Kahn sieht deutsche Unbekümmertheit als Vorteil

SID
Oliver Kahn ist für das ZDF in Südafrika als Experte im Einsatz
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Oliver Kahn äußert sich im Gespräch positiv über die Entwicklung der DFB-Elf und sieht auch Chancen im Viertelfinale gegen Argentinien.

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Oliver Kahn bestritt 86 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft und führte die DFB-Auswahl 2002 bei der WM in Südkorea und Japan ins Finale gegen Brasilien. Der dreimalige Welttorhüter, der 2008 bei Bayern München seine aktive Karriere beendet hat, arbeitet während der WM 2010 in Südafrika als Experte für das "ZDF" und fühlt sich in dieser Rolle sehr wohl, wie er im Gespräch berichtet.

Die junge deutsche Mannschaft macht dem zweimaligen Fußballer des Jahres ebenso wie den Fans sehr viel Spaß. "Im Turnierverlauf ist es für die deutsche Mannschaft bislang ein Vorteil, was man vor der WM als Nachteil ausgelegt hatte. Die Unerfahrenheit und vor allem die Unbekümmertheit der Mannschaft haben den Vorteil, dass man sich nicht so viele negative Gedanken macht", sagte Kahn. Deshalb glaubt der 41-Jährige auch, dass die DFB-Auswahl im Viertelfinale (Sa., 15.45 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) gegen den zweimaligen Weltmeister Argentinien eine gute Chance hat.

Frage: Sie haben die deutsche Mannschaft 2002 in Asien ins WM-Finale geführt. Kann man das damalige Team mit dem aktuellen vergleichen?

Oliver Kahn: Ich bin kein Freund davon, Mannschaften miteinander zu vergleichen. Wir hatten 2002 zwar auch im Vorfeld des Turniers einige verletzte Spieler, die absagen mussten, aber dann in Südkorea und Japan eine sehr erfahrene Mannschaft. Uns hatte man im Vorfeld nicht so viel zugetraut, aber wir haben es dann geschafft, uns auch dank vieler deutscher Tugenden bis ins Finale zu kämpfen. Spielerisch waren wir nicht so stark wie die heutige Mannschaft.

Frage: Wie beurteilen Sie denn die bisherigen WM-Auftritte der deutschen Mannschaft?

Kahn: Grundsätzlich natürlich positiv. Im Turnierverlauf ist es für die deutsche Mannschaft bislang ein Vorteil, was man vor der WM als Nachteil ausgelegt hatte. Die Unerfahrenheit des ein oder anderen und vor allem die dadurch entstehende Unbekümmertheit der Mannschaft haben den Vorteil, dass man sich nicht so viele negative Gedanken macht. Die Vorstellung, dass etwas schieflaufen könnte, ist momentan nicht vorhanden. Die Mannschaft muss diese Einstellung so lange es geht beibehalten.

Frage: In diesen Tagen wird viel über die neue Multi-Kulti-Generation gesprochen, bewerten Sie die ausländischen Einflüsse in der Nationalmannschaft auch als positiv?

Kahn: In erster Linie kommt es immer auf die Qualität der Spieler an. Derzeit haben wir qualitativ viele gute Spieler, die für die Zukunft noch einiges versprechen.

Frage: Trauen Sie der Mannschaft schon in Südafrika den ganz großen Wurf zu?

Kahn: Zunächst steht das Viertelfinale gegen Argentinien an. Ich sehe gute Chancen für unsere Mannschaft, gegen Argentinien zu gewinnen. Die Argentinier sind in der Defensive durchaus anfällig, sodass sich für unsere Spieler sicherlich Tormöglichkeiten ergeben werden. Dass es eine schwere Aufgabe wird, versteht sich aber von selbst. Sollte die deutsche Mannschaft aber ebenso wie gegen England dem Druck standhalten und ins Halbfinale kommen, ist alles möglich.

Frage: Trotz der bislang positiven Auftritte der DFB-Auswahl gibt es von Joachim Löw noch kein Signal, dass er seinen Vertrag als Bundestrainer verlängert. Wie ist Ihre Meinung zu dieser Personalie?

Kahn: Ich halte es in dieser Turnierphase für falsch, sich mit diesem Thema zum beschäftigen. Man soll die WM abwarten und dann in Ruhe entscheiden, wie es weitergeht.

Frage: Wie beurteilen Sie das Niveau bei dieser WM?

Kahn: Nach der Vorrunde wurde vorschnell geurteilt, dass die Qualität bei dieser WM schlecht ist. Sicherlich gab es einige Gruppenspiele, die nicht so toll waren, aber das ist völlig normal am Anfang einer WM. Im Achtelfinale habe ich einige Spiele gesehen, die vor allem vom Tempo, aber auch von der spielerischen Qualität auf allerhöchstem Niveau waren. Besonders das Tempo im Spiel zwischen Ghana und den USA hat mich beeindruckt.

Frage: Welche Erkenntnisse kann man aus dem Turnier bislang ziehen?

Kahn: Der klassische Superstar hat es immer schwerer. Entweder man funktioniert als Team, als Kollektiv, oder man hat keine Chance. Superstars, die sich nicht einordnen können, werden ganz schnell ersetzt. Keine Mannschaft kann sich es mehr erlauben, von den Launen eines Spielers abhängig zu sein. Der Star ist das Team ist der Leitsatz vieler Trainer. Interessant ist auch zu beobachten, dass viele Mannschaften in einem 4-2-3-1-System agieren, das unterstreicht, dass die sogenannte Doppelsechs weiterhin einen hohen Stellenwert im modernen Fußball besitzt.

Frage: Wie schätzen Sie die Torhüterleistungen bei diesem Turnier ein?

Kahn: Es ist mir noch zu früh, um ein abschließendes Urteil abzugeben. Sehr gut hat mir bislang Ghanas Torwart Richard Kingson und Portugals Eduardo gefallen. Der Spanier Iker Casillas oder auch der brasilianische Torwart Julio Cesar wurden bislang noch nicht so gefordert, als dass man ihre Leistung genau einschätzen könnte. In der Vorrunde hat mich auch Diego Benaglio überzeugt, der ist aber nicht mehr dabei.

Frage: Und Manuel Neuer...?

Kahn: Manuel Neuer spielt so, wie man das von ihm erwartet hat. Er ist sehr aufmerksam und hilft der Mannschaft. Er ist noch ein junger Torhüter, deshalb muss man ihm auch mal einen Fehler wie gegen England verzeihen.

Frage: Bei der WM sind sie als Experte für das ZDF nahezu tagtäglich im Einsatz. Macht Ihnen dieser Job Spaß?

Kahn: Es macht sehr viel Spaß, den Fußball analytisch zu betrachten. Dabei bedarf es für jedes Spiel einer guten Vorbereitung. Ich muss mich mit dem Spielsystem, der Taktik, den besonderen Eigenschaften und Vorstellungen der jeweiligen Mannschaften beschäftigen, das ist eine Herausforderung. Dass ich als Kapitän immer schon einen guten Draht zu meinen Trainern hatte und mit ihnen auch viel über taktische Dinge gesprochen habe, kommt mir bei dieser Aufgabe zugute.

Frage: Falls Oliver Bierhoff als Teammanager aufhört, hätten Sie Interesse an dieser Aufgabe beim DFB?

Kahn: Bisher habe ich mich mit diesem Thema nicht auseinandergesetzt. Ich möchte zunächst mein MBA-Studium beenden. Danach könnte ich mir eine Kerntätigkeit im Fußball wieder vorstellen.

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