Schluss mit Edeljoker

Von Dominik Stenzel
Chicharito wechselte am letzten Tag der Transferperiode zu Bayer Leverkusen
© getty

Kurz vor Ende der Transfperiode überraschte Bayer Leverkusen mit der Verpflichtung von Javier Hernandez. Bei Manchester United und Real Madrid glänzte der Mexikaner als Edeljoker, nun möchte er sich endlich als Stammspieler etablieren. Der Champions-League-Auftakt gegen BATE Borisov (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) bietet Roger Schmidt die erste Gelegenheit, den Neuen an der Seite von Stefan Kießling stürmen zu lassen.

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Roger Schmidt deutete bereits auf der Pressekonferenz vor dem Champions-League-Playoff-Rückspiel gegen Lazio Rom an, dass Bayer Leverkusen noch einmal auf dem Transfermarkt zuschlagen würde. "Wir haben in allen Mannschaftsteilen noch eventuell Optimierungsbedarf, aber nicht zwingend. Wir halten die Augen offen", erklärte der Trainer der Werkself.

Schmidts Aussagen erschienen plausibel: Mit Ömer Toprak, Tin Jedvaj und Charles Aranguiz fielen bei Bayer drei potenzielle Stammkräfte langfristig aus. Besonders in der Innenverteidigung und im defensiven Mittelfeld bestand daher Handlungsbedarf.

Etwas überraschend geschah auf jenen Positionen in den letzten Tagen der Transferperiode nichts mehr - stattdessen legten die Verantwortlichen den Fokus auf die Verstärkung der Offensive.

Der Grund dafür war der Abgang von Heung-Min Son. Der Südkoreaner, der sich bei Bayer zum Schlüsselspieler entwickelt hatte, wechselte einen Tag nach der Partie gegen Lazio für rund 30 Millionen Euro zu den Tottenham Hotspur.

Bayer reagierte umgehend: Von Borussia Dortmund wurde Kevin Kampl, der ähnliche Anlagen wie Son besitzt, verpflichtet. Der 24-Jährige verfügt zweifellos über großes Potenzial, beim BVB hatte er jedoch mit Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen und konnte sich noch nicht nachhaltig in der Bundesliga durchsetzen.

Völler: "Bundesliga kann sich freuen"

Auch aus diesem Grund hielt Bayer weiter Ausschau nach einem Angreifer. Gerüchte um eine Verpflichtung von Salzburgs Jonatan Soriano hielten sich hartnäckig, kurz vor Ende der Wechselfrist überraschte Bayer jedoch mit einem echten Transfercoup.

Javier Hernandez, auch unter seinem Spitznamen Chicharito ("Kleine Erbse") bekannt, wechselte für rund elf Millionen Euro nach Leverkusen. Eigentlich ein untypischer Transfer für die Rheinländer: In den vergangenen Jahren wurden hauptsächlich Perspektivspieler unter Vertrag genommen, die sich bei Bayer entwickeln sollten. Mit Chicharito kam nun jedoch ein klangvoller Namen, der sich bereits auf Topniveau bewiesen hat.

"Die Bundesliga kann sich auf einen tollen Spieler freuen", sagte Sportdirektor Rudi Völler nach der Unterschrift des Mexikaners. In seiner Heimat ist Hernandez, dessen Vater und Großvater ebenfalls Fußballprofis waren, ein Volksheld. Das bekam auch sein neuer Arbeitgeber zu spüren: Der Server des Bayer-Online-Shops brach zusammen, kurz nachdem Chicharitos Trikot mit der Nummer sieben angeboten wurde. Es rauschten schlicht zu viele Anfragen aus Mexiko und den USA rein.

Starke Premierensaison bei United

Den Sprung nach Europa wagte Chicharito vor fünf Jahren, als er von Deportivo Guadalajara zu Manchester United wechselte. Dort entwickelte er sich schnell zum Publikumsliebling und überzeugte auch sportlich: Hernandez war der erste United-Spieler seit Ruud van Nistelrooy, dem in seiner ersten Saison mehr als 20 Treffer gelangen. Als Belohnung wurde er am Ende der Spielzeit von den Fans zum Spieler des Jahres gewählt.

Nach der Verpflichtung von Robin van Persie 2012 sanken Chicharitos Einsatzzeiten rapide, in der Regel war er nur noch als Joker gefragt. Nach 103 Premier-League-Partien, in denen ihm 37 Treffer und zwölf Vorlagen gelangen, folgte 2014 eine einjährige Leihe zu Real Madrid. Doch auch bei den Königlichen fand sich Chicharito meist auf der Bank wieder. Dabei wusste er durchaus zu überzeugen, wenn er auf dem Platz stand: In 855 Einsatzminuten in LaLiga gelangen Chicharito sieben Tore und sieben Vorlagen.

Eiskalter "Vollstrecker"

Bayers sportliche Leitung erhofft sich nun ähnlich gute Statistiken, wenngleich der Klub nicht nur sportlich vom Neuzugang profitieren wird: "Es gibt jetzt einen Hype um ihn, er ist sehr populär - das tut uns als Verein auch gut. Aber deshalb haben wir ihn ja nicht geholt. Chicharito soll uns sportlich noch besser machen", beschrieb Völler den Wert seines Neuzugangs und nennt dessen Stärken: "Er ist ein quirliger, beweglicher und schneller Stürmer, der kombinationsstark ist und über eine gute Technik und sehr gute Abschlussqualitäten verfügt. Mit ihm haben wir weitere Variationsmöglichkeiten und sind noch schwerer auszurechnen."

In der Tat sucht man einen ähnlichen Spielertypen in Leverkusens Kader vergeblich. Der 27-Jährige ist beidfüßig, enorm sprintstark und besitzt einen sensationellen Antritt. Zudem ist Hernandez ein respektabler Kopfballspieler - auch wenn er nur 1,75 Meter misst. In erster Linie definiert sich der Vollblutstürmer allerdings über seine Abschlussstärke. Vor dem Kasten ist Chicharito eiskalt, Schmidt bezeichnet ihn als "Vollstrecker".

Chicharito will "wichtig sein"

Die Rolle des Knipsers nimmt bei Bayer bisher Stefan Kießling ein. Der 31-Jährige spielt mittlerweile seit 2006 in Leverkusen und ist die personifizierte Konstanz: In fünf Spielzeiten verzeichnete Kießling mehr als zehn Ligatreffer und wurde 2013 Torschützenkönig. Seit Jahren ist der Ex-Nürnberger der Fixpunkt in Bayers Offensive und konnte sich auch gegen namhafte Konkurrenten - wie zuletzt Josip Drmic - stets durchsetzen.

Hernandez wird nun ebenfalls einen Platz im Sturmzentrum einfordern. Der 75-fache Nationalspieler (41 Tore) hat Manchester United verlassen, da er in seinem neuen Team eine tragende Rolle einnehmen möchte. "Der Verein gab mir von Anfang an das Gefühl, wichtig zu sein und dass sie mich unbedingt haben wollten. Wir wollen als Team Großes erreichen", sagte er bei seiner Vorstellung.

Wie genau Chicharitos Rolle aussehen wird, hängt auch von Schmidts System ab. Im 4-2-3-1, das Schmidt vergangene Saison bevorzugte, könnte Hernandez als alleinige Spitze agieren. Es ist jedoch ebenso möglich, dass der Trainer aufgrund der neuen Personalsituation vermehrt auf ein 4-4-2 mit zwei Angreifern setzen wird.

Chicharito und Kießling?

Das Sturmduo Kießling/Hernandez erscheint in diesem Fall eine Option zu sein. Kießling bringt physische Präsenz ins Angriffsdrittel, Hernandez könnte mit seiner Schnelligkeit vermehrt aus der Tiefe kommen. Gegen tief stehende Gegner wäre Leverkusens Spiel damit flexibler.

Gegen Darmstadt standen beide Mittelstürmer rund 30 Minuten gemeinsam auf dem Feld. Chicharito zeigte nach seiner Einwechslung gute Ansätze, die Niederlage konnte er aber nicht verhindern.

"Ich bin happy über mein Debüt, aber natürlich nicht über das Resultat. Die Kommunikation klappt schon sehr gut. Es ist auch nicht so schwer, mit den Jungs zurechtzukommen, weil ihre Qualität hier sehr hoch ist", sagte er im Anschluss und richtete den Fokus auf die kommenden Aufgaben: "Die nächsten Wochen werden sehr wichtig. Erst Champions League, dann Dortmund. Wir müssen aus unseren Fehlern gegen Darmstadt lernen und es am Mittwoch besser machen."

Chicharito selbst wird alles daran setzen, schon im Spiel gegen BATE Borisov seinen Wert für Leverkusen unter Beweis zu stellen. Schließlich soll seine Zeit als Edeljoker endgültig der Vergangenheit angehören.

Javier Hernandez im Steckbrief