vermeintlich größten Widersachern in die Winterpause. Auch Spanien hat zuletzt (0:1 in England, 2:2 in Costa Rica) nicht die besten Ergebnisse abgeliefert.

Der Abend in Hamburg endete für die DFB-Spieler jedenfalls mit einer Überraschung: Im Gästeblock applaudierten nicht wenige Niederländer dem deutschen Team bei dessen kleiner Ehrenrunde.

Ein größeres Zeichen von Respekt kann es kaum geben. Die Flagge am Zaun war da bereits verschwunden.

Deutschland - Niederlande: Daten und Fakten zum Spiel

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