Wann spricht man von Perfektion?

Der FC Barcelona hat die Tür zum Viertelfinale weit aufgestoßen
© getty

Der FC Barcelona gewinnt das Hinspiel gegen den FC Arsenal im Achtelfinale der Champions League. Die Stimmung ist sensationell, die Leistungen nicht minder gut. Wo ist eigentlich die Obergrenze?

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Es gibt sie noch diese Spiele im Laufe einer Saison, die kräftezehrend sind und die sich Minuten für Minute mehr zu einem Stolperstein entwickeln. Doch sie sind wenige geworden im Leben des gemeinen Barca-Fans. Sehr wenige. Natürlich können die Katalanen nicht immer über ihren Gegner hinwegfegen, doch einen sehr, sehr großen Teil ihrer Spiele gewinnen sie locker, den Rest gewinnen sie.

Gelegentlich braucht es dafür etwas mehr Mühe. So wie an diesem Champions-League-Achtelfinalabend im Emirates. Die Gunners machten ein gutes Spiel, verteidigten diszipliniert und waren auch offensiv zu keiner Zeit völlig aus dem Spiel zu nehmen. Ganz im Gegenteil, hatten sie doch beste Chancen auf die Führung, den Ausgleich und den Anschlusstreffer.

Doch letztlich setzen sich Luis Enrique und Co. einmal mehr mit einem Sieg im Gepäck in den Flieger zurück nach Barcelona. Die Mannschaft hat inzwischen ein Niveau erreicht, das derzeit vielleicht von keiner anderen Mannschaft erreicht wird. Nicht unbedingt qualitativ, unschlagbar ist Barcelona ohne Frage nicht.

Verletzungsfreier, flexibler Kader

Es ist vielmehr die beinahe beängstigende Gesamtheit, die den zukünftigen Gegner Bauchschmerzen bereiten sollte. Wer Schwachpunkte finden will, der wird lange suchen müssen und mit hoher Wahrscheinlichkeit ergebnislos zurückkehren. Ein fehlender Plan B wurde Barca lange Zeit vorgeworfen, nun lobte Gegner Arsene Wenger Barcelona als eine der "besten Kontermannschaften der Welt."

Fehlende Stärke bei Standards und eine Angreifbarkeit mit hohen Bällen wurde ihnen einst attestiert. Gegen Olivier Giroud hatte die katalanische Hintermannschaft bis auf einen Ausrutscher alles im Griff. Ein durchschnittlicher Torwart würde das Tor hüten, rief man in Zeiten von Victor Valdes - Marc-Andre ter Stegen straft seine Kritiker bei jedem Auftritt Lügen.

Manche Vereine kämpfen mit Verletzungssorgen, der FC Barcelona kann darüber derzeit nur lachen. Mit Rafinha fehlte in London ein einziger Mann verletzt und dieser steht nach seiner langen Verletzungspause nach rüdem Foul von Radja Nainggolan kurz vor der Rückkehr ins Training.

Bis zum Winter musste sich Barcelona lange anhören, der Kader wäre zu dünn. Inzwischen kämpfen fünf Innenverteidiger um zwei Positionen, Aleix Vidal lief in seinen ersten Einsätzen Dani Alves den ein oder anderen Fürsprecher ab. Arda Turan hat das Team nach überstandener Sperre noch flexibler gemacht, Sergi Roberto spielt als Schweizer Taschenmesser unter den Fußballern seine beste Saison im Trikot der Blaugrana.

"Technisch besser als wir"

Es bleibt irgendwann nur noch die Frage: Gibt es eigentlich etwas, was dieser Kader, dieses gesamte Team im Moment nicht kann? Selbst der sonst so vorsichtige Trainer musste im Presseraum des Emirates eingestehen: "Das ganze Spiel hat mir gefallen. Es gibt nichts, was mir nicht gefallen hat. Gar nichts." Sein Team habe in der ersten Halbzeit klug mit dem Ball gespielt und Arsenal müde gemacht, um dann eiskalt zuzuschlagen.

Wenger, ein Trainer, der nicht weit vom Barca-Stil entfernt ist, musste zugeben: "Sie waren technisch besser als wir. Barca ist eine sehr gute Mannschaft, das wussten wir zuvor. Und doch waren wir technisch nur Durchschnitt." Der Franzose gab sich im Anschluss an die 0:2-Niederlage beeindruckt von den Qualitäten seiner Gegner. Der erste Kontakt vieler Spieler sei herausragend, die Passgenauigkeit auch in engen Situationen beispiellos.

Während er sein eigenes Team als "naiv" bezeichnete, war Wenger hin und weg vom Gegner, dem er in wenigen Wochen wieder gegenüber stehen wird. Viel Hoffnung hat er schon nicht mehr: "Barcelona steht zu 95 Prozent im Viertelfinale." Diese mageren fünf Prozent will man dennoch nutzen im Lager der Gunners. Natürlich. So gehört es sich.

23 Spiele, 20 Siege

"Wir haben noch immer eine kleine Chance gegen Barcelona und werden sicher nicht aufgeben", kündigte Per Mertesacker an. Während sein Arsenal vor dem sechsten Achtelfinal-Aus steht, ist die Bilanz von Luis Enrique in K.O.-Spielen mit dem FC Barcelona eine Warnung an alle Mannschaften, die dem Tridente und seinem Gefolge in dieser Saison noch über den Weg laufen wollen: 23 Spiele, 20 Siege, zwei Unentschieden und eine Niederlage in München.

Einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer kann man für die Engländer dann allerdings doch ausmachen. Gerard Pique wird im Rückspiel gesperrt fehlen, nachdem er für ein Foul mit taktischem Charakter die fünfte Gelbe Karte des Wettbewerbs sah. Ohne den Abwehrchef wird dann doch eine winzige Schwachstelle aufgedeckt: Die des dritten Verteidigers.

Pique fehlt im Rückspiel

Jeremy Mathieu und Thomas Vermaelen sind mit stärkerem linken Fuß nicht die Idealwahl auf der Position des rechten Innenverteidigers, Marc Bartra fiel zuletzt komplett aus dem Kader. Drei Alternativen für einen Mann. Sorgen, die andere Vereine gerne hätten.

Ohne Pique fehlt vieles, wenn auch nicht alles. Javi Mascherano lieferte ein blitzsauberes Hinspiel ab, wird aber im Rückspiel noch mehr gefordert sein. Ein Auswärtstor ist schnell erzielt, ein zweites selbst gegen dieses Barca nicht unmöglich. Nicht umsonst sagte Enrique: "Keine Wechsel? Ich wollte nichts mehr anfassen, nichts kaputt machen."

Doch Barcelona wäre nicht so komplett, würden die Katalanen nicht selbst glauben, was sie sagen. "Das Viertelfinale ist noch nicht gebucht", sagte Sergio Busquets. Und sagte Lionel Messi. Und sagte Javi Mascherano. Und sagte Dani Alves. Und sagte Luis Enrique. Ob Medienschulung oder nicht: Gewonnen ist bei aller Perfektion noch nichts.

FC Arsenal - FC Barcelona: Daten zum Spiel