"Einen Deutschen bräuchte ich nicht"

Der Atletico-Fanklub "Pena Atletica Centuria Germana" zählt mehr als hundert Mitglieder
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Andre Kahle ist der Präsident des ersten deutschen Atletico-Fanklubs "Pena Atletica Centuria Germana" (Die deutsche Hundertschaft). Der Hannoveraner spricht im Interview über die Wahrnehmung des Vereins, unfaire Berichterstattung und erklärt Parallelen zu Schalke 04 oder 1860 München.

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SPOX: Eine zehn Jahre alte Werbung zeigt folgendes Szenario: Ein kleiner, neugieriger Junge fragt seinen Vater: Porque somos del Atleti? Warum sind wir Atletico-Fans? Dem fällt keine schnelle Antwort ein.

Andre Kahle: Das war damals nach dem Wiederaufstieg nicht einfach zu erklären. Atletico war fernab von Erfolg. In Madrid spielten die Galaktischen. Warum sollte man als Kind Fan von Atletico werden?

SPOX: Ja, warum?

Kahle: Dieses Gefühl. Man kann es nicht erklären. Der einfache Weg war Real oder Barca. Heute haben die Kinder Atletico-Rucksäcke, Trikots und Federmäppchen. Heute ist der Klub eben erfolgreich. Dennoch ist es immer noch etwas Besonderes, Atletico-Fan zu sein.

SPOX: Heute kommen solche Fragen also nicht mehr vor?

Kahle: Was heute wichtig ist, um junge Fans dazu zu gewinnen, ist ein FIFA-Cover, eine gute FIFA-Mannschaft und eine regelmäßige Champions-League-Teilnahme. Aber Atletico ist mehr. Damals waren die Anhänger noch Sufridores, also Leidende. Es steckt eine große Geschichte hinter dem Verein. Atletico ist ein Gefühl.

SPOX: Spanische Atletico-Fans sind nachvollziehbar. Meist ist die Heimatstadt der Lieblingsverein. Wieso ist es bei Ihnen nicht Hannover 96?

Kahle: Ich bin in der 3. Liga mit Hannover herumgereist. Ich habe Städte gesehen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Mein Heimatverein ist Hannover 96, aber der Verein meines Herzens ist Atletico geworden. Diese Herzlichkeit, diese Offenheit, diese Stimmung. Das kannte ich nicht. Ich bin vom "virus rojiblanco" infiziert.

SPOX: Als Deutscher.

Kahle: Haben Sie eine Frau? Da ist es genauso. Sie können einzelne Sachen sagen. Sie sieht gut aus, ist hochintelligent, erfolgreich. Aber Sie können nicht sagen, warum Sie genau diese Frau lieben. So ist es mit dem Verein auch. Atletico ist ein bisschen wie Schalke. Man kann nicht ganz erklären warum, aber wenn man Fan ist, ist man Fan.

SPOX: Der Verein ist Ihre Frau?

Kahle: (lacht) Das ist natürlich nicht zu vergleichen mit der Liebe zu einem Menschen. Aber es ist ein Hobby. Und da braucht es tatsächlich erstmal eine verständnisvolle Ehefrau, die von Fußball wenig Ahnung hat und kein Interesse daran zeigt. Aber die trotzdem die Toleranz mitbringt.

SPOX: Hat Sie die Hingabe zum Klub in anderen Lebensbereichen schon mal eingeschränkt?

Kahle: Nein. Ich richte mein Leben relativ stark nach meiner persönlichen Zufriedenheit aus. Da achte ich schon darauf, alles unter einen Hut zu bringen. Ich bin Lehrer. Da gibt es keinen Urlaub in dem Sinne. Aber ich habe einen sehr verständnisvollen Schulleiter. Dennoch: 2014 musste ich nach Lissabon ins Champions-League-Finale. Hätte ich nicht frei bekommen, hätte ich gekündigt.

SPOX: Zwischen Ihrem Wohnort Detmold und dem Vicente Calderon liegen 1605 Kilometer Luftlinie. Wie oft waren Sie schon im Stadion?

Kahle: So toll es da auch ist, habe ich das Stadion in den vergangenen Jahren eher selten gesehen. Das liegt daran, dass Atletico so erfolgreich ist. Unser Hauptaugenmerk liegt also auf den Auswärtsspielen. Aber wenn beispielsweise der Hauch einer Chance auf den Meistertitel besteht, muss ich runter.

SPOX: Was zeichnet Atletico als Mannschaft aus?

Kahle: Partido a partido - Spiel für Spiel. Und natürlich eine Geschlossenheit, die ich bisher bei keiner Mannschaft in Europa so gesehen habe.

SPOX: Stichwort Geschlossenheit. Atletico ist gefürchtet für die überragende Defensivarbeit. Da bleiben offensive Kunststücke oft aus. Ist es nicht schwierig, einen Verein zu lieben, der solch einen Fußball spielt?

Kahle: Die Spielweise ist defensiv ja, aber dennoch taktisch hoch interessant. Außerdem sind immer schöne Konteraktionen dabei. In der Meistersaison von 2014 endeten viele Spiele mit 1:0. Oft wurden diese Partien auch noch durch Standards entschieden. Das ist jetzt nicht so spannend. Aber gerade Tore eines Griezmann oder jetzt von Saul sind einfach schön.

SPOX: Sie haben Atletico einst mit 1860 München verglichen. Das müssen Sie uns erklären.

Kahle: Ja. Aber das hat nichts mit spielerischer Klasse zu tun. (lacht) Vielmehr geht es dabei um das Ansehen von Atletico im Vergleich zu Real in der Stadt. Das kann man ein bisschen mit Bayern und 1860 vergleichen. Damals war es so, dass der TSV in München sehr beliebt war, Bayern dagegen eher außerhalb. So ähnlich ist es in Madrid.

SPOX: Wie viele Atletico-Fans gibt es denn in Deutschland? Wie entwickelt sich das Fanpotenzial hier?

Kahle: Das ist schwer abzuschätzen. Wir zählen im Moment etwa 100 Mitglieder. Das sind auch meist Deutsche. Aber auch hier ansässige Spanier oder Atletico-Sympathisanten melden sich bei uns.

SPOX: Eines der Ziele des Fanklubs ist die "Unterstützung des Vereins Atletico Madrid". Wie sieht das aus?

Kahle: Wir verwalten im Prinzip die europäischen Fanklubs mit. Wenn Freunde aus Polen, Belgien usw. anfragen, besorgen wir denen auch Karten. Die Unterstützung bezieht sich also nicht nur auf das Anfeuern im Stadion, sondern bringt viel strukturelle Arbeit mit sich.

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