"Van Gaal sorgte für einen Aha-Effekt"

Louis van Gaal verlor mit dem FC Bayern das CL-Finale 2010 gegen Inter Mailand
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Wie sieht der Matchplan des Kommentators aus: Legen Sie sich eventuelle Kommentarstrategien zu Recht?

Fuss: Überhaupt nicht. Ich gehe komplett verlaufsoffen an das Spiel. Ich erwarte nichts und erhoffe alles. Es gibt kein Drehbuch, keinen Plan, nichts Vorbereitetes. Man kann sich statistisch gesehen auf alle Eventualitäten vorbereiten und muss dann den Mut haben, 95 Prozent in die Wupper zu werfen.

SPOX: Ist Spontanität und Schlagfertigkeit die zentrale Komponente als Kommentator?

Fuss: Um nichts anderes geht es. Rhetorisch hübsch verpackt und mit fußballerischem Sachverstand.

SPOX: Kann man sich diese Qualitäten antrainieren oder waren Sie schon in der Schule nicht auf den Mund gefallen?

Fuss: Ich habe immer viel und gerne geredet, aber auch viel dummes Zeug, ehrlich gesagt.

SPOX: Das sollte man als Kommentator abstellen.

Fuss: Vielleicht muss man mal etwas Grundsätzliches sagen: Kommentatoren machen nicht absichtlich Fehler. Der Job wird von unserem Berufsstand in Deutschland gut ausgeführt. Wesentlich besser, als häufig dargestellt.

SPOX: Warum fällt die Kritik an den Kommentatoren dann so heftig aus?

Fuss: Die Wahrheit im Fußball gibt's nicht, deshalb diskutieren wir so gerne, heftig, vehement und emotional. Und das ist alles vollkommen okay. Du kannst es als Kommentator nicht allen Leuten rechtmachen. Wenn du versuchst, es allen Leuten rechtzumachen, machst du es auf jeden Fall falsch. Ich muss in Kauf nehmen, dass nicht alle Leute gut finden, was ich mache. Ich versuche, 90 Minuten das Spiel zu genießen und Spaß zu haben. Wenn der Zuschauer auch Spaß hat, freue ich mich. Aber dass alle Spaß haben, ist eine Utopie.

SPOX: Hat die Kritik an Kommentatoren in den letzten Jahren zugenommen?

Fuss: Ich glaube, dass sich die Zuschauer in den 60er und 70er Jahren genauso über den Kommentator aufgeregt haben, aber das passierte im heimischen Wohnzimmer. Heute wird viel in Rudeln geguckt und es wird sich gerne über soziale Netzwerke unterhalten. Dort musst du deine Gedanken idealerweise schnell, in relativ kurzer, knapper, zugespitzter Form emotional hochgekocht wiedergeben.

SPOX: Das führt dazu, dass manche den Fuss Weltklasse und manche unterirdisch finden.

Fuss: Genau. Man muss sich im Klaren sein: Wenn ich den Musikantenstadl nicht mag, dann gucke ich ihn nicht. Wenn ich ein Spiel gucken will, bleibt mir nichts anderes übrig, als den Kommentator zu schlucken. Ich nehme ihn sogar in meine Privatsphäre auf, wenn ich mit meinen Kumpels das Spiel gucke. Das ist ja verrückt. Die Konstellation gibt es so im normalen Leben nicht. Stellen Sie sich vor, Sie machen zuhause eine Feier und es kommt einfach einer, der sich dazusetzt und mitquatscht, obwohl Sie ihn vielleicht gar nicht dabei haben wollen. Deshalb kann ich sehr gut akzeptieren, dass es Leute gibt, die sagen, den mögen wir nicht so gerne.

SPOX: Das Thema hat in diesem Jahr aber schon dramatische Dimensionen angenommen. Ihr Kollege Marcel Reif wurde heftig angegangen.

Fuss: Tätliche Attacken kann ich nicht akzeptieren, da hört für mich der Spaß auf. Wir müssen uns klarmachen, worüber wir reden. Bei allem Respekt vor Emotionen, es ist nur Fußball. Der Weltfrieden wird nicht behandelt, der Hunger in der Welt wird nicht bekämpft, da haben wir ganz andere Themen, über die man wesentlich emotionaler reden kann und sollte, als über ein Fußballspiel. Ich persönlich hatte bisher mit Fans überhaupt keine Probleme und es kommt oft zu netten Begegnungen.

SPOX: Fans, die sich über Kommentatoren aufregen, sehen ihren Verein meist ungerecht behandelt. Dabei ist die Nähe zwischen Journalisten und Protagonisten vor allem im TV-Bereich immer wieder Thema. Sind Kommentatoren distanziert kritisch oder schon Teil der Show?

Fuss: Auch hier ist es so: Kein Kommentator bevorteilt oder benachteiligt bewusst einen bestimmten Verein. Natürlich ist man Teil des Fernseherlebnisses, nur die Show machen andere. Das Spiel macht den Kommentar, nicht umgekehrt. Trotzdem lässt es sich in der Zusammenarbeit mit Klubs nicht vermeiden, dass man Leute mag oder sogar freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Wenn man respektvoll mit den Menschen umgeht und da geht's auch mal um einen flapsigen Spruch, ist alles in Ordnung. Dann kann man ein sehr gutes Miteinander pflegen, ohne sich mit der Sache gemeinzumachen. Die Show machen die Protagonisten, wir die Begleitmusik, im Idealfall mehr Dur als Moll.

SPOX: Wie kritisch können TV-Medien überhaupt sein, wenn sie die Rechte für das Programm für mehrere hundert Millionen Euro erwerben?

Fuss: Kritische Berichterstattung spricht ja nicht gegen das Produkt. Es geht um journalistisches Abbilden. Ich bin bei Sat.1 damals als Box-Kommentator zurückgetreten, weil ich gesagt habe: das Zirkuspferd mache ich hier nicht. Wenn ich ein Spiel nicht gut finde, dann sage ich es auch. Da kommt keiner im Sender auf die Idee, mich zu geißeln. Trotzdem ist es meine rhetorische Verantwortung, den Leuten das Spiel so zu verkaufen, dass sie sich zumindest noch ein Stück weit unterhalten fühlen. Ich könnte natürlich auch sagen: Schaltet die Glotze aus! Aber dann hätte ich meinen Job verfehlt, dafür machen wir ja Fernsehen. Ich muss versuchen, den Zuschauer über dürre Phasen des Spiels hinwegzuhelfen, was aber nicht bedeutet, dass ich das Spiel nicht kritisieren kann.

SPOX: Bei Sky wird schon viel mit taktischen Einblendungen und Schalten an den Spielfeldrand gearbeitet. Wird sich die Arbeit des Kommentators weiter in diese Richtung verändern?

Fuss: Wir versuchen, den Leuten das Fernseherlebnis so angenehm wie möglich zu machen und sie am Spiel teilhaben zu lassen. Es ist ein unschätzbarer Mehrwert, einen Mann unten stehen zu haben, der gerade gesehen hat wie Spieler X auf der Trage abtransportiert wurde oder vielleicht sogar mit dem Arzt gesprochen hat. Genauso wertvoll ist es, wenn man dem Zuschauer über ein schöne Grafik erklären kann, wie sich die Dreier- oder Viererkette verschiebt. Wir Journalisten sind die Fachidioten und nehmen das einfach so wahr. Aber wir haben auch Zuschauer, die nur zu speziellen Events einschalten - wie beim CL-Finale. Und diese Leute muss ich etwas mehr an die Hand nehmen.

Seite 1: Fuss über das CL-Finale und sein Aha-Erlebnis mit van Gaal

Seite 2: Fuss über Kommentatoren-Kritik und den Unterschied zum Musikantenstadl