Von der Absteige ins Nobelrestaurant

Von Andreas Inama
Juventus Turin steht erstmals seit 2003 in einem Champions-League-Finale
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Familie Agnelli übernimmt

Nach einem kurzen Intermezzo von Jean-Claude Blanc als Präsident wurde im Juni 2010 jener Mann zum Oberhaupt in Turin ernannt, der schließlich die Wende bringen sollte. Andrea Agnelli, ein 35-jähriger Industrieller und Abkömmling der früheren Präsidenten Edoardo und Umberto Agnelli, übernahm das Zepter.

Mit ihm kam auch Giuseppe Marotta als Sportdirektor. Die Transfers wurden nun überlegter, als einzigen Fehlkauf kann man in dieser Zeit nur Milos Krasic sehen, wobei dieser schon vor Agnellis Ankunft auf den Einkaufszetteln stand.

Agnelli krempelte die ganze Führungsriege um und setzte von nun an auf einen aggressiven Kurs gegen all jene, die Juve immer noch als Kriminellen-Verein sahen. Der davor schon anhaltende Zwist mit dem größten Konkurrenten, Inter Mailand - die einzige Mannschaft der drei Großen, die keine Strafe im Zuge von "Calciopoli" erhielt - geriet immer mehr in den Mittelpunkt. Die Vorgabe von Agnelli war klar: Man wollte sich wieder zurückholen, was einem 2006 genommen wurde. Damit waren nicht nur die Titel, sondern auch die Würde und der Stolz gemeint.

Der erste Schritt war dabei die Eröffnung des neuerbauten Juventus Stadium, das sinnbildlich für den zweiten Neunanfang der Alten Dame galt. Unter Agnelli kamen neben Flop Krasic Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci, die von nun an mit Giorgio Chiellini auch das Stammpersonal in der italienischen Innenverteidigung bildeten.

Die Ära Conte

Als 2011 dann Ex-Spieler Antonio Conte das Traineramt übernahm, war Agnelli auch dazu bereit, größere Transfers zu tätigen. Vom AC Milan wurde der zu Fallobst verkommene Andrea Pirlo verpflichtet, der bei Juve einen zweiten Frühling erlebte, Bayern München wurde Bayer Leverkusens Arturo Vidal vor der Nase weggeschnappt.

Mit Stephan Lichtsteiner holte man einen der begehrtesten Außenverteidiger in Europa. 2012 wurde schließlich Super-Talent Paul Pogba verpflichtet. Trotz der Verpflichtung von zum Teil erst mit der Zeit zu großen Namen gereiften Spielern gab man nicht Ansatzweise so viel Geld aus, wie in der Zeit unter Gigli. Der teuerste Transfer seit Agnellis Ankunft war Alvaro Morata, den man für 20 Millionen von den Königlichen aus Madrid holte.

Nach Contes Übernahme ging es stet bergauf. Die Voraussagen für die neue Saison sahen andere an der Spitze, die endgültige Tabelle aber sprach Bände: Juventus gewinnt das erste Mal seit dem Jahr 2003 offiziell wieder eine Meisterschaft. Kein Gegner konnte die Bianconeri in dieser Saison bezwingen.

Es folgten zwei weitere souveräne Meisterschaften, Antonio Conte hatte mit seinem System und durch die intelligente Transferpolitik von Marotta und Agnelli eine Mannschaft geformt, die weit über dem Niveau der restlichen 19 Mannschaften in der Serie A agierte.

#NoAllegri

Doch schließlich kam es auch mit Conte zum Bruch: Der Süditaliener wollte mehr Geld, das er in Spieler investieren konnte. Agnelli gewährt ihm diesen Wunsch nicht. Conte sah keine Perspektive mehr und legte sein Amt nieder: "Sie wollen in Europa gewinnen? Mit zehn Euro kann man in keinem Restaurant essen, wo man 100 Euro bezahlt."

Schließlich übernahm Massimiliano Allegri. Die Führungsriege in Turin gerat in die Kritik. Nicht nur holte man den Mann, der bei einem der größten Konkurrenten, dem AC Milan, das Traineramt innehatte; man ernannte jenen Mann zum Chef, der einst den neuen Liebling Andrea Pirlo für unbrauchbar befunden hatte. Die Fans standen Kopf, #NoAllegri kursierte im Internet.

Doch Allegri machte seine Sache gut. Juve dominierte weiterhin Italien, holte ungefährdet Titel Nummer vier in Folge und es wurde die Ko-Phase der Champions League erreicht. Als er das Halbfinale erreichte, ließ sich der sonst so besonnene Allegri zu einem Konter in Richtung seines Vorgängers hinreißen: "Wir können vielleicht nicht teuer essen, aber in das Restaurant reinsetzen können wir uns allemal."

Rehabilitation a la carte

Jetzt steht die wiederauferstandene Dame vor dem Ende der Odyssee "Calciopoli", die den Verein jahrelang durch den Hohn, den Hass und schließlich den Neid vieler Außenstehender führte und nun in den Hafen einlaufen lässt, wo er auch hingehört.

Man hat sich von der Absteige in die Serie B weiter hochgearbeitet. Die zur Snackbude verkommenen Serie A dominiert man mit gourmethaftiger Überlegenheit. Nun steht man kurz davor, trotz des nur halbvollen Geldbeutels endlich den Ehren-Platz im 100-Euro-Restaurant zu ergattern.

Juventus kann damit nicht nur Bedeutendes für den italienischen Fußball leisten, sondern die Beharrlichkeit und das Festhalten an den eigenen Prinzipien. Die Alte Dame hat den Anspruch, an die Spitze zu gehören und wie könnte man das besser untermauern als mit der Champions-League-Krone.

Juventus Turin im Überblick

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