Hoch und runter nach oben

Pierre-Emerick Aubameyang war mit drei Treffern der Matchwinner für den BVB gegen Benfica
© getty

Um ein Tor hat Borussia Dortmund das eigene "Jahrhundertspiel" von 1963 verpasst zu wiederholen und ist nach einem 4:0-Heimsieg gegen SL Benfica ins Viertelfinale der Champions League eingezogen. Die Mannschaft von Thomas Tuchel ist in dieser Saison enorm ambivalent - doch in den wichtigen Momenten schlägt sie zu.

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Norbert Dickel hat die Sache schnell selbst in die Hand genommen. Sieben Spieler des Kaders von 1963/1964, die im Landesmeisterpokal eine 1:2-Hinspielniederlage gegen Benfica mit einem 5:0-Heimsieg im Stadion Rote Erde drehten, lud Borussia Dortmund am Mittwochabend ins Stadion ein.

Die betagten Herren liefen unmittelbar vor dem Anpfiff in Richtung Südtribüne und Stadionsprecher Dickel zeigte den Ur-Borussen an, wie das mit der Welle geht. Die Haltungsnoten fielen zwar nur mittelmäßig aus, doch symbolisch hatte dieser Auftritt stark auf das Publikum gewirkt.

Verstärkt wurde dieses Gefühl durch eine Choreographie der kürzlich noch geschmähten Südtribüne, die in Anlehnung an das Spiel im Dezember 1963 titelte: "Morgen schreiben die Gazetten wieder, Borussia spielt Benfica nieder."

Dortmunds Auf und Ab ist erstaunlich

Um ein Haar oder genauer gesagt ein Tor hätte sich die 53 Jahre alte Geschichte wiederholt. Thomas Tuchels BVB wandelte die 0:1-Auswärtspleite in einen 4:0-Heimsieg und hat damit das erste von drei Saisonzielen erreicht.

Es war ein 4:0, das 60 Minuten des Spiels ein banges 1:0 war. Und es war ein Auf und Ab, der Spielverlauf wendete sich mehrere Male. In der Ausprägung, die Dortmund gerade in dieser Saison zeigt, ist dieses Hoch und Runter durchaus erstaunlich.

Die Borussia kann himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Ruckzuck kann nach einem starken Start die Sicherheit flöten gehen und wiederum können wie zwischen der 59. und 61. Minute zwei geniale Spielzüge zu kaum zu verteidigenden Toren führen. Wirklich langweilig sind die Spiele der ambivalenten Dortmunder eigentlich nie.

Starker Start, aber Gegentor möglich

Gegen Benfica kündigte Tuchel bereits auf der Pressekonferenz vor dem Spiel an, sein Heil in der Offensive zu suchen. Das war keine große Überraschung, wenn man das Potential seines Teams in diesem Mannschaftsteil betrachtet. Tuchels unausgesprochene Botschaft war dabei: Wir können das jetzt vor allem deshalb tun, weil wir auch defensiv stabil sind.

Dortmund verteidigt in den letzten Wochen wieder deutlich konsequenter als zuvor in der Saison. Man verteidigt aber nicht derart resolut, als sei niemals ein Gegentor möglich. Ganz im Gegenteil, auch beim 6:2 gegen Leverkusen hatte die Partie Phasen, in denen sie kippen konnte.

Und deshalb gelang es auch den Gästen aus Portugal, trotz des druckvollen Starts der Dortmunder ins Spiel zu finden und selbst Gefahr auszustrahlen. Benfica konterte nach dem frühen 0:1 bis zum Strafraum gut und brachte den BVB immer wieder bei Standards in die Bredouille.

Tuchel: "Es war eine Mischung aus allem"

So lag der Ausgleich längere Zeit in der Luft, ein Ausscheiden war eine Stunde lang kein unrealistisches Szenario. Doch es fiel kein Gegentreffer - und das ist nach einem solchen Spiel für Tuchels Elf ein ebenso wichtiger Schritt in der Entwicklung wie das bloße Weiterkommen.

"Wir haben nach dem 1:0 zu früh nach Lösungen gesucht, zu früh über außen gespielt, die Zehnerpositionen nicht gefunden und Zweikämpfe verloren", erklärte Tuchel nach Schlusspfiff. "Es war eine Mischung aus allem, nie so richtig schlecht, aber der Rhythmus war weg. Wir haben aber auch da immer weiter seriös verteidigt."

Es sind solche vermeintlich kleinen Schritte, die dann Teil eines Ganzen werden. Starker Start und früh getroffen, dann abgebaut, aber kein Gegentor kassiert - diese Szenarien können die Stabilität stärken. Zumal dies seit Saisonbeginn die dringlichste Baustelle beim BVB ist.

CL-Erlebnisse als Brandbeschleuniger

Offensiv läuft die Maschinerie ohnehin im Großen und Ganzen. Allein in den acht Champions-League-Partien hat Dortmund nun 24 Treffer erzielt, ein neuer Vereinsrekord. Und die Angreifer sind es auch, die aus einer Mannschaft, die sich gegen den Ball noch weiter finden muss, ein aufregendes, ambivalentes Team machen.

Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembele stellen eine Bedrohung für jeden der noch in der Königsklasse verbleibenden Vereine dar, nicht erst gegen Benfica brillierte zudem der wuselige Christian Pulisic.

Es scheint für diese Spielzeit Dortmunds natürliche Entwicklung zu sein, über ein Hoch und Runter Schritt für Schritt weiter zu kommen. Besonders die positiven Erlebnisse in der Champions League sind dabei Brandbeschleuniger. Tuchel betonte schon mehrfach die Gier seiner Spieler, sich auf dieser Bühne bestmöglich zu präsentieren. Das ist schließlich noch keinem Akteur unzuträglich gewesen.

Weigl: "Langsam greift ein Rad ins nächste"

Zwar hielt schon die Hinrunde einige plumpe Leistungen bereit und selbst kürzlich noch blamierte sich der BVB beim Tabellenschlusslicht aus Darmstadt. Doch muss mittlerweile attestiert werden, dass die Mannschaft immer wieder Mentalität zeigt, wenn Highlightspiele auf dem Programm stehen.

Dortmund gewann in dieser Saison schon gegen die Bayern, erarbeitete sich in Unterzahl einen Zähler bei ungeschlagenen Hoffenheimern, bezwang Leipzig im Rückspiel, gewann seine beiden Elfmeterschießen und glänzte in der Königsklasse. Geht es ums Momentum und sind Saisonziele in Gefahr, ist die Borussia da. Diese Erfahrungen können angesichts des knackigen Programms in den nächsten Wochen Gold wert sein.

"Wir sind sehr froh, dass wir in der wichtigen Phase der Saison voll da sind. Das zeichnet uns aus und langsam greift ein Rad ins nächste", sagte Julian Weigl.

Der BVB wird mit dem Auf und Ab in diesem Jahr leben müssen, hatte Tuchel bereits vor vier Wochen nach der Pleite beim SVD gesagt. Die aktuelle Form verspricht allerdings die Chance, dass dies künftig nur noch für die Spielverläufe gilt - und seltener für die Ergebnisse.

Borussia Dortmund - SL Benfica: Die Statistik zum Spiel