"Wunderkind ist übertrieben"

Von Interview: Benny Semmler
U-19-Nationalspieler Lewis Holtby ist die Neuentdeckung der Saison bei Alemannia Aachen
© Getty

exklusivTrotz der jüngsten Krise am Aachener Tivoli ist Alemannias Mittelfeldspieler Lewis Holtby in aller Munde. Seine bisherige Zweitliga-Bilanz ist für einen 18-Jährigen respektabel: 15 Spiele von Beginn an, vier Tore und fünf Vorlagen.In der U 19 des DFB kam er bereits sieben Mal zum Einsatz, schoss dabei zwei Tore.

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Das bleibt nicht unentdeckt: Der Youngster wird von einem Dutzend namhafter Klubs gejagt. Zuletzt galt der Wechsel zum Bundesligisten FC Schalke 04 als nahezu perfekt, das Dementi seines Beraters folgte jedoch prompt.

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Generell ist man in Aachen darauf bedacht, dem 18-Jährigen die Luft zum Atem zu lassen. "Keine Interviews bitte" - lange Zeit wollte Holtby lieber nichts sagen und zog sich im Rummel um seine Person brav zurück.

Gegenüber SPOX macht er eine Ausnahme und spricht über seine bodenständige Einstellung zum ganzen Star-Rummel, Angebote aus der Bundesliga, seinen Traumverein in England und über Hausarbeiten im mütterlichen Haushalt.

SPOX: Ihr Torwart Thorsten Stuckmann meinte unlängst: bei Höhenflug gibt's Grätsche. Wie oft wurden Sie in letzter Zeit im Training weggegrätscht?

Lewis Holtby: Genau gezählt habe ich es nicht, es waren sicher schon einige Male. Aber ich denke nicht wegen eines Höhenfluges. Bei uns geht es schon oft zur Sache. Jeder kämpft um seinen Platz im Team und eine gewisse Aggressivität gehört im Training dazu.

SPOX: Teilen Sie als Jungspund im Training auch mal selbst aus?

Holtby: Ich habe genug Selbstvertrauen in mir und bin kein verklemmter Typ. Natürlich habe ich Respekt vor den älteren und erfahrenen Spielern, aber ich habe auch keine Angst davor, etwas zu sagen. Ich lasse mir nichts gefallen und spreche auch oft Dinge an, aber alles mit der nötigen Portion an Respekt.

SPOX: Das klingt erwachsen. Wie gefällt Ihnen der Begriff 'Wunderknabe'?

Holtby: Gut. Wobei ich aber von mir nicht behaupten würde, dass ich ein Wunder bin. Ich bin einfach nur ein Fußballer, der im letzten halben Jahr einen ordentlichen Fußball gespielt hat. Das war jetzt nicht der wunderbare Fußball, aber es war okay.

SPOX: Trotzdem hat Ihre Leistung schon viele Bewunderer gefunden.

Holtby: Wenn ich mal die Alemannia in die Bundesliga, oder einen anderen Klub in die Champions League geschossen habe, vielleicht kann man dann von einem Wunder sprechen. Wenn man jedoch, wie ich, erst 20 Spiele ordentlich gekickt hat, ist der Begriff übertrieben.

SPOX: Bei Borussia Mönchengladbach wurden Sie in der Jugend angeblich wegen körperlicher Defizite aussortiert.

Holtby: Aussortiert wurde ich nicht. Ich habe kaum gespielt, da ich auf meiner Position eine sehr große Konkurrenz hatte. Im Zeitraum von 2001 bis 2004 habe ich die D- und C-Juniorenmannschaften durchlaufen und habe zu dieser Zeit auch immer gespielt. Zu Beginn meines C1-Jahres wurden allerdings 14 neue Spieler verpflichtet. Darunter waren auch zwei Jugendnationalspieler, die mich auf meiner Position verdrängt haben.

SPOX: Und dann sind Sie nach Aachen geflüchtet?

Holtby: Mich hat es einfach enttäuscht, dass ich nicht mehr so oft zum Zuge kam und suchte mir einen Verein, bei dem ich auf ähnlichem Niveau spielen konnte. Alemannia Aachen kam mir zu dem Zeitpunkt sehr gelegen und ich bin in der Winterpause 2004/05 dem Angebot gefolgt.

SPOX: Welche Schwächen hat Ihr Spiel noch? Wo hakt Trainer Jürgen Seeberger noch nach?

Holtby: Ich denke überall. An jeder Stelle kann man sich meiner Meinung nach noch weiterentwickeln. Ob es nun mein Kopfballspiel ist, mein linker oder mein rechter Fuß, überall muss natürlich noch nachgehakt werden. Stellungsspiel und Zweikampfverhalten sind auch zwei Aspekte, an denen ich noch arbeiten muss.

SPOX: Ihre Leistungen wecken Begehrlichkeiten. Sogar Manchester United und der FC Arsenal sollen Sie bereits gescoutet haben. Wie fühlt man sich da? Das muss doch unglaublich sein.

Holtby: Wenn dem so sein sollte, ist das natürlich eine große Ehre für mich. Aber wie gesagt, für mich ist es erst einmal wichtig, meine Leistung auf dem Platz zu zeigen, weiter Gas zu geben und einfach nur Fußball zu spielen. Was auf den Tribünen oder in den Medien passiert, ist mir erst mal egal.

SPOX: Wenn Sie wissen: 'Heute muss ich es reißen. Heute sind die Scouts da.' Werden Sie da nicht nervös?

Holtby: Nervös bin ich nicht. Wenn man es im Hinterkopf behält, baut man vielleicht zu viel Druck auf. Dies ist mir auch schon einmal passiert, wobei ich finde, dass es für einen 18-Jährigen normal ist, wenn man von so etwas hört. Man sollte solche Gedanken jedoch bei Seite schieben und versuchen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und einfach nur Fußball spielen.

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SPOX: Leverkusen und Köln haben bereits Interesse an Ihnen bekundet. Auch Dortmund, Schalke und Bremen sollen interessiert sein. Warum hat der FC Everton Sie noch nicht auf der Liste?

Holtby: (lacht) Ich weiß es nicht. Vielleicht passe ich nicht in deren Profil. Es ehrt mich natürlich, dass einige Vereine ein Auge auf mich geworfen haben sollen. Das wird mich aber nicht blenden. Wie eben schon erwähnt möchte ich einfach meine Leistung bringen, Gas geben, mich weiterentwickeln und wer weiß, vielleicht steht dann irgendwann mein Traumverein vor der Tür. Möglicherweise kann ich dann eventuell mal mit dem blauen Trikot auflaufen.

SPOX: Woher kommt Ihre Schwärmerei für den FC Everton?

Holtby: Mein Vater ist gebürtiger Engländer und Everton-Fan seit dem fünften Lebensjahr. Er war es dann auch, der mich sofort mit dem Everton-Virus infiziert hat und mich sofort mit Trikots der Toffees eingedeckt hat. Seitdem bin ich Everton-Fan und bis heute verfolgen wir immer gemeinsam ihre Spiele.

SPOX: Ihr Vater ist Engländer, Ihre Mutter Deutsche. Für wen fiebern Sie bei Länderspielen mehr mit?

Holtby: Unentschieden. Früher war ich immer für England, aber seitdem ich jetzt für die deutsche Nationalmannschaft auflaufe, spüre ich schon eine Verbundenheit zu dem Adler auf meiner Brust. Am besten wäre jedenfalls ein gerechtes Unentschieden.

SPOX: Unbekümmert, risikoreich - diese Eigenschaften sagte man auch Lukas Podolski vor Jahren nach. Der schaffte den Durchbruch bei einem Spitzenklub nicht und spielt im nächsten Jahr wieder in Köln. Sind Sie gewarnt, nicht zu früh zu wechseln?

Holtby: Da stellt sich natürlich die Frage, ob man solch einen ähnlichen Schritt wagen soll. Allerdings muss ich sagen, dass Lukas Podolski schon etwas beim FC Bayern erreicht hat. Bevor er zum FCB gewechselt war, wurde er nach der WM 2006 noch vor Cristiano Ronaldo zum besten Nachwuchsspieler des Turniers gekürt. Bei den Bayern hat er dann einige Titel geholt und seine Einsätze bekommen. Ich finde, Podolski ist ein Riesenspieler.

SPOX: Jungs in Ihrem Alter ziehen am Wochenende los und machen Party.

Holtby: Das stimmt. Aber früher wie auch heute habe ich für Diskotheken wenig übrig. Ich feiere gerne auf dem Platz, bin gerne auf dem Rasen und habe auch früher lieber mit meinen Kumpels Fußball gespielt. Das mit den Kumpels klappt heute leider nicht mehr so oft, aber ich freue mich noch immer über jede Trainingseinheit und genieße jede Minute.

SPOX: Wie viel Spaß macht Ihnen die Partybühne '2.Liga'?

Holtby: Sie macht mir sehr viel Spaß. Die 2. Liga ist in Deutschland sehr gefragt und nicht zuletzt wegen den Übertragungen von Premiere schauen viele Leute auf diese Spielklasse. Ich freue mich natürlich immer, die Gelegenheit zu bekommen, ein Zweitligaspiel mehr zu absolvieren. Das bringt wichtige Erfahrungen mit sich, nicht zuletzt durch die Möglichkeit, auf dem Tivoli zu spielen. Dies ist auch ein Grund, warum mir die 2. Liga so viel Spaß macht.

SPOX: Wie viele Autogramme müssen Sie inzwischen geben?

Holtby: Ich kann keine genaue Zahl nennen, aber es freut mich jedes Mal aufs Neue und ehrt mich, wenn jemand mich mag und ein Autogramm von mir möchte. Ich habe mich früher auch immer gefreut, wenn ich von meinen Lieblingsspielern Autogramme bekommen habe. Daher kann ich mich gut in den Fan hineinversetzen. Wichtig ist mir dabei, den Fans gegenüber Respekt zu zeigen und ihnen klar zu machen, dass ich kein großer Star bin, sondern nur ein Junge, der ordentlich kicken kann.

SPOX: Sie wohnen bei Ihren Eltern und es war zu lesen, dass Sie noch abwaschen und im Haushalt helfen müssen. Stimmt das wirklich?

Holtby: Ja. Mein Bruder und ich helfen meiner Mutter, so gut es geht. Wenn ich vom Training nach Hause komme, versuche ich alles, damit meine Mutter nicht meckert. Meine Mutter meint es immer gut mit mir, und die Unterstützung von zu Hause ist Weltklasse.

SPOX: Wann planen Sie Ihren Auszug? Ihr Vertrag läuft noch bis 2010.

Holtby: Ich versuche, im Sommer auszuziehen. Im Moment finde ich nicht die Zeit, aber in der Sommerpause werde ich es in Angriff nehmen.

SPOX: Haben Sie eigentlich Vorbilder?

Holtby: Klar! Cristiano Ronaldo, Franck Ribery, Lionel Messi. Die sind Vorbilder. Mit denen würde ich gern mal zusammenspielen. Generell sind aber alle Spieler aus der Bundesliga meine Vorbilder, denn sie haben es sich alle erarbeitet, dort zu stehen, wo sie nun sind. Mit ihnen will ich mich messen.

Holtby-Berater: "Die Meldung ist krass"