Fußball brutal

Von Für SPOX in Dortmund: Jochen Tittmar
Nach dem herausragenden Erfolg gegen Real feiert die Dortmunder mit den Fans
© getty

Borussia Dortmund lieferte beim 4:1-Sieg gegen Real Madrid eine grandiose Antwort auf die Turbulenzen des Vortages ab. Besonders das hervorragende Gegenpressing zog den Königlichen den Zahn, für Jose Mourinho setzte es gleich zwei Negativrekorde. Die vier Tore von Robert Lewandowski ließen Trainer Jürgen Klopp euphorischer werden als den Polen selbst.

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Bestünde die Möglichkeit, dass ein vollkommen Unbeteiligter unbehelligt durch die Mixed Zone eines Fußballstadions latschen könnte, er oder sie hätte am späten Mittwochabend keinerlei Unterschied in Gestik und Mimik zwischen Cristiano Ronaldo und Robert Lewandowski ausmachen können.

Ronaldo ging nach der Partie, die sein Team Real Madrid soeben mit 1:4 gegen Borussia Dortmund verlor, mit ernster Miene an den wartenden Journalisten vorbei. Klar, an ihm nagte ja auch diese kolossale Pleite, die Real mit nur wenig Gegenwehr über sich ergehen lassen musste.

Ein paar Minuten später tauchte Lewandowski aus den Katakomben auf. Hätte der Unbeteiligte den Worten des Polen nicht lauschen können, es wäre unmöglich gewesen, Sieger von Verlierer zu trennen.

Lewandowski stand in Pulli und Jogginghose vor den Mikrofonen und beantwortete mit fast versteinerter Miene die Frage, wer außer Lionel Messi schon einmal vier Tore in einem Champions-League-Spiel schoss. "Ich habe keine Ahnung", sagte der Stürmer und erinnerte sich dabei offensichtlich nicht an die vier Buden, die Bayerns Mario Gomez zuletzt im März 2012 zum 7:0 gegen Basel beisteuerte.

Lewy: "Alles noch realisieren"

Natürlich aber freute sich Lewandowski über seine bärenstarke Leistung in diesem Halbfinale. Es liegt jedoch nicht in seiner Natur, deshalb einen Tanz aufzuführen. So stand er also da, die Emotionen so tief vergraben wie seine Hände in den Hosentaschen, und sagte das, wovon auszugehen war, was von weitem aber nicht erkennbar gewesen wäre: "Das war nicht nur für mich, sondern auch für die ganze Mannschaft richtig geil: 4:1 gegen Real Madrid! Ich muss jetzt erst einmal nach Hause gehen, um das alles zu realisieren. Ich bin stolz auf mich und die Mannschaft."

Die hatte in den 90 Minuten zuvor auf beeindruckende Art und Weise belegt, dass das Ende ihrer Entwicklung weiterhin noch nicht auszumachen ist. Wer Real Madrid dermaßen in Schach hält, wer einen solch schlicht genialen Vollstrecker wie Lewandowski in seinen Reihen weiß, der muss nach dieser Demonstration der eigenen Stärke auch den Weg ins Finale nach London finden.

Die Bremse hauten selbstverständlich - und auch richtigerweise - gleich alle Beteiligten rein. Nur die halbe Miete sei dieser Triumph gewesen, so lassen sich die Aussagen der Schwarzgelben zusammenfassen.

In der Theorie ist Madrid ein 3:0 im Santiago Bernabeu auch zuzutrauen. Doch wie der BVB den turbulenten Ereignissen rund um den Transfer von Mario Götze und weiteren Spekulationen um die Zukunft von Mats Hummels und Robert Lewandowski auf dem Rasen entgegen trat, war ein Statement der besonderen Art und legt den Schluss nahe, dass diese Truppe den Vorsprung auch in Spanien über die Zeit bringen wird.

Höchste CL-Pleite für Mourinho

"Das war ein unglaublicher Abend, das war Fußball total, das war brutal. Wir waren kaum aufzuhalten. Was Lewy für Tore gemacht hat! Das dritte, so etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen", jubelte Trainer Jürgen Klopp.

Für Real-Coach Jose Mourinho setzte es die höchste Champions-League-Niederlage seiner Trainerkarriere, nie zuvor kassierte eines seiner Teams vier Gegentreffer. Doch vor allem wird sich seine Mannschaft nur selten einem solchen Gegenpressing gegenüber gesehen haben.

Dies sei ohnehin der beste Spielmacher, philosophierte Klopp schon vor Monaten und zog damit Real im Grunde schon das dritte Mal in Serie den Zahn. Dortmund reagierte auf Ballgewinne der Königlichen dermaßen stark, dass der Auftritt der Spanier oft Züge der Lustlosigkeit annahm.

Gündogan hemmt Alonso

Der immer stärker werdende Ilkay Gündogan neutralisierte Taktgeber Xabi Alonso so sehr, dass dieser unter dem Strich nicht nur sehr schwach spielte, sondern trotz seiner Klasse auch gar keine Alternativlösungen parat hatte, um Reals Angriffsbemühungen Kontur zu verleihen.

Das "Jetzt-erst-recht"-Motto, dass der Verein nach dem Ärgernis um Götze ausgab, machte aus der Melange zwischen Zuschauern und Spielern Dortmunder Wutbürger, die ihre Klasse von den Rängen und auf dem Feld über ein letztlich hilfloses Real Madrid ergossen.

"Das war der vorläufige Höhepunkt für uns. Das Spiel heute setzt vielen fantastischen Partien von uns die Krone auf", sagte Kapitän Sebastian Kehl.

Ronaldos Treffer als Wermutstropfen

Wenn es überhaupt etwas zu beanstanden gab an dem nach Malaga nächsten denkwürdigen Champions-League-Abend in Dortmund, dann das Gegentor durch Ronaldo.

Nur wenige Spielszenen vor dem katastrophalen Rückpass von Mats Hummels, der dem Portugiesen den zwischenzeitlichen Ausgleich schenkte, reklamierten die Schwarzgelben Elfmeter nach einem jedoch regelgerechten Zweikampf zwischen Marco Reus und Raphael Varane. Wie schon in der Liga nach Platzverweisen oder nicht gegebenen Elfmetern gesehen, schaffte es Dortmund in der Folge auch hier nicht, die Aufgebrachtheit zu unterdrücken und ließ das Spiel - auch mit Ball - für kurze Zeit (zu) wild werden.

Pausenpfiff zur rechten Zeit

Der Pausenpfiff brachte die Borussia wieder auf die in Großteilen der ersten Halbzeit gefundene Linie zurück. Dazu kam die Treffsicherheit von Lewandowski ins Spiel, dessen Tor zum 3:1 demonstrierte, weshalb ihn wohl jeder Klub der Welt gerne verpflichten würde.

"Dieses Tor war jeden Cent wert, den Sky und ZDF für die Übertragungsrechte bezahlen", geilte sich Klopp an diesem Treffer auf, nicht ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass auch ihm schon einmal vier Tore in einer Partie gelangen. "Gegen Rot-Weiß Erfurt war das", schob Klopp hinterher.

Nach dem Doublesieg 2012 stellte der Mann des Abends in einem seiner wenigen Interviews die rhetorische Frage, was er mit dem BVB jetzt überhaupt noch erreichen könne. Torschützenkönig der Bundesliga zu werden und die Champions League zu gewinnen, wären die Antworten gewesen, die auf seiner Visitenkarte noch gefehlt hätten. Spätestens in vier Wochen könnte Lewandowski sie beantwortet haben.

Borussia Dortmund - Real Madrid: Daten und Fakten