Die Angst vor der Gewalt

Von Stefan Rommel
Die polnische Polizei vor dem neuen WM-Stadion in Warschau
© Imago

Das Freundschaftsspiel gegen Deutschland wird für EM-Gastgeber Polen auch zum ganz großen Test in punkto Sicherheit. Ein Mann soll den Widerstand gegen die Hooligans organisieren. Ein äußerst schwieriges Unterfangen.

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Dariusz Lapinski ist nicht besonders groß, seine Schultern nicht besonders breit, er spricht in einem ruhigen Tonfall. Der 38-Jährige ist eher unscheinbar, aber das passt zu seinem Job.

Lapinski, 38, arbeitet beim polnischen Fußballverband PZPN allenfalls in der dritten Reihe, die großen Schlagzeilen rund um die Europameisterschaft im kommenden Jahr übergehen ihn. Und das darf bis Juli auch ruhig so bleiben.

Lapinski ist in der polnischen Organisation der EM 2012 für die Belange der Fans zuständig. Und damit ist er auch der Verwalter eines Problems, das in den Top-Ligen des Westens quasi ausradiert ist. Polen und die heimische Ekstraklasa ist einer der Schmelztiegel der Hooligan-Szene.

Auch in Russland oder Ungarn geht es grob zu. In Polen sterben dabei aber Menschen. Im Januar wurde Tomasz C. im Krakauer Vorort Kurdwanow hingerichtet. Der Ermordete war einer der Szalikowcy, das sind die gewalttätigen Hooligans der Stadt.

Toter bei Krawallen zwischen Wisla und Cracovia

Krakau beheimatet die beiden ältesten Klubs des Landes, Wisla und Cracovia. Selbst die gefährlichste deutsche Feindschaft zwischen Anhängern von Lok Leipzig und Sachsen Leipzig ist nichts gegen das brutale Vorgehen der Wisla- und Cracovia-Hools gegeneinander.

Tomasz C. wurde von etwa 20 Maskierten überfallen und mit Äxten und Macheten malträtiert. Am Ende sollen mehr als zwei Dutzend tiefe Hieb- und Stichwunden festgestellt worden sein. Der erst 31-Jährige war einer aus der Führungsriege der Cracovia-Hooligans, der Mord wird relativ eindeutig dem Lager der Wisla-Fans zugeschrieben.

Es sind Vorfälle wie dieser, die das Land schaudern lassen. Da in Polen aber die Grenzen zwischen Fans, Hooligans und der organisierten Kriminalität sehr oft fließend verlaufen, könnte die Tat auch einfach einem Konflikt um Prostitution, Drogen- oder Menschenhandel zugerechnet werden.

EM als Schauplatz der Gewalt für Hooligans

Das inner-polnische Problem schwelt im Land schon seit Jahren. Im nächsten Sommer könnte es aber von weltweiter Bedeutung werden. Während bisher der "heilige Krieg" in den großen Städten wie Krakau, Warschau oder Posen tobt und "untereinander ausgetragen wird", wie es ein Wisla-Hool umschreibt, wird es dann einige andere, gemeinsame Ziele geben.

Mit Deutschland und England sei noch eine Rechnung offen, will heißen: Die polnische Hooliganszene erwartet die Gleichgesinnten aus dem Westen mit geballter Kraft. Genau dieses Szenario gilt es zu verhindern, das ist die Aufgabe von Kräften wie Dariusz Lapinski.

Einen Tag vor dem Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Polen ist die Lage bei Lapinski und seinem Stab angespannt. Die Partie in Danzig ist der Testlauf schlechthin für das Turnier im nächsten Jahr. Größer als zwischen polnischen und deutschen Hooligans könnte das Konfliktpotenzial nicht sein.

Im Frühjahr 2007 vergab die UEFA das Turnier nach Polen und in die Ukraine, ein paar Monate später nahm Lapinski seine Arbeit auf. Er spricht fließend deutsch, natürlich mit deutlich hörbarem Akzent. Fünf Jahre hat er in Potsdam Politikwissenschaften studiert, er kennt sowohl die Mentalität der Deutschen, als auch die Probleme im eigenen Land.

Fan-Projekte zur Gewaltprävention

Das größte: "Hier in Polen gab es keine Fan-Projekte, wie es sie in anderen Ländern gibt. Die Fans fühlen sich verlassen und alleine gelassen. Wir wollen das ändern, wir wollen ihnen mehr Verantwortung übertragen", sagt er auf einer Pressekonferenz vor dem Spiel.

Unterstützung erhält er bei der Diskussion vor lediglich ein paar polnischen Journalisten vom Polizeipräsidenten und von Michael Gabriel. Der arbeitet in Frankfurt in der Otto-Fleck-Schneise. Gabriel ist Angestellter des DFB, von der Koordinationsstelle Fan-Projekte.

Jetzt soll er hier vermitteln, lehren und beraten. Das ehemals optimistisch formulierte Ziel von zwölf Fan-Projekten bis zur EURO hat Lapinski längst wieder aufgeben müssen. "Wenn wir sechs realisieren könnten, wäre das schon gut", sagt er.

Die ideologische Herangehensweise hört sich ein wenig naiv an, aber das ist der Plan: Unter die Bösen sollen sich deutlich mehr "normale" Fans mischen und die zu einem Umdenken bewegen. Mit Fan-Turnieren, Foren, Fan-Treffs und -Abenden sollen nach und nach Leute aus der Hooliganszene bekehrt werden. Wiederholung als Prinzip.

Auf einen Hooligan sollten 20 oder 30 Fans kommen, so stellt sich Lapinski das Verhältnis vor, das das Unmögliche möglich machen soll. Dazu planen die Veranstalter in Polen und der Ukraine natürlich auch mit Fan-Botschaften.

An jedem der jeweils vier Austragungsorte wird es eine geben. Die Anlaufstellen sollen Hilfestellung leisten und wichtige Tipps geben für die Touristen aus ganz Europa. Schwierigkeiten sollen so schnell erkannt und vermieden werden. Nur Fans, die keine Probleme haben, machen auch keine, glaubt Lapinski.

Schnellgerichte wie bei der WM in Südafrika

Dazu ist wie zuletzt in Südafrika die Einrichtung von Schnellgerichten geplant. An Ort und Stelle sollen Gewalttäter nach der Festnahme auch gleich verurteilt werden. Ein praktikables Vorgehen, das im Vorfeld auch noch abschreckend wirken soll.

Überhaupt ist die Politik seit ein paar Monaten sehr stark involviert. Als Hooligans von Lech Posen und Legia Warschau das Pokalfinale beider Klubs im Mai in Bydgoszcz beinahe zum Abbruch trieben und das Stadion verwüsteten, schaltete sich Ministerpräsident Donald Tusk höchstpersönlich ein und erklärte die Sicherheit bis zur und während der EM zur nationalen Angelegenheit.

Das Außenministerium macht seitdem Druck auf Polizei und Justiz: Mehr Überwachung ist gefordert, verdeckte Ermittler sollen eingeschleust werden, selbst eine Anti-Terroreinheit soll helfen. "Wir müssen den Hooligans zeigen, dass wir nicht der wilde Osten sind", sagt Lapinski.

Dabei galt der sehr lange als eins der letzten Paradiese für deutsche Hooligans. Bei den Auswärtsspielen in der Slowakei vor vier Jahren und zuletzt selbst in Österreich gab es heftige Ausschreitungen. Während es in Bratislava selbst im Stadion zu wüsten Schlägereien kam, verlegten die deutschen Fans ihr Einsatzgebiet in Wien in die Innenstadt. 213 Festnahmen waren die Folge.

Unterstützung aus Deutschland

Auch für die Partie am Dienstag im pittoresken Danzig ist genügend Gefahrenpotenzial vorhanden. "Es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Alt-Hool plant, sich ins Auto zu setzen, um mal zu schauen, was sich in Polen tut", sagt Helmut Spahn. Der war jahrelang Sicherheitsbeauftragter des DFB und arbeitet nun für das neu ins Leben gerufene "Internationale Zentrum für Sicherheit im Sport" (ICSS) in Doha.

Unter anderem deshalb fand auch schon ein Lehrgang des Bundesinnenministeriums in Berlin für die EM-Gastgeber statt. Die deutschen Fahnder instruierten da die Polizeichefs der polnischen Austragungsorte über Besonderheiten der deutschen Fan-Szene, auch Beamte der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) gaben ihre Erfahrungen weiter.

Durch Lehren und Lernen soll das polnische Konzept von Lapinski mit Leben gefüllt werden. Die deutschen Fan-Projekte dienen dabei als Anschauungsunterricht. "Deutschland, England, Holland - ich wünsche mir, dass alle Mannschaften, die viele Fans mitbringen, bei uns in Polen spielen", sagt Lapinski und klingt dabei felsenfest überzeugt.

Von polnischen Alt-Hooligans aus dem Ausland droht Gefahr

Es gibt allerdings noch eine Sache, die den polnischen Behörden Kopfzerbrechen bereiten könnte. Selbst wenn die vielen Hooligans des Landes bis zur EM entweder bekehrt oder aber katalogisiert und überwacht werden - auch der Einsatz elektronischer Fußfesseln steht im Raum - gibt es ja immer noch die vielen Hundertausend Polen, die in Europa verstreut leben und arbeiten.

Allein ins britische Königreich haben sich vor zehn, zwölf Jahren ganze Scharen aufgemacht, um ein besseres Leben oder zumindest für eine bestimmte Zeit einen besseren Job zu finden. Damals gab es zum Beispiel für Deutschland keine Arbeitserlaubnis, die Briten aber freuten und freuen sich über Zuwanderung.

Mittlerweile sind England und vor allen Dingen auch Irland mit Polen besiedelt, die Jobs quer durch alle Bevölkerungsschichten haben, vom Metzger bis zum Anwalt. Ein riesengroße Enklave, die dementsprechend auch ihren Anteil an Alt-Hooligans oder solchen, die es werden wollen, hat.

Die sich aber im Dunst der Premier League und, weil ihr Herz immer noch eher an einem polnischen denn an einem englischen Klub hängt, auf Vereinsebene nicht als Schläger hervortun.

Für die nationale Sache könnte dies aber schon anders sein. Nur kennt dann niemand ihr Vorhaben, die "Ustawki" zu suchen, wie die verabredeten Kämpfe fernab der Stadien in Polen genannt werden. Mit Billigfliegern könnten sie ungehindert in die alte Heimat kommen. Ein Szenario, das sich im Moment niemand so recht vorstellen mag. Aber die Gefahr besteht.

Polens Legende Grzegorz Lato findet die ganze Diskussion und die Panikmache darüber überflüssig. "Das Hooligan-Problem wird aufgebauscht und überbewertet", sagt er. Zu gerne möchte man ihm glauben.

Pragmatischer geht Dariusz Lapinski die Sache an. "Es gibt noch einige Unwägbarkeiten. Aber eines kann man jetzt schon gewiss sagen: "Während der EM werden die Stadien die sichersten Orte schlechthin sein!"

Der Spielplan der EM-Qualifikation

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