Clement Lenglet beim FC Barcelona: Der Lern-Weltmeister

Von Oliver Maywurm
Clement Lenglet spielt beim FC Barcelona.
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Eigentlich galt Clement Lenglet beim FC Barcelona als Perspektivspieler, nun vor dem Halbfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Liverpool (21 Uhr live auf DAZN) ist er schon unverzichtbar. Weil er schnell lernt - und das schon immer.

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Ein bisschen Zahn hatte Clement Lenglet verloren. Doch das war es wert. "Ich wäre glücklich, auch weiterhin ein bisschen Zahn verlieren zu dürfen, wenn es dann so läuft", sagte der Innenverteidiger des FC Barcelona nach dem vielleicht größten Spiel seiner bisherigen Karriere.

Lenglet hatte einen schweren Start in das Hinspiel gegen den FC Liverpool im Champions-League-Halbfinale, das Barca am Ende mit 3:0 gewann. Mohamed Salah machte dem Franzosen mit seiner Geschwindigkeit und seinen flinken Bewegungen das Leben schwer. "In den ersten 20 Minuten musste ich erst einmal abwägen, wieviel Raum ich Salah gewähren darf. Man muss aufpassen, dass keine Pässe in die Tiefe gespielt werden, gleichzeitig aber auch eng am Mann sein", analysierte Lenglet.

Typisch nüchtern für ihn, typisch lernwillig für ihn. Nach der Anfangsphase, in der ihm Salah einige Male entwischte, fand der 23-Jährige besser in die Partie. "Mir fiel es nach und nach leichter, mich richtig zu positionieren und zu analysieren, wie nah ich dran sein muss, damit er so oft es geht mit dem Rücken zum Tor agieren muss. Zudem musste ich schauen, wie ich - wenn er sich doch drehen kann - ein bisschen das Tempo heraus nehme, um Hilfe von meinen Teamkollegen zu bekommen."

Lenglet saugt gerne alles auf, was ihm nützlich sein kann. Das war schon immer so. Und das ist die Grundvoraussetzung für das, was er inzwischen erreicht hat: Stammspieler bei Barca, seinen Landsmann Samuel Umtiti aus der Abwehrzentrale verdrängt. Und irgendwie haben es die meisten gar nicht so richtig mitbekommen. Auch typisch Lenglet.

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Clement Lenglet: Ehrenpräsident beim Ex-Klub seines Vaters

Die Glitzerwelt, die den Profifußball immer stärker einnimmt, ist ihm fremd. Lenglet ist bodenständig, Fotos von teuren Autos oder exquisiten Partys sucht man auf seinen Social-Media-Accounts vergeblich. Stattdessen sieht man ihn dort, wie er seine alten Jugendtrainer besucht oder wie er als Ehrenpräsident des Vereins, bei dem sein Vater einst Trainer war, bei einem Nachwuchsturnier mit den Kids posiert.

Lenglet kommt aus dem Norden Frankreichs. Geboren in der Kleinstadt Beauvais, kickte er noch vergleichsweise lange für kleine Klubs der Region. Eine bewusste Entscheidung seines Vaters Sebastien, der früher selbst auf ordentlichem Niveau Fußball spielte. "Bis zu einem gewissen Alter müssen die Jungs vor allem Spaß am Fußball haben. Man darf sie nicht verheizen", erklärt Papa Lenglet.

Mit zwölf Jahren schickte er Clement schließlich zumindest zu einem etwas größeren Verein nach Chantilly. Sylvain Dorard, einer seiner Jugendtrainer dort, erinnerte sich in der Regionalzeitung Courrier Picard einmal, wie er dem heutigen Barca-Star, der zuvor für gewöhnlich noch deutlich offensiver eingesetzt wurde, defensive Disziplin eintrichterte: "In seinem ersten Spiel stellte ich ihn hinten links auf und ich erinnere mich noch, wie ich ihm in den ersten 45 Minuten förmlich einprügelte, wie er seine Position zu halten hatte. Er hat es dann schnell kapiert - und das war auch schon immer eine seiner großen Stärken. Er hört gut zu und nimmt schnell auf, was man von ihm will."

Vor einigen Wochen war Dorard auf Einladung seines früheren Schützlings beim Clasico, sah Lenglet neben Gerard Pique gegen Real Madrid auftrumpfen. "Ich hatte den Eindruck, dass ich da den gleichen Spieler sehe, den ich in Chantilly damals trainiert habe. Mit den gleichen Qualitäten - nur natürlich auf ein unglaubliches Niveau weiterentwickelt", sagt Dorard.

Barca-Star Clement Lenglet: Mit 15 nach Nancy

Erst nach drei Jahren in Chantilly, mit 15, sah Lenglets Vater die Zeit reif, dass sein Sohn in die Akademie eines Profiklubs wechselt. Die AS Nancy, gut 400 Kilometer nach Osten von Lenglets Heimatort entfernt, sollte es sein.

Ein Verein, in jüngerer Vergangenheit immer wieder zwischen Ligue 1 und Ligue 2 pendelnd und aktuell zweitklassig, der aber durchaus bekannt ist für gute Jugendarbeit. Der große Michel Platini feierte hier in den 1970er Jahren seinen Durchbruch, zuletzt brachte die AS unter anderem den marokkanischen Nationalspieler Youssef Ait Bennasser oder Gladbachs Michael Cuisance hervor. Und eben Lenglet.

Wie der sich entwickelt hat, seit er mit 15 nach Nancy kam, ist atemberaubend. Er wurde französischer Junioren-Nationalspieler, reifte dort an der Seite von Anthony Martial, Thomas Lemar oder Adrien Rabiot, mit dem er nach wie vor gut befreundet ist. Mit 18 hatte Lenglet seine ersten Einsätze für Nancys Profis in der zweiten Liga, mit 19 wurde er Stammspieler. Er durchlief die harte Schule, die raue Gangart der zweiten französischen Spielklasse, spielte gegen Klubs wie Red Star FC vor nicht viel mehr als 2.000 Zuschauern.

Inzwischen sind über 90.000 im Camp Nou Alltag für ihn. Oder magische Nächte im Old Trafford. Dort, wo er 2018 im Achtelfinale der Champions League noch mit dem FC Sevilla die Red Devils aus Manchester rauskegelte und Gleiches gut ein Jahr später im Viertelfinale mit Barca wiederholte. So, als hätte er nie etwas anderes getan.

"Wenn man mir vor drei Jahren erzählt hätte, dass er mal bei Barcelona spielt, hätte ich das nicht geglaubt", gab Lenglets Vater zuletzt zu. "Die ganze Familie realisiert das manchmal noch gar nicht, auch wenn so viele Menschen mit uns darüber sprechen wollen. Aber Clement bleibt bei all dem Rummel sehr ruhig. Er ist ohnehin eher der häusliche Typ."

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Clement Lenglet bei Barca: Einen Weltmeister verdrängt

"Ich bin sehr gerne zuhause", sagte Lenglet selbst auch letzten Sommer in seinem Vorstellungs-Interview bei Barca. Rund 36 Millionen Euro hatten die Katalanen für ihn nach Sevilla überwiesen, wo er Anfang 2017 auf Anhieb eingeschlagen hatte und sich in eineinhalb Jahren zu einem der Innenverteidiger-Geheimtipps Europas mauserte.

Eigentlich kam er als Perspektivspieler zu Barca, als langfristige Alternative zum allmählich in die Jahre kommenden Gerard Pique. Doch weil sich Samuel Umtiti im September verletzte, brauchte Ernesto Valverde Lenglet schon früher als vollwertige Kraft. Und wie so oft stellte er sich problemlos darauf ein, überzeugte so sehr, dass er auch seit Umtitis Rückkehr im Februar in den wichtigen Partien stets den Vorzug vor dem Weltmeister erhält.

Lenglets Anlagen kommen ihm sicherlich entgegen, sind diese doch prädestiniert für Barca-Fußball: Spielintelligenz, Antizipationsgabe, exzellentes Passspiel, gute Technik und auch mal Mut in der Spieleröffnung. "Die Spieler, die neu zu uns kommen, müssen sich unserem speziellen Stil anpassen. Vor allem für Verteidiger ist das nicht einfach, da wir oft sehr riskant spielen. Wir wussten von vorneherein, dass er technisch ein gutes Level hat, aber er ist auch stark im Eins-gegen-Eins und weiß, wie er sich auf ein Spiel fokussieren muss", lobte Valverde seinen Neuzugang aus Andalusien schon im November.

Das Rückspiel gegen Liverpool an der Anfield Road am Dienstag (21 Uhr live auf DAZN) wird die nächste große Bewährungsprobe für Lenglet. Für ihn, der in den ganz großen Momenten bisher stets da war. Nicht nur in der Königsklasse, auch in den vier Clasicos dieser Saison imponierte er stets.

Nach einem jener glanzvoller Duelle gegen den Erzrivalen schickte ihm Jean Michel-Rouet per SMS seine Glückwünsche. Rouet ist ein alter Bekannter seines Vaters, zudem Vizepräsident des Klubs, in dessen U18 Lenglets Bruder Nathan gerade spielt. "Zu meiner Überraschung schickte er mir nicht einmal fünf Minuten später eine Antwort zurück", erzählte Rouet dem Courrier Picard . "Ein Spieler von Barca, der dir aus der Kabine direkt nach dem Clasico eine so sympatische SMS schickt - das kommt nur selten vor. Und es zeigt, dass dieser Junge ganz einfach und nah bei seinen Wurzeln geblieben ist."

Man hat das Gefühl, dass Lenglet gerade alle stolz macht, die auch nur im Entferntesten etwas mit seinem Werdegang zu tun hatten. Weil er sich nie für wichtiger hält, als er ist. Weil er die Demut nie verliert. Typisch Lenglet eben. Und irgendwie halt auch typisch Barca.

Clement Lenglet im Steckbrief

geboren (Alter)17. Juni 1995 (23) in Beauvais, Frankreich
Größe1,86 m
PositionVerteidigung
starker Fußlinks
StationenAS Nancy, FC Sevilla, FC Barcelona
Spiele/Tore (Barcelona)20/0
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