BVB nach CL-Kollaps bei Tottenham: Die erste handfeste Krise

Dortmund hat bei Tottenham mit 0:3 verloren.
© getty

Borussia Dortmund hat seit vier Pflichtspielen nicht mehr gewonnen, innerhalb einer Woche zwei Wettbewerbe so gut wie weggeschmissen und drei Mal in Serie drei Gegentore kassiert - die erste Krise unter Trainer Lucien Favre ist nach dem 0:3 in der Champions League bei Tottenham Hotspur somit perfekt.

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Es passierte zunächst das, was häufig nach bitteren Niederlagen geschieht: nämlich nichts. In der Mixed Zone tief im Bauch des Wembley-Stadions standen die mitgereisten deutschen Journalisten über eine halbe Stunde mit ihren TV-Kameras, Mikrofonen und Diktiergeräten schön diszipliniert in Reih und Glied und warteten auf die Spieler von Borussia Dortmund.

Und wie so häufig geschah dann das, was die mitgereisten deutschen Journalisten mit ihren TV-Kameras, Mikrofonen und Diktiergeräten gar nicht gerne haben: Jene Protagonisten, die dann auch tatsächlich mit der Presse sprachen, kamen plötzlich alle auf einmal.

So spielte sich in diesem Getümmel noch eine bemerkenswerte Szene ab. Mario Götze und Roman Bürki standen praktisch nebeneinander und der Presse gegenüber, doch ihre Aussagen hätten unterschiedlicher kaum sein können.

Bürki: "Es ist physisch einfach ein Riesenunterschied"

"Wir sind zu Hause eine Macht. Es ist noch alles möglich. Es sind nur Kleinigkeiten, die wir abstellen müssen", sagte Götze, der sich zuvor wie seine Mitspieler 45 Minuten lang sehr ordentlich auf dem Spielfeld herumtrieb und danach 45 Minuten lang mit seinen Kollegen unterging.

0:3 hatte der BVB verloren und wie schon am Samstag in der Bundesliga beim Kollaps gegen Hoffenheim alle drei Gegentore nach schwacher Leistung während der zweiten Halbzeit kassiert. Die Chancen auf das Weiterkommen in der Champions League sind somit nur noch minimal.

Wohl auch deshalb schienen es für Bürki keine Kleinigkeiten zu sein, die die Borussia künftig zu ändern habe. Der Schweizer Keeper sprach vielmehr Grundsätzliches an, das aktuell schief läuft.

"Wir können nicht dagegenhalten. Gegen robuste Mannschaften haben wir unsere Probleme, wir setzen uns zu wenig durch", sagte Bürki und schob nach: "Was mir aufgefallen ist: Es ist physisch einfach ein Riesenunterschied zwischen deren Spielern, wie sie aussehen, und unseren Spielern. Wir müssen uns da durchbeißen und Mentalität zeigen, aber das konnten wir heute nicht. Wir verteidigen nicht mit dem letzten Willen. Es sind immer wieder die gleichen Situationen wie Flanken oder Standards."

Kehl so angeschlagen wie selten zuvor

Noch einmal ein paar Meter weiter stand mit Sebastian Kehl der einzige aus der Riege der BVB-Verantwortlichen, der Stellung zum Niedergang in London nehmen wollte - und das ausgerechnet in den Schlussminuten seines 39. Geburtstages.

Kehl, eigentlich ein wortgewandter Mann und bekannt für präzise wie überlegte Aussagen, wirkte bei seinem Vortrag angeschlagen wie selten zuvor. Der Lizenzspielerleiter überlegte bisweilen sehr lange bei seinen Antworten, fand nur schwer die richtigen Worte und machte einen äußerst nachdenklichen Eindruck.

Das verwunderte auch weniger als die beiden unterschiedlichen Sichtweisen von Götze und Bürki, denn die jüngste Entwicklung beim BVB stimmt ja durchaus nachdenklich: Vier Pflichtspiele lang wartet die Borussia nun auf einen Sieg, zum ersten Mal seit neun Jahren kassierte man drei Tore in drei aufeinanderfolgenden Spielen und nach dem DFB-Pokal dürfte mit der Champions League nun auch der zweite Wettbewerb futsch sein, während der FC Bayern den Rückstand in der Bundesliga verkürzen konnte.

Der BVB kann aktuell nicht leiden

Man kommt somit nicht mehr umhin: Das Lucien-Favre-Dortmund steckt in seiner ersten handfesten Krise. "An diesem Abend werden wir ein bisschen knabbern", war sich Kehl sicher und verschwand dann nach deutlicher Hup-Aufforderung im abfahrtbereiten Mannschaftsbus.

In die Dortmunder Gedankenwelt, so schien es, hat sich nun die Frage eingeschlichen, ob denn gerade die beiden letzten Partien gegen Hoffenheim und nun Tottenham ein Sinnbild für die gesamte Saison werden könnten - in der ersten Hälfte überraschend gut, im zweiten Abschnitt überraschend schwach.

Der BVB präsentierte sich nämlich zuletzt, und beim Auftritt in der Königsklasse in Englands Hauptstadt wurde dies noch einmal deutlicher, besonders grün hinter den Ohren. Das Verteidigungsverhalten (wie schon gegen Hoffenheim fielen alle drei Spurs-Tore nach Flanken) und der Umgang mit Rückschlägen innerhalb eines Spiels waren an Naivität nur schwer zu überbieten. Den Westfalen unterliefen erschreckende, weil vermeidbare Fehler.

Die Mannschaft schafft es derzeit nicht zu leiden, wenn sie aufgrund der Qualität des Gegners vom eingeschlagenen Weg abkommt. Diese Negativentwicklung ist natürlich ihrem jungen Alter geschuldet, das Favre seit Amtsantritt unaufhörlich herausstellt. Gegen die Spurs standen mit Achraf Hakimi, Christian Pulisic, Dan-Axel Zagadou und Jadon Sancho gleich vier Spieler in der Startelf, die nicht älter als 20 Jahre alt sind.

Verletzungen kosten BVB Stabilität und Formstärke

In erster Linie leidet man aktuell aber vor allem unter dem personellen Aderlass. Die Verletzungsproblematik hat Dortmund Stabilität und Formstärke gekostet. Gegen Tottenham musste Favre beispielsweise die 16. unterschiedliche Viererkette im 31. Pflichtspiel auflaufen lassen. Zudem fehlt mit Kapitän Marco Reus die herausragende Persönlichkeit, deren bloße Präsenz das Team beflügeln und die Youngster besser machen kann.

Gegen die Spurs konnte man diesen Unterschied gut sehen: Auch sie müssen aktuell auf Leistungsträger verzichten, doch Tottenham ist eine über Jahre unter demselben Trainer gewachsene Mannschaft. Das Spurs-Haus steht auf einem soliden Fundament, das bei Unwägbarkeiten nicht so schnell zu bröckeln beginnt wie der frische Zement, der beim BVB im vergangenen Sommer ausgelegt wurde.

In der momentanen Phase wird ersichtlich, was die Dortmunder Verantwortlichen meinen, als sie vor Saisonstart betonten, dass es zwei oder drei Sommer-Transferperioden benötigen würde, um der Mannschaft ein neues, stabiles Gesicht zu geben.

Und dann wurde es am späten Mittwochabend doch noch etwas versöhnlich in den Aussagen von Götze und Bürki. Nachdem der Torhüter die Dortmunder Unzulänglichkeiten herunterbetete, schloss er seinen Monolog mit einem Ausblick auf das Rückspiel am 5. März und dem zu Götze beinahe wortgleichen Satz: "Da müssen wir so spielen wie in der ersten Halbzeit und möglichst früh in Führung gehen", meinte Bürki, schulterte seine Tasche und sagte: "Dann ist noch alles möglich."

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