Organisch gewachsen

Christian Pulisic ist beim BVB drauf und dran, Stammspieler zu werden
© getty

2014 wagte Christian Pulisic im Alter von 15 Jahren den Schritt über den großen Teich und wechselte aus den USA zu Borussia Dortmund. Seitdem hat der Offensivspieler eine fast beispiellose Entwicklung hingelegt - und steht nun vor dem Sprung zum Stammspieler beim BVB.

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Luftlinie sind es 6262 Kilometer, die Hershey und Dortmund trennen. Überbrückt man als 15-Jähriger diese Distanz und beginnt ohne Mutter und Geschwister an einem unbekannten Ort ein neues Leben, ist das auch Jahre später noch ein triftiger Grund für ausgeprägtes Heimweh.

"Das war die härteste Sache, die ich in meinem bisherigen Leben getan habe. Es ist auch immer noch sehr schwierig für mich, ich vermisse meine Heimat jeden Tag", sagt Christian Pulisic daher auch heute noch.

Als Pulisic im Sommer 2014 in Begleitung seines Vaters Mark zu Borussia Dortmund wechselte, entstand relativ zügig eine innige Freundschaft mit Felix Passlack, einem echten Ruhrpottler. In den beiden ersten gemeinsamen Jahren wurden Pulisic und Passlack mit der B- und A-Jugend jeweils deutscher Meister.

Pulisic und die große Chance zum Stammspieler beim BVB

Die Entwicklung der beiden verlief beinahe auf einer Linie. Nun aber, drei Jahre nach Pulisics Umzug, trennen sich erstmals die Wege. Passlack hat sich beim neuen BVB-Trainer Peter Bosz nicht empfehlen können, er wurde für zwei Spielzeiten zur TSG 1899 Hoffenheim ausgeliehen.

Passlack muss also einen Umweg gehen, der für Pulisic nicht (mehr) in Frage kommt. Ein bisschen vermissen wird Pulisic seinen Kumpel künftig mit Sicherheit. Andererseits dürfte für ausreichend Ablenkung beim US-Amerikaner gesorgt sein: Er hat aktuell die größte Chance seit seiner Zeit bei den Profis, dauerhaft den Sprung zum Stammspieler zu schaffen.

Warum dies so ist, hängt auch mit den zwei Planstellen zusammen, die durch den Wechsel von Ousmane Dembele zum FC Barcelona und die lange Verletzung von Marco Reus vakant geworden sind. Dass Pulisic dafür jedoch überhaupt ein Kandidat ist, liegt ausschließlich an seiner geradlinigen Entwicklung der letzten Jahre.

Pulisic ist organisch gewachsen

Der Fußballer Pulisic ist beinahe beispielhaft organisch gewachsen, eine gewisse Frühreife als Persönlichkeit bringt er bereits seit längerer Zeit mit. Ein glücklicher Umstand, wenn man bedenkt, dass der BVB zu Pulisic kam wie die Jungfrau zum Kinde.

Der ursprüngliche Plan, im Januar 2014 bei einem Jugendturnier in der Türkei den heutigen Schalker Haji Wright zu scouten, wurde obsolet, als die Dortmunder Pulisic zu Gesicht bekamen. Ein halbes Jahr später waren der Transfer und der Umzug ins Nachwuchsleistungszentrum des BVB realisiert.

Dort ging Pulisic in den Nachwuchsteams der Borussia zunächst quasi unentdeckt seinen Weg, ließ jedoch auf Anhieb mit starken Tor- und Scorerwerten aufhorchen. Unter Ex-Coach Jürgen Klopp schnupperte er erstmalig Profiluft, als er immer wieder bei den Trainingseinheiten der ersten Mannschaft mitwirken durfte. Klopp reagierte begeistert und stellte Pulisic ein echtes Qualitätsmerkmal aus, da er schon damals "im intensiven Training auf engen Räumen nicht negativ aufgefallen" ist.

Großer Pulisic-Hype in den USA

Die finale Förderung fiel schließlich in den Aufgabenbereich von Thomas Tuchel, unter dem Pulisic Ende Januar 2016 in der Bundesliga debütierte und zum achtjüngsten Spieler aller Zeiten avancierte. Keine vier Monate später war Pulisic bereits jüngster Bundesligaspieler mit zwei erzielten Toren (17 Jahre, 218 Tage).

Dies beförderte in seinem Heimatland einen Hype, der bis heute nicht abgeflaut ist, sondern eher noch wächst. Pulisic, der kurz nach seinem Debüt in der Bundesliga auch erstmals das Trikot des US-Nationalteams überstreifen durfte, gilt in den Staaten als großes Versprechen für die Zukunft. Die amerikanischen Experten stritten sich schnell darüber, ob dieser Bursche nicht gar das größte in der Fußballgeschichte des Landes sei.

Beachtliche 43 Pflichtspieleinsätze (fünf Tore, 13 Assists) gönnte ihm Tuchel im Vorjahr, doch Pulisic blieb zugleich auch ein wenig im Status des exzellenten Einwechselspielers haften. Das ergab Sinn, denn Pulisic benötigte bei seinen Kurz-Einsätzen kaum Anlaufzeit, war sofort drin im Spiel und brachte gegen müde werdende Gegner viel Dynamik und Tempo ein. Beispielhaft sei hier das vergangene Pokalfinale in Berlin erwähnt, als er in 45 Minuten Spielzeit zu einem der besten Dortmunder avancierte und den spielentscheidenden Elfmeter zum 2:1-Sieg herausholte.

Pulisic: "Ich bin sehr glücklich in Dortmund"

Diesen steilen Aufstieg registrierten natürlich auch andere europäische Spitzenteams, sodass Pulisic schnell einige Angebote vorlagen und er auch vor der zweiten Spielzeit unter Tuchel seine Perspektiven überdachte. Besonders Klopp und der FC Liverpool baggerten heftig an ihm.

Pulisic ließ sich bei all dem, was da in kurzer Zeit auf ihn einstürzte, jedoch nie den Kopf verdrehen. "Ich denke nicht über einen Vereinswechsel nach. Schließlich habe ich meinen Vertrag erst Anfang des Jahres bis 2020 verlängert", sagte er und formulierte klar: "Mein nächstes Ziel ist es, konstant zu spielen. Die vergangene Saison war ein guter Schritt in meiner Entwicklung, darauf möchte ich aufbauen. Ich bin sehr glücklich in Dortmund."

Diese demütige Haltung, mit der Dembele-Erfahrung im Hinterkopf könnte man aus BVB-Sicht auch vorbildliche Einstellung dazu sagen, unterscheidet sich angenehm von vielen vergleichbaren Talenten seines Alters, denen oftmals schlicht die Geduld für die nötigen Zwischenschritte in der persönlichen Entwicklung fehlt.

Entwicklung im Dauerbetrieb aufrecht erhalten

Pulisic dagegen wirkt mit jeder Spielminute und gesammelten Erfahrung erwachsener. Das gilt auch für sein Auftreten außerhalb der Stadien. Sein Deutsch konnte sich schon früh sehen lassen. Ein dezentes Tattoo auf dem linken Unterarm ist alles, was er zur Schau stellt. Peinlichkeiten in den sozialen Netzwerken oder anderweitige Skandälchen? Gleich null.

Womöglich sind es neben seinem fußballerischen Können diese geerdeten Charaktereigenschaften, die ihn mit Bosz auch beim dritten Trainer in Folge beliebt machen. Pulisic, der Dribbler und Vorlagengeber, ist nun erstmals richtig drin in der Mannschaft und es scheint vorerst kein plausibler Grund in Sicht, weshalb sich daran etwas ändern sollte.

Es gilt für ihn in den kommenden Wochen, wenn der BVB in Phase zwei der Saison startet und sich ein Spiel ans andere reiht, die Konstanz seiner Entwicklung auch im Dauerbetrieb aufrecht zu erhalten. Das könnte für Pulisic durchaus eine Umstellung werden. Es würde aber eigentlich überraschen, sollte er nicht auch dabei die richtige Balance finden.

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