Dominanz ohne Dynamik

Von Daniel Reimann
Die Bayern kamen viel zu selten gefährlich vor das Tor von Iker Casillas
© getty

Drückend überlegen und dennoch verloren: Bayern scheitert im Halbfinal-Hinspiel der Champions League an Ancelottis Pragmatismus. Doch das Spiel beweist auch: Die Münchner werden zum Opfer ihres eigenen Erfolgs.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Partie war noch jung, da zeichnete sich die Rollenverteilung schon eindeutig ab. Real Madrid igelte sich von Beginn an hinten ein und erhob erst gar keinen Anspruch auf Ballbesitz.

Sofort machte eine auf den ersten Blick naheliegende Analogie die Runde: Das riecht nach Jose Mourinho.

Mourinho, der selbst zu Real-Zeiten sein Spiel auf Destruktivität beschränkte, wenn es der Erfolg notwendig machte. Mourinho, der mit seinem FC Chelsea bei Atletico Madrid am Tag zuvor seinen Teil zu einer aberwitzigen Defensivschlacht beigetragen hatte.

Doch all jene, die in Madrids Taktik die pure Destruktivität erkennen wollten, wurden spätestens in der 19. Minute eines Besseren belehrt.

Da geschah es zum ersten Mal, dass Real Madrid einen seiner brandgefährlichen Konter fuhr - und obendrein auch noch gnadenlos effektiv zu Ende spielte.

Dabei war es längst nicht das einzige Mal. Die Königlichen hatten noch zahlreiche weitere gute Gelegenheiten nach schnellen Gegenstößen, ließen diese aber ungenutzt. Destruktiv? Nein. Pragmatisch.

Guardiolas Vorsichtsmaßnahme

"Es ist doch klar, dass man gegen Bayern eher auf Konter setzt", verteidigte Trainer Carlo Ancelotti seinen Spielstil hinterher. "Fußball bedeutet nicht nur Ballbesitz." Ein Satz, der FCB-Anhängern Kopfschmerzen bereiten dürfte. 72 Prozent Ballbesitz hatten die Bayern als Gastteam im Bernabeu. In der Anfangsviertelstunde waren es mindestens 80 Prozent. Gebracht hat es nichts.

Die Bayern konnten ihre Dominanz, die gerade zu Beginn groteske Züge angenommen hatte, nur selten in Torchancen und nie in Tore ummünzen. Zu träge war die Ballzirkulation im Mittelfeld, zu selten wurde plötzlich Tempo aufgenommen, zu selten das schnelle Vertikalspiel gesucht - insbesondere nach Ballgewinn im Mittelfeld.

Pep Guardiola verteidigte sein vergleichbar tempoarmes Spiel als eine Art Vorsichtsmaßnahme: "Real ist die beste Kontermannschaft der Welt. Je schneller du sie mit Ball angreifst, desto schneller und gefährlicher kommt er zurück."

Zu wenige Ideen, zu wenige Optionen

Er setzte stattdessen auf Bewährtes: Erdrückender Ballbesitz gepaart mit beeindruckender Passicherheit. Doch andere entscheidende Variablen fehlten. Die neuerliche Ideenlosigkeit eines Franck Ribery machte sich ebenso bemerkbar wie der Mangel an Läufen in die Tiefe von Seiten des Mittelfeldtrios, wie es zumindest in der Anfangsviertelstunde in Person von Bastian Schweinsteiger praktiziert wurde.

Die Nebenwirkung: Real boten sich nach schnellem Überbrücken des Mittelfelds enorme Räume im Zentrum. Wohl auch deshalb wurde diese Option schnell wieder beerdigt und Bayerns Offensivspiel damit einer zusätlichen Variante beraubt.

Im Sturmzentrum blieb Mandzukic auf sich allein gestellt. Madrids engmaschiger Defensivverbund erlaubte kaum Anspiele und zwang Bayern damit ein Flügelspiel auf, das insgesamt 40 Flanken hervorbrachte. 40 Flanken in einen von Sergio Ramos und Pepe bewachten Strafraum. Keine der 40 brachte unmittelbare Gefahr.

"Hochkarätig ausgekontert"

Stattdessen mussten sich die Münchner mangelndes Tempo vorwerfen lassen. "Bayern war nicht so dynamisch und druckvoll, wie man es kennt", bemängelte Franz Beckenbauer bei "Sky" und schwärmte zugleich von den Madrilenen, die "viel gefährlicher als die Bayern mit ihrem überlegenen Ballbesitz" seien.

Besonders die schnellen Gegenstöße der Königlichen haben beim Kaiser Eindruck hinterlassen: "Sie haben das Tempo gewechselt, wie sie wollten. Die Bayern sind einige Male hochkarätig ausgekontert worden", so Beckenbauers Diagnose.

Jerome Boateng wiederum verteidigte den Auftritt seiner Mannschaft: "90 Minuten kann man so eine Weltklasse-Mannschaft nicht aufhalten", so der Innenverteidiger, der bemüht war klarzustellen: "Wir haben nicht bei irgendeiner Gurkenmannschaft gespielt. Das war Real Madrid!"

Opfer des eigenen Erfolgs

Doch in der öffentlichen Wahrnehmung ist selbst ein solch dominanter Auftritt im Bernabeu mittlerweile für einen FC Bayern, den Titelverteidiger, unzureichend. Noch vor Jahren wäre alleine der Halbfinaleinzug ein Erfolg gewesen. Diese Saison scheint es nach drei Finalteilnahmen in den letzten vier Jahren auf internationaler Ebene der Mindestanspruch zu sein.

Die Bayern werden langsam zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. Schon seit Wochen wird über die Form der Münchner debattiert und ihr Auftreten kritisiert. Dabei darf man nicht vergessen: Die Niederlage in Madrid war in der bisherigen Saison die einzige von Relevanz.

Und selbst die könnte mit einem erfolgreichen Rückspiel schnell in Vergessenheit geraten.

Real Madrid - Bayern München: Die Statistik zum Spiel

Artikel und Videos zum Thema