Und plötzlich Europas Nummer eins

Von Daniel Börlein
Die deutsche U 21 wurde beim Turnier in Schweden Europameister
© Getty
Cookie-Einstellungen

Persönlichkeitsentwicklung bei Nachwuchsspielern: Einer der zentralen Begriffe in der Eliteförderung nach Ansicht von Sammer, der sagt: "Wir teilen in bestimmte Kategorien ein, wir selektieren: Wer bringt Führungseigenschaften mit? Wer ist eher ruhig? Wer ist Individualist, aber kein Egoist? Wer ist ein mannschaftsdienlicher Spieler? Da bilden wir frühzeitig Hierarchien. Wir dürfen die Spieler nicht überfordern - aber auch nicht unterfordern."

Dementsprechend wird der Nachwuchs geschult, mal durch Medientraining, mal indem psychologische Aspekte in die tägliche Arbeit eingebaut werden. "Wir wollen das Verantwortungsgefühl der Spieler stärken, indem wir sie an Entscheidungen beteiligen", so Sammer.

Das Ziel: Starke Fußballer und starke Persönlichkeiten. Denn: "Unser Anspruch ist die Weltspitze. Wir brauchen diese Gier nach Titeln", sagt Sammer, der vor den jeweiligen Turnieren ganz bewusst den Titelgewinn als Ziel ausgegeben hatte. Bei den Spielern scheint es anzukommen. "Wir bekommen diese Siegermentalität tagtäglich eingeimpft", sagte U-21-Europameister Andreas Beck während des Turniers in Schweden.

Individualförderung: Individualität und Kreativität in geordneten Bahnen ist ein Credo von Sammer, das allerdings auch den Elitespielern erst vermittelt werden muss. Und zwar durch Leistungsdiagnostik, Videoanalysen und langfristige Trainingsplanung sowie individuelle Trainingssteuerung. Die Verbesserung der Fähigkeiten der einzelnen Spieler steht also im Vordergrund. Denn seit Sammer gilt beim DFB: Wenn man Spieler individuell fördert, steigert dies automatisch das Niveau der ganzen Mannschaft.

Wie das dann in der Praxis aussehen kann, erklärt Pezzaiuoli: "Wir haben eine gewisse Anzahl von Lehrgängen. Da ist dann zum Beispiel ein Techniktrainer dabei, der sich drei bis vier Spieler herausnimmt, mit denen positionsspezifisch oder auch allgemeine Grundtechniken geübt werden: Wie laufe ich mich frei, wie nehme ich den Ball an, wie ist mein Körperschwerpunkt zum Ball, wenn ich ihn annehme? Da geht es um ganz kleine Details, auf die besonders geachtet wird und die auch auf Video aufgenommen und den Spielern vermittelt werden." Klingt simpel, war aber Ende der 90er Jahre nie ein Ansatz im Nachwuchstraining des DFB.

Einheitliche Spielauffassung: "Matthias Sammer hat eine klare Vorgabe in Sachen Spielauffassung gemacht, die auch schriftlich festgehalten wurde", sagt Pezzaiuoli. Daran haben sich die DFB-Trainer zu halten, die wird auch den angehenden Coaches in den Trainerlehrgängen vermittelt. Wer dieser Philosophie nicht folgt, hat keine Chance beim DFB. So musste Dieter Eilts trotz erfolgreicher Qualifikation für die U-21-EM seinen Stuhl räumen, weil er Sammers Auffassung nicht in allen Punkten umsetzte.

Grundlage ist ein 4-4-2-System. Zusätzlich hat Sammer fünf zentrale Punkte formuliert: 1. Eine angriffsorientierte, dynamische Spielweise aus einer disziplinierten und kompakten Deckung heraus. 2. Variantenreiche, attraktive Spielgestaltung im Mittelfeld mit schnellem, flexiblem Umschalten auf Angriff und Verteidigung. 3. Variable Angriffsgestaltung durch einen gezielten Wechsel zwischen einem kontrollierten, sicheren Spielaufbau und überraschendem Tempospiel. 4. Offensives, "aktives" Verteidigen. 5. Eine zweikampforientierte, aber stets faire Grundeinstellung.

Fazit: Der DFB hat im Nachwuchsbereich den Fußball sicherlich nicht neu erfunden.

Aber er macht seit einigen Jahren endlich in professioneller Art und Weise das, was beispielweise in Frankreich schon Mitte der 90er Jahre eingeführt wurde und bei den Profi-Vereinen gang und gäbe ist.

Daran hat man sich orientiert. Schon vorhandene Strukturen wurden verbessert und spezialisiert, neue Schwerpunkte gesetzt (z.B. Individualförderung) und insgesamt die komplette Eliteförderung extrem auf Leistung und Erfolg ausgerichtet. Nun erntet man die ersten Früchte, die allerdings sicher nicht die letzten sein werden. "Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Wer jetzt denkt, wir seien bereits am Ende angekommen, hat nichts begriffen. Die Konzepte sind alle mittel- und langfristig angelegt", sagt Sammer.