Wo sind die Bayern hin?

Von Florian Bogner
Der FC Bayern München steht nach dem 1:2 in Bordeaux nur noch auf Platz drei der Gruppe A
© Imago

Nach dem chaotischen 1:2 bei Girondins Bordeaux steht erneut ein Bayern-Trainer unter Ergebnis-Druck. Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Rummenigge und Mark van Bommel schwingen sich zu den Chefkritikern des fragilen Bayern-Konstrukts auf. Die Spieler flüchten sich in Zweckoptimismus.

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Ein nettes Plaudereck hatten sie da in Bordeaux aufgemacht, Bixente Lizarazu und Uli Hoeneß. Die alten Weggefährten schwelgten vor dem Champions-League-Spiel der Bayern in alten Zeiten, schließlich hatten beide mit dem FC Bayern 2001 den Pott mit den großen Ohren gewonnen.

Derart von Erinnerungen ergriffen, entfuhr Hoeneß der Satz: "Wenn alle Spieler gesund sind, können wir in der Champions League eine große Überraschung schaffen."

Rund zwei Stunden später musste dann Karl-Heinz Rummenigge Rede und Antwort stehen. Die Bayern hatten ein chaotisches Spiel 1:2 verloren und waren in Gruppe A auf den dritten Tabellenplatz abgerutscht. Und Rummenigge hörte man sagen: "Mit dem, was wir heute abgeliefert haben, kann man in der Champions League nicht bestehen."

Van Bommel sehr selbstkritisch

Dazwischen lag ein Spiel, das verdeutlicht hatte, welch breiter Graben beim FC Bayern derzeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft. Der FCB hatte ein Spiel gegen einen guten, aber international doch eher unerfahrenen Gegner verloren, weil er ihn nach dem geschenkten 1:0 selbst stark gemacht hatte.

Durch zu viele Fehlpässe, zu viele Fouls, einen unnötig frühen Platzverweis und peinliche Fehler bei Standardsituationen. Kapitän Mark van Bommel formulierte es so: "Das war einer Spitzenmannschaft nicht würdig."

Vor allem spielerisch war es ein Rückfall. Ohne die verletzten Künstler Franck Ribery und Arjen Robben wirkte die Bayern-Elf im Spiel nach vorne zu berechenbar, der Spielaufbau viel zu lethargisch, das wieder mal neu aufgeteilte Mittelfeld uninspiriert. Tempoverschärfungen und offensives Durchsetzungsvermögen: Fehlanzeige. Eine Mannschaft im Rohbau.

Selbstzweifel statt Dominanz

Chefkritiker Rummenigge zur ersten Halbzeit: "Wir haben alles vermissen lassen: Laufbereitschaft, kämpferischen Einsatz, Cleverness." Und van Bommel musste hinterher konstatieren: "Im Nachhinein müssen wir froh sein, dass es nur 1:2 ausging."

Eben jener van Bommel hatte in der vergangenen Woche mehr Arroganz gefordert, das viel zitierte Bayern-Gen solle mal wieder bemüht werden. Was der Bordeaux-Unfall verdeutlichte: Diesem Team muss die richtige DNA offenbar erst noch injiziert werden.

Die Gegner haben keine Angst mehr vor dem deutschen Rekordmeister, der viel zu oft mit sich selbst beschäftigt ist, statt zu dominieren. Die Hegemonial-Ansprüche der Bayern sind in Liga und Königsklasse nicht mehr haltbar.

"Er ist noch auf der Suche"

Zur Verteidigung der Bayern: Durch Verletzungen von Leistungsträgern wie Ribery, Robben, Luca Toni, Mark van Bommel, Miroslav Klose und Martin Demichelis hatte das Team auch nach vier Monaten van Gaal kaum die Möglichkeit, ein Grundgerüst zu finden.

Dennoch muss sich der Trainer verantworten, wenn sein Team nach über einem Vierteljahr immer noch keine Entwicklung nach vorne gemacht hat. Van Gaal probiert viel, stellt das System je nach Gegner um, bringt neue Leute. Doch wenn seine Maßnahmen das Team eher zu verunsichern scheinen, werden die Handlungen eines Trainers schnell als Aktionismus aufgefasst. "Er ist noch auf der Suche. Es wirkt so, dass er ein klein bisschen ratlos ist", meinte Beckenbauer wie zum Beweis.

Gegen Bordeaux rückte van Gaal sogar von einem seiner Lieblingsprinzipien - "Lahm spielt bei mir immer rechts" - ab, um auf die Verletzung von Edson Braafheid zu reagieren. Heraus kam das schlechteste Spiel von Philipp Lahm in dieser Saison. "Offensichtlich sind wir im Moment nicht stabil", musste Rummenigge später konstatieren.

Van Gaal ist mit der Prämisse angetreten, dem Team innerhalb von ein bis zwei Jahren seinen Stempel aufzudrücken. Das hatte sich auch ein gewisser Jürgen Klinsmann auf die Fahnen geschrieben. Auch wenn der Vergleich hinken mag: Unter Klinsmann hatte der FCB zum selben Zeitpunkt der vergangenen Saison ein Spiel mehr gewonnen.

Müller: "Habe dem Verein geschadet"

Auffällig war in Bordeaux die Häufung von individuellen Fehlern. Beim Eckball vor dem 1:1 stand Thomas Müller zu weit weg vom Torschützen Mickael Ciani, dazu stand am kurzen Pfosten der Bayern keiner. Van Bommel: "Jörg Butt will nicht, dass dort jemand steht."

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Dass Müller sich dann nach 30 Minuten nach zwei überharten Fouls in des Gegners Hälfte mit Gelb-Rot verabschiedete, war schlichtweg dumm. Niemandem war das mehr bewusst als Müller selbst. "Ich habe mich bei der Mannschaft entschuldigt, weil ich ihr und dem Verein mit dieser dummen Aktion geschadet habe", meinte er später kleinlaut.

Und Luca Toni, der erneut den Vorzug vor Mario Gomez erhielt, brachte zu allem Überfluss in der zweiten Halbzeit auch noch das Kunststück fertig, aus vier Metern nur den Pfosten des leeren Tores zu treffen. Van Gaals treffender Kommentar: "Unglaublich!"

Lahm hofft aufs Rückspiel

Das einzig Gute aus Bayern-Sicht an diesem Abend: Das Achtelfinale haben die Münchner weiter in eigener Hand, dazu müssen aber die beiden Heimspiele gegen Bordeaux und Haifa gewonnen und in Turin möglichst Unentschieden gespielt werden.

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"Wir wissen: Wenn wir Bordeaux zuhause schlagen, sind wir vor ihnen", meinte Lahm, ein wenig Zweckoptimismus verbreitend.

Der anfangs noch so freudige Uli Hoeneß hatte sich da schon aus dem Staub gemacht. Vielleicht dachte er weiter über 2001 nach. Denn auch damals hatten die Bayern in der Champions League erst nach einer Götterdämmerung in Frankreich (0:3 in Lyon) die Kurve gekriegt. Der Rest ist bekannt.

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