Die neue Arbeiterklasse

Der neue Coach der katalanen Luis Enrique (M.) hat Barcelonas Spielstil umgekrempelt
© getty

Kein Mannschaftsteil des FC Barcelona musste sich seit der Amtsübernahme von Luis Enrique einem so gravierenden Wandel unterziehen wie das Mittelfeld. Die dominanteste Passmaschine der Welt wurde zur Durchgangsstation. Ein Neuzugang hat sich zum Hauptdarsteller aufgeschwungen - zwei Klub-Legenden leiden jedoch unter der neuen Ausrichtung.

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Der vielleicht wichtigste Tag in der bisherigen Saison der Katalanen war der 25. Oktober 2014. Der Tag, an dem man sich im Clasico mit 1:3 dem verhassten Rivalen aus Madrid geschlagen geben musste. Kurz bevor man sogar die Tabellenführung an die Königlichen abtrat.

Denn am 25. Oktober betrat Luis Suarez das erste Mal ein Fußballfeld im rotblauen Trikot. Der 81-Millionen-Mann durfte nach seiner viermonatigen Sperre aufgrund der Biss-Attacke bei der Weltmeisterschaft endlich ran. Das neue Kernstück des katalanischen Angriffs war angekommen. Auch offiziell.

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Nicht wenige sagen, dass die Spielzeit bis zu diesem Tag, dass Enriques zahlreiche Experimente nicht mehr als ein Vorspiel waren. Richtig los ging die Saison erst mit der Geburtsstunde von El Tridente - dem magischen Dreieck im Angriff, bestehend aus Suarez, Lionel Messi und Neymar.

Das Herzstück verliert an Glanz

Viel hatte Enrique bis dahin ausprobiert: Messi als Zehner hinter einer Doppelspitze war so eine Maßnahme. Er warf mit Sandro und Munir El Haddadi zwei junge Spieler in die Mannschaft, gegen PSG ließ der Coach sogar mit einer Dreierkette in der Defensive agieren. Doch mit Suarez' Ankunft machte der 44-Jährige einen radikalen Schnitt.

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Ein klassisches 4-3-3 sollte es sein, mit dem irren Sturmtrio als Prunkstück. Ein System, das die Zauberer an vorderster Front bestmöglich in Szene setzen soll - das aber das einst ob seiner Dominanz und Ballsicherheit verehrte wie gefürchtete Mittelfeld oftmals zur Übergangsstation degradiert.

Vor ein paar Jahren noch das Herzstück des besten FC Barcelona aller Zeiten, haben Andres Iniesta und Co. im Vergleich zu ihren stürmenden Kollegen durchaus an Glanz verloren.

Ballbesitz ungleich Spielkontrolle

So verlagerte sich der Fokus stark auf ein vertikales Spiel aus einer tieferen Grundordnung heraus. Anstatt den Gegner einzuschnüren, ihn zu kontrollieren und zu zermürben, soll er mit Tempo überrumpelt werden. Natürlich hat Barcelona in den meisten Spielen mehr Ballbesitz als der Gegner - doch ist Ballbesitz nicht mehr gleich Spiel- oder Tempokontrolle.

Mit dem breit aufgefächerten Dreier-Angriff und den teils sehr offensiven Außenverteidigern ist das Mittelfeld ein Stück nach hinten und in eine konventionellere Rolle gerutscht. Es soll absichern und Chancen einleiten - sie aber primär nicht selbst herausspielen und kreieren. So frei, wie noch unter Guardiola, dürfen sich die Mittelfeldspieler nicht mehr bewegen.

Nicht nur für die einstigen Schüler von La Masia war diese grundlegende Veränderung des Spielstils, der fast schon ein Angriff auf die Tugenden Johan Cruyffs ist, ein Prozess, der holprig voran ging. Und es hat sich nach der Findungsphase, die die Katalanen in der breiten Öffentlichkeit vom ausgedienten Riesen zu einem der heißesten Anwärter auf die Champions-League-Krone machte, eine Hierarchie im Barca-Mittelfeld herauskristallisiert, die manche so wohl nicht erwartet hätten.

Rakitic der Gewinner im neuen System

Der bei seiner Ankunft etwas kritisch beäugte Ivan Rakitic ist mit 28 Einsätzen in der Liga mittlerweile der Mann, der in der Zentrale am häufigsten auf dem Platz stand. Nach Unsicherheiten in der Rollenfindung in der ersten Zeit nach der Systemumstellung ist der ehemalige Schalker dank seiner Dynamik nicht mehr wegzudenken aus dem Spiel der Katalanen.

Rakitic spult ein unfassbares Pensum herunter und ist omnipräsent. "Rakitic verkörpert alles, was ich brauche", sagte der Trainer schon bei dessen Verpflichtung. Zwar spielt der Kroate vergleichsweise wenige Pässe, doch sind allein sein Gespür für die Personalrochaden mit Vorder- und Nebenmännern und die Räume, die er zuläuft und stopft für Enriques System Gold wert.

Auch, weil er dadurch Sergio Busquets, der anfangs genau mit diesen großen Räumen seine Probleme hatte, zur Seite steht. Der Spanier stand nach Anpassungsproblemen bei nur einem Spiel weniger auf dem Rasen und dürfte in den entscheidenden Spielen der Saison - wie dem Viertelfinal-Rückspiel der Königsklasse gegen Paris Saint-Germain (20.45 im LIVE-TICKER) - mit Rakitic gesetzt sein.

Zwei Legenden rennen hinterher

Starten dürfte dann auch Andres Iniesta, bei dem sich das Unbehagen mit der neuen Rolle jedoch nicht nur in der aktuellen Formschwäche niederschlägt. Die tiefere Spielweise bringt ungewohnte Pflichten für den 30-Jährigen mit sich, die ihn in Kreativität und seinen Kernkompetenzen beschneiden.

Intensiveres Spiel gegen den Ball, die Absicherung der Flügel bei Vorstößen der Außenverteidiger: Statt dem genialen Pass in die Lücke - momentan steht der Spanier bei drei Assists, in den letzten vier Jahren waren es immer mindestens zehn - stehen für Iniesta weniger Pässe und mehr Fouls auf dem Programm.

Doch während Iniesta dem katalanischen Angriffsspiel noch so viele Impulse geben kann, dass Enrique in den großen Spielen nicht an ihm vorbei kommt, ist Kapitän Xavi in genau diesen Partien meist zum Zuschauen verdammt. In der Königsklasse stand der Altmeister gegen PSG genau 38 Minuten auf dem Platz, gegen Manchester City musste der 35-Jährige zweimal 90 Minuten zusehen. Auch in der Copa war Xavi der spielberuhigende Joker für die letzten Minuten. Nicht mehr.

Viele Alternativen gibt es dann nicht mehr. Rafinha Alcantara, der jüngere Bruder von Bayerns Thiago, hatte seine Glanzmomente im Mittelfeld. Doch unter dem Strich stehen auch beim Brasilianer, der mit viel Vorschusslorbeeren von seiner Leihe aus Vigo zurückkam, zu viele unnötige Fouls und vor allem ein schlechtes Positionsspiel, dass ihn beim "neuen" FC Barcelona nicht zur Option für die wichtigen Spiele macht.

Richten sollen es in diesen ohnehin die drei an vorderster Front - wie bereits im Hinspiel.

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