Rene Adler: Russland wird sein Schicksal

Von Für SPOX in Moskau: Stefan Rommel
Rene Adler stand auch im Hinspiel gegen Russland im Tor und sicherte den Sieg
© Getty

Fast genau ein Jahr nach seinem starken Länderspiel-Debüt gegen Russland steht Rene Adler vor dem Spiel seines Lebens. In Moskau geht es gegen die Sbornaja um das Ticket für die WM 2010 in Südafrika (Sa., 16.45 Uhr im LIVE-TICKER). Adler spielt für Deutschland und um seine eigene Karriere. Das Wort Angst kennt er nicht.

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An einen der wichtigsten Tage in seiner Karriere wird Rene Adler jeden Tag aufs Neue erinnert. Von seiner Mutter Kerstin bekam Adler zu Weihnachten 2006 eine kleine Silberkette geschenkt, garniert mit der Bitte: "Wenn du zum ersten Mal in der Bundesliga hältst, wird das Datum eingraviert."

Nur zwei Monate später rauschte die Graviermaschine über den Talisman. Seitdem steht dort in kleinen Zeichen und Ziffern "25. Februar 2007". Es war die Geburtsstunde von Rene Adler in der Bundesliga und der fulminante Auftakt der nächsten hoffnungsvollen deutschen Torhüter-Karriere.

Top-Leistung beim Debüt

Gegen Schalke 04 ging es damals für Adlers Klub Bayer Leverkusen. Schalke war Tabellenführer und haushoher Favorit, aber trotzdem stand auf der Gegenseite ein 21-jähriger Nobody im Tor. Der ewige Jörg Butt, Leverkusens Stammkeeper und gestählt mit der Erfahrung von fast 300 Bundesligaspielen, saß auf der Bank.

Rene Adler, der Neue, hielt sieben Schalker Großchancen, lieferte die beste Torhüterleistung der gesamten Bundesliga-Saison ab und war nach dem 1:0-Sieg fortan die neue Nummer eins im Bayer-Tor. So wie Schalke zu seiner Geburtsstunde wurde, könnte nun, zweieinhalb Jahre später, Russland zu seinem Schicksal werden.

Vor fast genau einem Jahr, drei Tage vor dem Spiel gegen die Russen in Dortmund, verkündete Joachim Löw, dass die eingeplante Nummer eins Robert Enke wegen eines Kahnbeinbruchs für die gesamte Vorrunde und damit selbstredend auch für das WM-Qualifikationsspiel gegen den schärfsten Widersacher in der Gruppe 4 ausfallen würde.

Der Bundestrainer war ein bisschen blass um die Nase, aber er hatte die Lösung des Problems praktischerweise gleich neben sich auf dem Podium sitzen. Rene Adler durfte bei der Europameisterschaft ein paar Monate zuvor einige wichtige Erfahrungen sammeln.

Held gegen Russland

In der Post-Lehmann-Ära wurde zwar auch der Konkurrenzkampf öffentlich forciert, dass es aber so schnell zu einem Wechsel im deutschen Tor kommen würde, konnte nun wirklich niemand ahnen. Und so ganz wohl kann dem Bundestrainer dabei auch nicht gewesen sein. Immerhin hatte Adler bis dahin exakt null Minuten für die deutsche A-Nationalmannschaft gespielt.

Wie auf Schalke, zeigte Adler auch bei seinem zweiten Debüt eine fast schon beängstigende Vorstellung. Schon vor dem Spiel wurde er von den Fans mit Sprechchören aufgemuntert, sie sollten Ansporn und Auftrieb zugleich sein und ihm Mut machen.

Nach dem Spiel schien es, als hätte Adler die letzten zehn Jahre schon im deutschen Tor gestanden und mindestens 100 Länderspiele auf dem Buckel. Dabei waren es gerade mal die ersten 90 Minuten.

Adler war der Held des Abends, nicht die beiden Torschützen Michael Ballack oder Lukas Podolski oder Arne Friedrich, der sich beherzt in Russlands Wunderstürmer Andrej Arschawin verbissen hatte.

Hiddink: Werden besser sein als gegen England

Wenn die deutsche Nationalmannschaft jetzt am kommenden Samstag zum vorentscheidenden WM-Qualifikationsspiel bei den Russen ran muss, dann steht dieser Adler erneut zwischen den Pfosten, erneut ist sein Einsatz einem komischen Zufall geschuldet und erneut wird er dann vor einer Premiere stehen.

80.000 Fans werden das ehemalige Lenin-Stadion im Moskauer Stadtteil Luschniki in einen Ort der Hölle für die Deutschen verwandeln, die Sbornaja wird angepeitscht von ihren Landsleuten angreifen wie eine Horde Hyänen ein einsames Reh und mittendrin wird er stehen: In seinem ersten Auswärtsspiel für Deutschland überhaupt, im wichtigsten Spiel des Jahres, beim schärfsten und einzigen Verfolger, gegen den es diesen einen Punkt zu holen gilt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer solchen Konstellation dem Torhüter die größte Bedeutung zukommt. Aus dem kleinen Jungen aus Liebertwolkwitz, dem seine Mutter in den ersten Jahren noch Watte in die Schuhe stopfen musste, weil sie ihm viel zu groß waren, wird am Samstag der Hoffnungsträger einer ganzen Nation.

Denn Russlands Trainer Guus Hiddink hatte der Zeitung "Sovietsky Sport" am Dienstag bereits versprochen, dass sein Team "eine noch bessere Leistung abrufen wird, als damals gegen die Engländer".

England fuhr im Herbst 2007 wie Deutschland jetzt als Gruppenerster ins Luschniki - aber auch ein bisschen arrogant und überheblich. Am Ende hieß es 2:1, die Russen waren plötzlich vorn und England ein Spiel später endgültig draußen.

"Habe keine Angst vor Fehlern"

Das soll der deutschen Mannschaft so nicht passieren. Sorgen muss dafür in erster Linie auch Rene Adler. Durch die Erkrankung von Enke, der eigentlich in den letzten beiden Qualifikationsspielen gegen die Russen und Finnland im Tor stehen sollte, wird Adler wieder ins deutsche Tor gespült.

Besonderen Druck verspürt er ob der Größe der Aufgabe aber nicht. Im Gegenteil: Adler wirkt so gelassen wie noch nie: "Für einen Profisportler ist es völlig falsch, Angst vor Fehlern zu haben. Ich habe jahrelang dafür gearbeitet, um da zu stehen, wo ich heute bin. Ich empfinde eine große Demut, dass ich das jetzt erleben darf. Und deshalb genieße ich auch jede Sekunde in Moskau."

Es klingt ein wenig wie das Pfeifen im Walde, aber Adler nimmt man es irgendwie auch ab. Entspannungstechniken und spezielle Atemübungen helfen ihm dabei.

"Außerdem arbeite ich viel im visuellen Bereich. Vor dem Spiel gehe ich im Kopf gewisse Situationen durch, die auftreten könnten. Es gibt gewisse Abläufe, die sich oft wiederholen. Freistöße, Pässe in die Tiefe. Außerdem: Ich betrachte das Spiel nicht als Ganzes, sondern teile es in Sequenzen auf. So kann ich mich immer wieder neu auf die nächste Spielsituation einstellen."

Löw in der T-Frage unentschlossen

Das Russland-Spiel wird der vorläufige Höhepunkt seiner Laufbahn sein. Im Sommer soll sein Aufstieg dann in einem Stammplatz bei der Weltmeisterschaft münden. Die Chance, sich auf dem Weg dahin die entscheidenden Vorteile zu erspielen, könnte in Moskau größer nicht sein.

Im Moment hat er sich aus der Rolle des Herausforderers schon wieder in die des Verfolgten gespielt. Also darf er im Prinzip nur nicht mehr schlechter halten als der Beste seiner Konkurrenten, als Enke, Tim Wiese oder Manuel Neuer.

Zwar bleibt der Bundestrainer in der T-Frage noch betont unentschlossen. Aber in Moskau geht es auch um Joachim Löws Job und seine Zukunft beim DFB.

Und wenn Rene Adler ihm dabei mit einer abermals großen Vorstellung diesen einen Punkt rettet und Deutschland Südafrika zum Greifen nahe bringt, ist das schon mehr als ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Es dürfte ein stillschweigendes Übereinkommen sein.

Rene Adler im Steckbrief