Emanzipation auf dem Schlachtfeld

Dank nach oben! David Luiz sorgte mit seinem späten Ausgleichstreffer für die Verlängerung
© getty

Eiskalte Effektivität, mentale Stärke und Erfolg, egal auf welchem Weg - der FC Chelsea verabschiedet sich aus dem Achtelfinale der Königsklasse, weil Paris Saint-Germain genau das verkörpert, was Chelsea einst in die höchsten Sphären der europäischen Topklubs spülte. Während sich Blues-Coach Mourinho auffällig ruhig gibt, darf sich PSG nach einer unvergleichlichen Schlacht endlich angekommen sehen im Favoritenkreis um den Henkelpott.

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Als Björn Kuipers Schlusspfiff gegen Viertel nach elf durch die Stamford Bridge hallte, suchten nicht nur knapp 40.000 Chelsea-Anhänger nach Worten dafür, was sich gerade an einem denkwürdigen Champions-League-Abend zugetragen hatte.

Eine lächerliche Rote Karte gegen PSG-Superstar Zlatan Ibrahimovic, die das Spiel nach einer halben Stunde komplett auf links drehte. Zwei nicht gegebene Elfmeter, zwei nicht gegebene Platzverweise. Ein vermeintlich spielentscheidender Elfmeter nach einem vollkommen unsinnigen Handspiel, das doppelte Comeback der dezimierten Gäste aus Paris - mit dem Elfmeter-Verursacher als Held. 120 Minuten Fußball-Irrsinn.

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Chelseas Spieler und die Menschen auf der Tribüne waren fassungslos, in Schockstarre, die Spieler aus Paris und deren Fans, tanzten und schrien und feierten. Worte für das alles? Einer fand sie dann doch.

"...dann hat sie es nicht verdient"

"Wenn eine Mannschaft zwei Ecken nicht verteidigen kann, dann hat sie auch nicht verdient weiterzukommen." Ruhig und mit ernster Miene stand Jose Mourinho nach der intensiven Partie in den Katakomben der Stamford Bridge. "Wenn eine Mannschaft mit dem Druck nicht umgehen kann", sagte The Special One weiter, "dann hat sie auch nicht verdient weiter zu kommen".

Nüchterne, klare und vor allem wahre Worte, mit denen der Portugiese den uninspirierten Auftritt seiner Blues analysierte. Das 2:2 gegen Paris reihte sich ein in die Londoner Auftritte der letzten Wochen - und legte die aktuelle Problemzone Chelseas gnadenlos offen.

Es gibt da einen Eden Hazard, einen Diego Costa. Willian, Oscar oder Didier Drogba. Dennoch lahmt die blaue Offensive fast seit zwei Monaten, mehr schlecht als recht hält man sich an der Spitze der Premier League. Am 17. Januar schoss man Swansea mit 5:0 aus deren eigenem Stadion. Seitdem gab's in elf Pflichtspielen vier Mal zwei Londoner Tore, sonst nie mehr als eines. Unter dem Strich: eine Pleite samt FA-Cup-Aus gegen Bradford, fünf Remis und nur fünf Siege.

Die eiskalte Ergebnismaschine, die Chelsea für viele zum heißesten Titelkandidat neben den Münchner Bayern und Titelverteidiger Real machte, ist das aktuelle Chelsea nicht mehr. Zweimal waren die Blues gegen dezimierte Pariser vorne. "Aber sie waren im Kollektiv besser als wir", gestand Mourinho. Und: "Sie waren uns mental überlegen. Sie haben das Weiterkommen verdient."

Die Attribute, die Chelsea zur gefürchteten Weltmannschaft gemacht haben - sie haben den Londonern in Gestalt von zehn PSG-Akteuren das Genick gebrochen.

Wayne Rooney gerät in Schwärmen

Jetzt muss die Konkurrenz um den Pokal mit den großen Ohren die Blues nicht mehr fürchten. Dafür dürfte allen verbliebenen Teams bewusst sein, wozu Paris fähig ist. "Das war einer der besten Auftritte, die ich je von einer Mannschaft mit zehn Mann gesehen habe", sah sich sogar Wayne Ronney verpflichtet, via Twitter seinen virtuellen Hut vor den französischen Kampfmaschinen zu ziehen.

Mit am Ende über 90 Minuten in Unterzahl und dennoch mit fast 60 Prozent gewonnenen Zweikämpfe lieferte PSG einen beeindruckenden Statement-Sieg. Und das großteils ohne die schillerndste Figur des Pariser Star-Ensembles. "Es war hart, einen unserer Besten zu verlieren", sagte David Luiz nach Ibrahimovic' Platzverweis. Mit einem wahnsinnigen Kopfball hatte der Brasilianer sein Team erst in die Verlängerung gebracht. "Aber wir haben Charakter gezeigt. Und immer daran geglaubt."

PSG hat mächtig Eindruck hinterlassen. Der Verein, der in den letzten Jahren oft abgetan und nicht wirklich ernst genommen wurde. Scheich-Klub und Söldnerhaufen aus einer sportlich unbedeutenden Liga, hieß es dann. Doch nachdem man letztes Jahr noch an Barcelona gescheitert war - nach einem 2:2 im Hinspiel im Prinzenpark und einem 1:1 im Rückspiel - hat Paris gezeigt, dass mit Ihnen zu rechnen ist. PSG hat sich mit einer irren Schlacht gegen eine "große Mannschaft" (Thiago Motta) im Favoritenkreis um den Henkelpott gemeldet.

Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Paris endlich alle Attribute eines Top-Teams an den Tag gelegt. Charakter, Moral, fußballerische Klasse und gnadenlose Effektivität im entscheidenden Moment. Und das trotz Schiedsrichter Björn Kuipers, der einen Albtraum-Tag erwischte und sich alleine in der ersten Hälfte vier potenziell spielentscheidene Fehler leistete.

"Nicht die Zeit, rum zu heulen"

Bei der Roten Karte gegen Zlatan Ibrahimovic sah sich sogar Mourinho genötigt, dem Gegner zu Seite zu springen. "Das war kein Grund für eine Rote Karte", sagte ein erstaunlich ruhiger Star-Coach, der den Fokus ohne sich zu grämen sofort auf das nächste Wochenende legte. "Ich habe ein Fußballspiel verloren. Aber ich fühle mich nicht gedemütigt", sagte Mou. "Wir müssen eine Reaktion zeigen. Wir haben die Premier League zu gewinnen. Es ist nicht die Zeit, rum zu heulen."

Für Paris ist es das ohnehin nicht. Doch können die Feierlichkeiten in der Hauptstadt Frankreich auch nicht ewig weitergehen, so steht PSG in der Tabelle immer noch einen Punkt hinter Tabellenführer Olympique Lyon und hat mit Marseille einen argen Verfolger im Nacken.

Dennoch war - zumindest nach dem Schlusspfiff - Party angesagt, vor dem Pariser Block und in der Kabine. An denkwürdigen Champions-League-Abend. "Ich glaube, das ist so ein Spiel", sagte Marco Verratti, "an das werde ich einmal zurückdenken, wenn ich in Rente gehe".

FC Chelsea - Paris Saint-Germain: Die Statistik zum Spiel

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