Mahnmal Kroos und seine Folgen

Von Florian Bogner / Philipp Dornhegge / Stefan Moser
Optimal vorbereitet aufs Profi-Leben? Die Hertha-Youngster Bigalke, Hartmann, Riedel und Radjabali
© Imago

Immer mehr Vereine kommen auf den Trichter: Wer gute Fußballer will, muss im Nachwuchsbereich mehr vermitteln als Zweikampf, Flanke, Kopfball. SPOX hat sich in zwei deutschen Nachwuchszentren umgehört und erläutert den neuen Weg der Persönlichkeitsbildung.

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"Toni Kroos ist auf den Job als Profifußballer nicht ausreichend vorbereitet", sagte Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann vor einiger Zeit in einem Interview und meinte damit nicht die fußballerischen Eigenschaften des 18-Jährigen. Ihm ging es dabei um dessen unreife Persönlichkeit.

Ingo Anderbrügge hat diesen Zeitungsartikel ausgeschnitten. Als Mahnmal. Anderbrügge leitet in Marl-Sinsen (Nordrhein-Westfalen) das Deutsche Fußball-Internat (DFI) und hat sich dort vor allem die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Fußball-Elite ans Revers geheftet.

"Was die reine Trainingsarbeit angeht, ist die Bundesliga klasse - aber man muss junge Spieler auch auf das Haifischbecken drum herum vorbereiten", mahnt Anderbrügge im Gespräch mit SPOX an.

Guter Fußballer = Guter Mensch

Die Schulleitung teilt sich der Ex-Schalker in Marl mit Thomas Eglinski, der mit dem "Intersport Kicker Fußballcamp" schon vor Jahren die größte Fußballschule Europas ins Leben gerufen hat. Nun vermittelt er den Kindern im Internat ein ausgeprägtes Wertesystem: Angefangen von "Liebe, Ehrlichkeit und Vertrauen" über "Fleiß, Integrität und Verantwortungsbewusstsein". "Viele Kinder bekommen solche Werte doch zuhause gar nicht mehr vorgelebt", meint Eglinski.

Die These dahinter ist einfach: In der heutigen Zeit reicht es nicht mehr, aus einem talentierten Burschen nur einen guten Fußballer zu machen. Will man seine Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen, muss man auch einen "guten Menschen" aus ihm machen - eine Erkenntnis, zu der mittlerweile auch der DFB und immer mehr Bundesligisten gelangt sind.

Herthas "Ghetto-Kids"...

Beim Tabellenführer Hertha BSC Berlin ist man bereits gebrandmarkt. Spielern wie Ashkan Dejagah, Patrick Ebert oder Kevin-Prince Boateng hatte man fußballerisch alles mit auf den Weg gegeben. Doch als diese zu Profis wurden, scherten die "Ghetto-Kids" aus der Masse aus und entwickelten abseits des Platzes ein ungesundes Gespür für Peinlichkeiten und Fettnäpfchen.

Grob gesagt: Es fehlte den Nachwuchskickern an Reife. Ein Umstand, dem man bei der Hertha seit 2007 entgegenwirken will. Mit U-17-Coach Thomas Krücken hat man nicht nur einen gelernten Gymnasiallehrer, sondern gleich ein ganzes Nachwuchskonzept ins Boot geholt.

Der Auftrag von Dieter Hoeneß an Krücken: die duale Ausbildung. Heißt im Klartext, den Spielern neben dem Fußballerischen auch Normen und Werte mit auf den Weg zu geben.

...und die Lehren daraus

Krücken hat dafür bei der Hertha neben dem Internat für 18 Ausnahmetalente eine Nachmittagsbetreuung für Jugendspieler zwischen 12 und 17 Jahren eingerichtet - ein Konzept, dem andere Vereine nun nacheifern.

Die Probleme liegen in Berlin auf der Hand: Fast die Hälfte aller Eltern der heute Heranwachsenden ist alleinerziehend, Jugendliche driften schnell ab und geraten auf die schiefe Bahn.

"Wir bieten den Eltern professionelle Hilfe an", sagt Krücken im Gespräch mit SPOX, "und hier im Verein hat man im Rahmen von Motivation perfekte Möglichkeiten, die Spieler in die richtige Spur zu bringen." Die Nachwuchsspieler wollen schließlich alle mal Profis werden.

Abstrakt formuliert gilt es, den Jugendspielern grundlegende Dinge wie Eigenverantwortung, Kritikfähigkeit oder Respekt zu vermitteln. Dinge, die man auch abseits des Fußballplatzes anwenden kann.

Referat als Strafarbeit

Die Ausbildung fängt bei ganz banalen Dingen an. Internatsschüler müssen ihr Zimmer sauber halten, Jugendspieler kümmern sich selbst um die Trainingsausrüstung (z.B. Bälle aufpumpen), bei Teamsitzungen und beim Essen werden Mützen und Caps abgelegt.

Dazu legt Krücken Wert auf eine gesunde Ernährung beim Nachwuchs. Bei der Hertha gibt es beim Mittagessen ein Drei-Punkte-System.

"Es gibt täglich drei Gerichte: Grün, Gelb und Rot. Grün sind zum Beispiel Pastagerichte mit Gemüse, Gelb ein Auflauf mit Fleischbeilage und Rot der klassische Schweinebraten. Am Ende des Monats wird der Jugendliche prämiert, der sich am besten ernährt hat", erklärt Krücken die Idee dahinter. Eigenverantwortung ist das Stichwort.

Gemeinsam mit seiner U 17 hat der Coach zudem einen Maßnahmenkatalog entwickelt, an den sich die Spieler halten sollen. Wer seine Schuhe nicht vor der Kabine auszieht, muss den Kabinengang fegen. Wer bei einem Hallenturnier nicht die Schienbeinschoner zwischen den Spielen auszieht, um so die richtige Durchblutung der Beine zu gewährleisten, muss ein Referat über die sportmedizinischen Folgen halten.

Ausflug in den Jugendknast

Mit seinem Team hat Krücken auch schon mal einer Jugendvollzugsanstalt einen Besuch abgestattet und die Jungen dort mit Inhaftierten zusammen ein Fußball-Training gestalten lassen.

Wichtig ist ihm, den Schülern nichts zu verbieten, sondern sie zum Alleindenken anzuregen.

Anderbrügges Profi-Schelte und Kritik am DFB lesen Sie auf der zweiten Seite...