Nicht nur der Killerinstinkt fehlt

Robert Lewandowski war nicht der einzige Grund für die Bayern-Niederlage
© getty

Nach acht Pflichtspielsiegen in Folge hat der FC Bayern München gegen Atletico Madrid die erste Niederlage der Saison hinnehmen müssen. Während Carlo Ancelotti und seine Spieler vor allem die mangelhafte Chancenausnutzung anprangern, bestätigte die Partie einen Trend der letzten Wochen. Zwei gruselige Serien haben für die Münchner indes Bestand.

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Vom Innenpfosten springt der Ball ins Tor. Und es steht 1:0 für Atletico Madrid gegen den FC Bayern. Das Vicente Calderon tobt - und Diego Simeone sowieso. Zwangsläufig werden Erinnerungen an den 27. April wach.

Auch damals gingen die Rojiblancos im Vicente Calderon gegen die Bayern durch einen Innenpfostenschuss in Führung. Auch damals bekamen unter anderem Xabi Alonso und Thiago den Ballführenden in der Entstehung nicht zu fassen. Auch damals hatte die Führung der Hausherren bis zum Abpfiff Bestand.

Natürlich ist ein Champions-League-Halbfinale von der Brisanz nicht mit einem Gruppenspiel zu vergleichen. Der Treffer von Yannick Carrasco fiel dazu nach einem gänzlich anderen Spielzug als der von Saul Niguez im April, die andere Torecke war es obendrein.

Und dennoch sind die Parallelen der beiden Partien nicht von der Hand zu weisen. Atletico hat mit seiner Spielweise erneut den Bayern-Code geknackt.

Mangelhafte Chancenauswertung

"Es war keine gute Leistung", sagte Carlo Ancelotti hinterher: "Wir haben das Spiel kontrolliert, aber unter dem Strich waren wir heute in den Zweikämpfen nicht bissig, nicht entschlossen genug. Wir haben auch zu viele Bälle verloren und zu langsam gespielt. Gegen Atletico muss man schneller sein und seine Möglichkeiten nutzen."

Auf die mangelhafte Chancenauswertung schoss sich auch Torhüter Manuel Neuer ein: "Wir wussten, dass es nicht einfach wird. Es war schwer, den Ball hinter die Linie zu kriegen. Atletico hat den Killerinstinkt. Aus wenigen Möglichkeiten können sie viel machen. Diesen Killerinstinkt hatten wir heute leider nicht."

Torschuss-Statistik pro Atletico

Wenige Möglichkeiten? Ein Blick auf die Statistik der Partie zeigt, dass die Feldüberlegenheit die Wahrnehmung der Münchner Protagonisten etwas getrübt hat. Am Ende standen die Bayern bei 67 Prozent Ballbesitz. Die Passquote von 85 Prozent war ebenfalls deutlich stärker als die der Gastgeber (73 Prozent). Und entgegen des Eindrucks von Ancelotti behielten die Bayern auch in 51 Prozent der Zweikämpfe die Oberhand (zur Halbzeit waren es sogar 59).

Gefährlicher wirkte zu beinahe jeder Phase des Spiels jedoch die Truppe von Diego Simeone. Wenn diese nämlich einmal den Ball gewann, folgte blitzschnell ein Abschluss. Am Ende standen 16:15 Torschüsse (5:4 auf das Tor).

Die Zahlen belegen: Ja, die Bayern waren feldüberlegen und dominant. Hört man die Worte des Trainers und der Spieler, könnte man jedoch den Eindruck gewinnen, die Bayern hätten haufenweise Hundertprozenter liegen lassen, während Atletico eine Chance hatte und diese nutzte.

Dem war nicht so. Sowohl der subjektive Eindruck als auch die Zahlen sahen eine jederzeit gefährliche Heimmannschaft, die am Ende - das darf nicht unter den Tisch fallen - bei Griezmanns Elfmeter sogar die große Chance auf einen 2:0-Sieg vergab. Und auch dieser wäre nicht unverdient gewesen.

Probleme bei hohem Pressing

Dabei taten die Rojiblancos dem Deutschen Meister genau dort weh, wo es ihm am meisten schmerzt: "Wir wollten von Beginn an Druck machen auf die Bayern, waren nah dran und haben versucht, die Pässe aus dem Mittelfeld zu unterbinden", erklärte Diego Simeone die Ausrichtung seines Teams.

Schon in den bisherigen Spielen der Saison offenbarten die Bayern Probleme, wenn der Gegner im Spielaufbau mit Angriffspressing mannorientiert agierte. Dann fehlten häufig die Lösungen. Das bisherige Vorzeigebeispiel war der FC Ingolstadt, der die Ancelotti-Elf am meisten ärgerte.

Ingolstadt 2.0

Was Atletico veranstaltete, könnte man getrost als Ingolstadt 2.0 bezeichnen. Eine ähnliche Ausrichtung, jedoch mit einer Umsetzung auf Weltniveau.

Atletico trieb das Pressing bis zur Perfektion auf die Spitze. So sehr, dass selbst Mr. Zuverlässig Philipp Lahm zahlreiche Stockfehler und einfache Fehlpässe unterliefen und Javi Martinez - seines Zeichens in bisher jedem Pflichtspiel auf dem Platz und immer einer der Besten - mehrfach bedenklich wackelte.

Auch die Schanzer gingen gegen die Bayern in Führung. Atletico brachte jedoch die Qualität mit, die Führung durch eine starke defensive Ordnung und Stabilität zu verteidigen. Gegen Simeones Mannschaft in Rückstand zu geraten, ist meist tödlich. Besonders im Vicente Calderon. Das ging dem FCB im April so und auch am Mittwochabend.

Auswärts ohne Fortune

Für die Bayern haben durch die Niederlage in Madrid zwei schaurige Entwicklungen Bestand: Die jüngste Auswärtsbilanz in der Königsklasse weist nur zwei Siege aus den letzten elf Partien auf. Diese beiden waren in Piräus und Zagreb. Unter anderem in Porto, Donezk und Lissabon blieb man ohne Erfolg. Auswärts wirkten die Roten in den letzten Jahren bisweilen ideenlos, unkreativ.

Auf spanischem Boden gewann man gar nur zwei seiner letzten 13 Spiele. Wenngleich es die Spieler bei jeder Gelegenheit abstreiten, besteht die Gefahr eines Traumas. Zumal es in den letzten drei Jahren bittere Halbfinalniederlagen gegen Real Madrid, den FC Barcelona und eben Atletico setzte.

Vorschnelle Panik ist freilich übertrieben. Schließlich war die Partie gegen Atletico nicht irgendeine: "Das ist für eine Gruppenphase ein sehr großes Spiel. Letzte Saison war es das Halbfinale, heute hat man gesehen warum", ordnete Arjen Robben das Spiel hinterher ein. Außerdem sind die Rojiblancos im Dezember auch noch in der Allianz Arena zu Gast, der Gruppensieg ist nach wie vor also alles andere als unmöglich.

Ein langer Weg zum Henkelpott

Dennoch war die Niederlage der erste kleine Rückschlag für Carlo Ancelotti nach einer bisher makellosen Bilanz und teilweise überschwänglichem Lob. Vielleicht ist es der Rückschlag im richtigen Moment.

Die Bayern wirkten bis dato lange nicht so unschlagbar, wie sie streckenweise geschrieben wurden. Jetzt ist es also erstmals passiert: Ein Gegner von Weltformat hat den Bayern gezeigt, dass es auch unter Ancelotti noch ein langer Weg zum Henkelpott ist.

Bei seiner Einordnung der Niederlage wirkte der Italiener beinahe erleichtert darüber, dass das Gerede über die makellose Bilanz nun ein Ende hat: "Es war nur ein Spiel. Beim nächsten Mal wird es besser."

Atletico Madrid - FC Bayern München: Daten zum Spiel

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