Mehr als Aupa und Hala

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© spox

Mit Atletico Madrid und Real Madrid treffen im Viertelfinale der Champions League (Di., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) zwei ewige Konkurrenten aufeinander. Die Gründe für die Rivalität sind vielschichtig und auch in der Politik verankert. Während Real stolz seine Kreise zieht, kokettiert der scheinbare Underdog Atletico weiter mit dem Image des Arbeiterklubs. Dabei ist man dieser Rolle längst entwachsen.

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Nicht einmal 500 Meter sind die beiden Wahrzeichen der spanischen Hauptstadt voneinander entfernt. Eine pompöse mehrspurige Straße mit einem breiten Mittelstreifen verbindet die Monumente. Auf der einen Seite des Paseo del Prado ist der mächtige Plaza de Cibeles beheimatet.

Der Brunnen der Göttin Kybele, die angetrieben von zwei mächtigen Löwen in einem Streitwagen thront, steht in der Mitte des Platzes. Schaut man die Straße entlang, sieht man bereits den Dreizack des Neptuns, der ähnlich wie Kybele im Brunnen über den Kreisverkehr wacht. Die Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen.

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Doch auch wenn man bei flottem Gang gerade einmal vier Minuten von Brunnen zu Brunnen benötigt, liegen Welten zwischen den Denkmälern. Denn Cibeles am nördlichen Ende der Straße gilt als Pilgerstätte der Fans von Real Madrid bei wichtigen Siegen, der Neptunbrunnen hingegen als Triumphstätte der Atletico-Anhänger.

Gewinnt eine der beiden Mannschaften einen Titel, stürmen sämtliche Fans auf die Straße, magisch angezogen von ihrem Denkmal. Das jeweilige andere Monument wird verschmäht oder gar beschmutzt. Die beiden Brunnen stehen sinnbildlich für die beiden Fußball-Religionen, die in Madrids Herz schlagen. Eine lang gelebte Feindschaft, die mehrere Jahrzehnte zurückreicht und die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Stadt offen widerspiegelt.

Real im Bankenviertel von Madrid

Auf der einen Seite gibt es das glänzende Real aus dem wohlhabenden Norden. Das Stadion steht mitten im schimmernden Bankenviertel Chamartin, umzingelt von den Wolkenkratzern der Stadt. Gegründet als Madrid FC wurde dem Klub bereits 1920 von König Alfonso XIII die Ehre zuteil, den Zusatz Real - spanisch für königlich - im Vereinsnamen zu tragen. Ein Image, mit dem das Team aus dem Norden wie kein anderer Klub der Welt spielt und das die Geschichte immens geprägt hat. Das Beste? Gerade noch gut genug.

Auch deshalb lotst Real seit jeher die besten Spieler des Planeten ins Bernabeu. Von Alfredo di Stefano über Zinedine Zidane bis hin zu Cristiano Ronaldo haben die meisten der offenbar Weltbesten dort gespielt. "Wenn man Real nicht trainiert hat, ist man kein großer Trainer", soll Ex-Real-Coach Jose Mourinho einmal gesagt haben. Ein Touristenmagnet, mit einer Strahlkraft, die weit über die Stadtgrenzen hinaus reicht - eigene U-Bahn-Station inklusive.

Wohnsiedlung statt Glamour

Das Estadio Vicente Calderon von Atletico hingegen ist deutlich beschwerlicher zu erreichen. Keine separate Station war der Stadt das Stadion wert. Gut 15 Minuten Fußweg sind es von der nächsten Metro-Station zur Arena. Von Glamour ist im volkstümlicheren Süden wenig zu sehen.

Statt schicken Hochhäusern stehen dort Wohnsiedlungen und eher abgenutzte Häuser. Seit Jahrzehnten gilt der Stadtbezirk um das Stadion von Atletico als Arbeiterviertel. Bodenständig, rau und ehrlich sind allesamt Attribute, die dem Süden zugeschrieben werden. Ein Viertel, aus dem Atletico emporstieg.

Allein die Unterschiede in der Gründung der Vereine bieten erste Anzeichen für die Ursprünge der Feindschaft. Während Real früh als Repräsentant der Oberschicht mit adligen Wurzeln galt, wurde Atletico von drei baskischen Studenten gegründet. Sie spielten einst für Athletic Bilbao, wurden letztlich aber nicht mehr berücksichtigt und gründeten aus dem Nichts in der Hauptstadt ihren eigenen Verein - eine Art Ableger des Stammvereins. Auch deshalb sind Trikots und Hosen der beiden Teams noch heute so ähnlich.

Der Ruf des Underdogs

Dennoch gilt Atletico im Gegensatz zu Real heute eher als Team aus Madrid. Die Colchoneros, die Bettenmacher, wie sie aufgrund der rot-weißen Streifen genannt werden, ziehen eher Fans aus dem näheren Umfeld und kaum aus dem Ausland an. Doch auch viele Emigranten aus Südamerika, die in Madrid leben, fühlen sich eher zu den Rojiblancos hingezogen. Ein Mythos im Schatten des großen Mythos Real. Denn ähnlich wie die Königlichen wissen auch die Bosse von Atletico genau, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen müssen.

Das Team aus dem Süden nutzt den Ruf des Underdogs gekonnt. Stets stellt man sich bewusst selbst in den Schatten der Königlichen und spielt den tapferen Kämpfer gegen die Übermächte der Königlichen: ehrlicher, treuer und emotionaler seien die Fans.

"Warum sind wir eigentlich Atletico-Fans?", fragt ein kleiner Junge in einem vereinseigenen Werbespott seinen Vater. Der schaut völlig konsterniert und lässt die Frage unbeantwortet. In kleinen Lettern ist schließlich zu lesen: "Es ist nicht einfach zu beschreiben. Weil es etwas sehr, sehr Großes ist." Atletico steht für das etwas andere. Zusammenhalt unter den Fans, die Stimmung und das gemeinschaftliche Fußball-Erlebnis sind laut den Colchoneros im Vergleich mit dem königlichen Operettenpublikum um Längen besser.

Franco wechselt die Seiten

Vor allem das Franco-Regime hat tiefe Furchen zwischen die beiden Klubs gezogen. Während der Diktator zu Beginn seiner Herrschaft noch Anhänger von Atletico gewesen sein soll, änderte sich dies im Verlauf der 50er Jahre. Franco merkte, dass er aus der Strahlkraft von Los Blancos Profit schlagen kann und unterstützte den Verein. "Real Madrid ist der beste Botschafter, den wir haben", war aus dem Umfeld des Herrschers zu hören. Atletico hingegen blieb auf der Strecke und schürte den Hass gegen das "Staats-Team", wie man Real nannte: "Ihr seid die Schande des Landes."

Das Viertelfinal-Hinspiel der beiden Klubs (Di., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) wird nach 1959 und 2014 erst das dritte Aufeinandertreffen der beiden Klubs in der K.o.-Runde auf der höchsten europäischen Ebene sein. Zwar gewann Real nach beiden Duellen jeweils auch den Titel, doch in den letzten Jahren scheint Atletico mehr als auf Augenhöhe mit den Königlichen zu sein.

Während im Bernabeu im Jahr 2011 aufgrund der königlichen Überlegenheit noch stolz das Banner "Würdiger Derby-Gegner gesucht" hing, wetzt man im Umfeld des Vicente Calderons jetzt eifrig die Messer. Denn zuletzt ist vieles passiert. Zwei Jahre nach dem Plakat gab's den Sieg im Pokal im fremden Bernabeu, in dieser Saison gewannen die Colchoneros vier von sechs Partien gegen Real und blieben bei einem Torverhältnis von 12:4 in den restlichen zwei unbesiegt. Speziell der 4:0-Sieg im letzten Ligaspiel sowie der Sieg in der Copa lösten im Norden eine mittelschwere Sinnkrise aus.

Reich gegen Arm ist Geschichte

Die Vorherrschaft der Königlichen werden sie wohl auch in den kommenden Jahren nicht durchbrechen können. Real wird stets größer, reicher und erfolgreicher sein als Atletico. Doch die Colchoneros sind eifrig dabei, das Image des Verlierer-Klubs abzulegen. Von einem reinen Arbeiterklub ist bereits nicht mehr viel zu sehen. Diese Rolle übernehmen in La Liga bereits Teams wie das kantige und laute Rayo Vallecano.

Über den Lauf der Zeit wurde jedoch klar, dass Madrid als Weltmetropole mehr als nur einen großen Klub verträgt. Und auch wenn die Vereinsführung weiterhin mit der David-gegen-Goliath-Rolle kokettiert, ist Atletico in den letzten Jahren längst zu einem europäischen Topklub gereift. Zwei Titel in der Europa League, der Pokalsieg und der Ligatitel sind deutliche Hinweise dafür. Das "sentimiento de rebeldia", der berühmte Gefühl der Widerspenstigkeit, ist längst nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor Jahren und wird hier und da künstlich hochgehalten.

Reich gegen Arm oder Adelsherrschaft gegen Proletariat steht längst nicht mehr über dem Derbi madrileño. Es messen sich zwei ewige Rivalen, die aufgrund der Ursprünge, der Politik und der Anhänger unterschiedliche Geschichten haben. Oder, um es mit den markanten Fangesängen der Teams zu sagen: Aupa Atleti gegen Hala Madrid.

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