Der Hitz und andere Erkenntnisse

Von Für SPOX in Dortmund: Stefan Rommel
Hitzlsperger Ballack
© Imago

Wie groß die Anspannung vor und wie wichtig die Partie gegen Russland für die deutsche Nationalmannschaft war, konnte man während den 90 Minuten von Dortmund sehr gut an Joachim Löw sehen.

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Der Bundestrainer zeigte die gesamte Palette der Gefühlregungen, von lässigen Sitzeinlagen auf der Bande bis zu wüsten Schimpftiraden. Löw dirigierte, er verbesserte, zürnte und am Ende jubelte er.

Man sah dem Bundes-Jogi die Erleichterung nach dem Spiel an wie selten zuvor - auch weil Löw den Druck auf die Mannschaft und damit unweigerlich auch auf sich selbst vor der Partie erhöht hatte wie selten zuvor.

Die Partie gegen die Emporkömmlinge aus dem Osten war ein Gradmesser für höhere, zukünftige Aufgaben. Und die Nationalmannschaft hat sie bestanden, wenn auch am Ende mit einer gehörigen Portion Glück.

Anhaltspunkte und Erkenntnisse

Ebenfalls selten zuvor hatte Löw so viele Härtefälle zu bearbeiten, so viele Entscheidungen zu treffen und so vielen Spielern einen Korb zu geben. Gerne spricht man bei solchen Partien von richtungweisenden Spielen.

Bei einer Niederlage und dann lediglich vier Punkten aus den ersten drei Qualifikationsspielen wäre es auch für Löw ungemütlich geworden. So aber erwies sich seine Mannschaft als resistent, auch weil Löw in den entscheidenden Punkten Recht behalten sollte.

Und überdies lieferte ihm das Spiel gegen die Russen einige wichtige Anhaltspunkte - und sogar die ein oder andere klare Erkenntnis.

Die T-Frage

Das ehemalige Dauerproblem ist auf dem besten Wege zu einer einfachen Gleichung: Rene Adler = Nummer eins. Seit 2004 herrscht im deutschen Tor aus verschiedenen Gründen ein Konkurrenzkampf.

Erst Oliver Kahn gegen Jens Lehmann (WM 2006), dann vor der EM Lehmann gegen Robert Enke, nach dem Rücktritt Lehmanns Enke gegen Adler.

Hinter vorgehaltener Hand war Adler bereits nach der EM als Nummer eins geplant, als sich der Leverkusener aber an der Schulter verletzte, hatte plötzlich Enke die Nase vorn. Ironie des Schicksals, dass den 30-Jährigen jetzt ebenfalls eine Verletzung fast aussichtslos zurückwirft.

Enkes Kahnbeinbruch bedeutet drei Monate Pause. Sollte sich Adler in den beiden Länderspielen in dieser Zeit bis Weihnachten keine gravierenden Fehler mehr erlauben, ist die T-Frage bis auf Weiteres vom Tisch. Auch Bremens Tim Wiese wird da nicht mehr eingreifen können.

Die Sechser-Position

Löw rang sich gegen die Russen zu einer einschneidenden Entscheidung durch und setzte Michael Ballacks treuen Adjutanten Torsten Frings auf die Bank. Ohne Not, nicht wegen einer Verletzung wie einige Mal zuvor oder wegen einer Sperre. Allein aus Leistungsgründen.

Ein erster Fingerzeig für eine sanfte Revolution im Kernbereich des deutschen Spiels. Frech hatten Thomas Hitzlsperger und Simon Rolfes, die beiden Musterknaben, nach der EM öffentlich Ansprüche auf einen Stammplatz geäußert. Frings knurrte in Platzhirschmanier zurück, forderte noch wenige Tage vor dem Russland-Spiel von den Jungen "jetzt auch Taten und nicht nur Worte."

Hitzlsperger durfte Taten sprechen lassen. Der Stuttgarter entschied den Dreikampf um den Platz neben Ballack in der Mittelfeldzentrale für's erste für sich. In Stein gemeißelt ist die Rollenverteilung nicht.

Frings wird sich nicht so leicht abspeisen lassen und nochmals entschlossen um seinen Platz kämpfen. Ebenso Rolfes, dem allerdings abgesehen von seinem zeitweise offenkundigen Phlegma vor allem noch die internationale Erfahrung abgeht.

So hat Hitz derzeit einen kleinen Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu seinen Konkurrenten. Ein erster Schritt zu alternativen Strukturen im Mittelfeld ist getan.

Die Mittelfeld-Außen

Es gab im deutschen Mittelfeld tatsächlich mal eine Zeit, als Bernd Schneider auf der rechten Seite eine Institution war. Eine Rückkehr des Leverkuseners ist derzeit so wahrscheinlich wie der Meistertitel für Arminia Bielefeld. Deshalb hat Bastian Schweinsteiger erfolgreich eine Umschulung von der linken auf die rechte Seite absolviert.

Neuerdings kann Schweini auch vernünftig verteidigen, gegen die Russen war der Münchener in der Defensive vor allem in der zweiten Halbzeit gefordert wie nie und verbiss sich regelrecht in das Spiel und seine gefährlichen Widerparts Juri Schirkow und Alan Dzagoew. Der Platz auf rechts ist fest vergeben.

Nach seiner überzeugenden Vorstellung und einem seiner besten Länderspiele überhaupt befindet sich Piotr Trochowski auf dem besten Weg in die Startformation. Der Hamburger lebt in seinem Klub seit dem Weggang von Raphael van der Vaart regelrecht auf und transportiert seine neue Lockerheit endlich auch in die Nationalmannschaft.

Kontrahent Marko Marin musste gleich mehrere Rückschläge hinnehmen: Erst wurde er zu den Playoffs der U 21 abgestellt, wo er sich auch prompt verletzte. Und im Verein kann sich Marin ganz im Gegensatz zu Trochowski im Moment eher kein Selbstvertrauen zurückholen.

Der Spezialfall

Kevin Kuranyi hat sich selbst ins Abseits gestellt (zum SPOX-Kommentar). Der Fall sollte jetzt abgeschlossen sein, da sich Kuranyi beim Bundestrainer für sein Fehlverhalten entschuldigt hat. Trotz dieser Einsicht bleibt die Tür zum Nationalteam für den Schalker aber zu, weshalb sich im deutschen Sturm eine leicht veränderte Situation ergibt. 

Den freien Platz dürften in naher Zukunft, also beim Freundschaftsspiel gegen England Mitte November, entweder der Leverkusener Stefan Kießling oder Wolfsburgs Ashkan Dejagah einnehmen.

Ergebnisse und Tabelle der deutschen Gruppe 4