Deutschland ist Kategorie 1b

Von Stefan Rommel
Mesut Özil am Boden: Die spanische Defensive um Carles Puyol hatte die DBF-Elf stets sicher im Griff
© Getty

Nach dem 0:1 gegen Spanien im WM-Halbfinale ist die Enttäuschung bei der deutschen Nationalmannschaft groß. Vor allem, weil die DFB-Spieler und der Trainerstab eine Wahrheit erkennen mussten: Ganz oben ist noch kein Platz für sie.

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Etwas glasig waren die Augen schon, aber Tränen wollten keine fließen. Die deutschen Spieler marschierten tapfer durch die Katakomben des Moses Mabhida Stadiums, zwar mit gesenkten Häuptern, aber ohne völlig am Boden zerstört zu sein.

Die 90 Minuten davor hatten diese eine Niederlage zu einem einkalkulierbaren Ereignis bestimmt, kein Fabio Grosso hatte ihnen diesmal das Finale dramatisch entrissen, sondern eine Mannschaft, die an diesem Abend schlicht einen Tick besser war.

Deutschland ist wie schon vor vier Jahren im Halbfinale einer Weltmeisterschaft gescheitert, zwei Schritte vor dem großen Ziel, den wichtigsten Titel der Welt wieder nach Hause zu holen.

Wie konnten sie nur?

Was die deutschen Spieler und Trainer an diesem Abend fast noch mehr schmerzte als die verpasste Großchance, war die Art und Weise, wie diese Niederlage zustande gekommen war und was sie letztlich bedeutet.

Die Partie in Durban erzählte zwei Geschichten. Zum einen war Spanien so hellwach und spielfreudig und so sehr wieder das alte Spanien wie in keinem anderen Spiel dieser WM zuvor. "Unglücklicherweise machen die Spanier heute ihr bestes Turnierspiel", befand Miroslav Klose, und es hörte sich fast wie ein kleiner Vorwurf an die Iberer an, nach dem Motto: Wie konnten sie nur?

Spanien konfrontierte seinen Gegner mit dem alten Tiki Taca, das man so gut zu kennen scheint und das doch so undurchsichtig und unberechenbar ist wie kein anderer Spielstil weltweit. "Wir mussten viele Lücken schließen und hinterherlaufen. Deshalb fehlten die Frische und Lust, auch schnell und zielstrebig nach vorne zu spielen", meinte Klose noch.

Das Original gewinnt den Vergleich

Im Vorfeld war viel darüber geredet und geschrieben worden, wie viel Spanien schon in Deutschland stecke und dass Joachim Löw den Europameister als heimliches Leitbild für jenen Fußball ansieht, der ihm auch mit seiner Mannschaft vorschwebt.

Deutschland hat sich durch die Qualifikation und durch das Turnier gespielt wie der kleine Bruder Spaniens, der sich den Europameister zum Vorbild nehmen wollte und besonders beim Endturnier streckenweise auch so auftrat.

Als es dann aber zum ersten Aufeinandertreffen, zur Standortbestimmung kam, bleibt festzuhalten: Deutschland kann eine Art Kopie sein an Tagen, an denen alles stimmt. Aber dem Vergleich mit dem Original hält es noch nicht stand.

Spanien traumhaft sicher

Das Level unterscheidet sich in Nuancen. Das mag zunächst nach wenig ausschauen, im Spitzen-Fußball auf absolutem Topniveau können Nuancen aber auch Welten sein. Die Spanier würden keine Fehler machen wie England oder Argentinien, hatte Löw vor der Partie gewarnt.

Wie mit Pattex an den Schuhen dribbelten und passten sich die Iberer durch die deutschen Reihen, kein Ball, der bei der Annahme versprang und kaum ein Fehlpass hatten sich eingeschlichen.

Deutschland dagegen hatte zuerst viel mit sich selbst zu tun, aus der nötigen Grundspannung hatte sich schnell eine unliebsame Nervosität entwickelt, die einzelne Spieler mehr und mehr in Beschlag nahm.

"Das ist eine Qualitätssache"

Die zweite Geschichte war nämlich die, dass Deutschland im selben Maße, wie Spanien auf einmal wieder zu seinem alten Stil finden konnte, nie an sein Leistungsvermögen anknüpfen konnte.

"Wir haben die Bälle nicht so klar gespielt, wie wir das eigentlich können. Das ist dann auch eine Qualitätssache", haderte Co-Trainer Hansi Flick im Gespräch mit SPOX. Es fehlte schlicht an individueller Qualität - und das war eine ernüchternde Erkenntnis.

"Wir haben teilweise ähnliche Spiele gemacht, in denen wir auch dominant waren und viel Ballkontrolle hatten. Spanien ist topbesetzt, arbeitet nicht nur mit, sondern auch gegen den Ball sehr gut und ist sehr gut organisiert. Man muss zugestehen, dass Spanien einen Tick besser ist", so Flick weiter.

Unerschöpfliches Reservoir

Ein Beleg der These ist, wie umfangreich der Gegner auf gewisse Umstände reagieren kann. Wenn bei Deutschland der 20-jährige Thomas Müller ausfällt, kommt das einem Erdrutsch gleich.

Spanien kann es sich erlauben, einen Superstar wie Fernando Torres erst durchs Turnier zu schleppen und dann im Halbfinale doch auf ihn zu verzichten und ihn gegen den 22-jährigen Pedro zu ersetzen, der dann prompt zum besten Spieler auf dem Platz wird.

Der Europameister kann einfach immer noch einen Zahn zulegen, einen neuen gefährlich-gewitzten Spieler bringen und verliert dann nicht an Wucht, sondern bringt noch mehr Fahrt in sein Spiel. Das Reservoir scheint unerschöpflich.

Näher dran an der Spitze

Was bleibt, ist die Frage, wie weit Deutschland noch von der derzeit zumindest gefühlt besten Mannschaft der Welt entfernt ist.

Das Team von Bundestrainer Löw hat sich nach oben gearbeitet, es hat bei einigen Großen angeklopft und zwei von ihnen windelweich gehauen. Ganz oben aber, wo sich erfahrungsgemäß immer nur zwei oder drei Teams aufhalten können, ist noch kein Platz für die DFB-Elf. Also bleibt vorerst die Kategorie 1b.

Immerhin, und da waren sich alle einig, ist man jetzt schon sehr nahe dran. "Wenn wir unsere Leistungsgrenze erreicht hätten, wäre es ein sehr ausgeglichenes Spiel gewesen. Die Qualität haben wir dann immer", resümierte Flick.
"Wenn man das EM-Finale nimmt, dann haben wir aufgeholt. Wir hatten schon die eine oder andere Chance - während wir 2008 kaum etwas entgegenzusetzen hatten."

Deutschland wollte den Machtwechsel, es hat sich mit den Größten angelegt und verloren. Die Deutschen wollen kein Plagiat des Finalteilnehmers sein, sie sind auf dem Weg, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Spanien soll hier als Orientierungspunkt und Leitfaden dienen. Im WM-Halbfinale von Durban war der Meister aber noch eine Nummer zu groß.

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